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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

unserem Robert nicht einmal das Geleit bis zum Dampfer geben! Sie wissen es vermutlich, daß Prinz Karl heute in Korfu erwartet wird. Seine Jacht ist bereits in Sicht und wird in einer halben Stunde landen, ich muß in meiner amtlichen Eigenschaft beim Empfange sein und Meta soll der Prinzessin einen Blumenstrauß überreichen. Es hilft nichts, Schwager, du mußt allein hinausfahren.“

„Aber ich bitte dich,“ wehrte Adlau ab. „Je kürzer wir den Abschied machen, um so besser ist es, und übrigens wird es jetzt Zeit zum Aufbruch.“

„Ich werde Sie vertreten, Herr Rahnsdorf,“ sagte der Geheimrat. „Keine Einwendung, Robert, ich gebe Ihnen das Geleit bei der Abfahrt. Die See ist ja heute spiegelglatt, und in spätestens einer Stunde bin ich wieder zurück.“

Robert fügte sich, und man ging gemeinsam zu dem Boote, das mit dem Gepäck bereits am Ufer harrte. Der Abschied war in der That kurz, aber um so herzlicher. Adlau hob noch einmal die Kinder empor, um sie zu küssen, schüttelte dem Schwager die Hand und ließ der Schwester eine letzte Umarmung zu teil werden.

„Also im Sommer in Brankenberg! Ich rechne auf euer Versprechen, und die Kinder bringt ihr selbstverständlich mit. Weine nicht, Meta, es ist ja diesmal nur eine Trennung auf Monate. Behüt’ Gott, Schwager! Auf frohes Wiedersehen!“

Er sprang in das Boot und Rottenstein folgte ihm, noch ein Grüßen und Winken hinüber und herüber, dann steuerte die Barke hinaus und dem Dampfer zu.

Dort herrschte bereits reges Leben, die Boote legten an und stießen ab, die Reisenden kamen an Bord und auf dem Verdeck wurden die Vorbereitungen zur Abfahrt getroffen. Es war immer noch eine halbe Stunde bis dahin und die beiden Herren, die sich einen stilleren Platz auf dem Vorderdeck gesucht hatten, konnten ungestört plaudern. Aber das Gespräch stockte öfter, es lag doch ein gewisser Zwang darauf, obgleich der vorgestrige Tag und Adlaus Zurückbleiben von keiner Seite erwähnt wurde. Endlich sagte dieser, im Tone der Entschuldigung:

„Ich habe im Drange der Abreise nicht einmal mehr Zeit gefunden, Ihnen einen Abschiedsbesuch zu machen. Ich konnte nur meine Karte senden, und es war sehr freundlich, daß Sie trotzdem gekommen sind.“

„Die Karte war mir doch gar zu förmlich,“ entgegnete der Geheimrat, mit einem leisen Vorwurf. „Ich wollte Sie wenigstens noch einmal sehen und Ihnen einen Gruß an die Heimat mitgeben.“

„Herzlichen Dank! Und Sie gehen also wirklich nach Aegypten?“

„Ich muß ja wohl, da Elfriede darauf besteht!“

Die Antwort wurde in sehr beweglichem Tone gegeben, und dabei ließ der Geheimrat einen sehnsüchtigen Blick über den Dampfer hingleiten. „Wenn Sie wüßten, Robert, wie ich Sie um die Heimkehr beneide!“ schloß er wehmütig. „Wie gern ginge ich mit Ihnen nach Haus!“

Adlau stäubte ruhig die Asche von seiner Cigarre und fragte ganz gelassen: „Nun, warum thun Sie es denn nicht?“

Was – soll ich thun?“

„Mit mir nach Triest fahren und von da weiter nach dem Rhein.“

„Jawohl, nach unserem Rhein! Machen Sie mir doch das Herz nicht noch schwerer mit Ihrem Scherz!“

„Ich scherze durchaus nicht, es ist mir vollkommen Ernst mit dem Vorschlage. In meiner Kabine ist der zweite Platz noch frei, wie ich heute morgen zufällig erfuhr. Das Wetter verspricht uns eine ganz ruhige Seefahrt, es bedarf nur einer kurzen Rücksprache mit dem Kapitän, und an mir haben Sie einen bequemen Reisegefährten. Allerdings können Sie nicht mehr ans Land, aber das ist auch nicht nötig. Meine Reisekasse steht Ihnen zur Verfügung, meine Koffer gleichfalls. Für die Paar Tage kann ich Ihnen mit dem Nötigen aushelfen, und in Triest ordnen wir telegraphisch die sofortige Nachsendung Ihres Gepäckes an, die Sache ist ganz einfach.“

Der Geheimrat blickte ihn höchst verdutzt an, jetzt wußte er wirklich nicht mehr, ob das Scherz oder Ernst sei.

„Aber Robert, was fällt Ihnen denn ein? Meine Tochter ist ja doch hier in Korfu und will nach Aegypten.“

„Nun daran hindert Ihre Abreise sie doch nicht? Natürlich muß Frau von Wilkow benachrichtigt werden, Sie senden einige Zeilen ans Land, um sie zu verständigen. – Da ist ja noch Ihr Hoteldiener! soll ich ihn rufen?“

„Um Gottes willen, nein!“ wehrte der alte Herr entsetzt ab. „Ich glaube wahrhaftig, Sie wären zu einem solchen Streiche fähig!“

Statt aller Antwort zog Adlau die Uhr und warf einen Blick darauf. „Wir haben noch zehn Minuten bis zur Abfahrt. Entschließen Sie sich rasch! Denken Sie an Ihr Lindenhof, an die gemütlichen Winterabende am Kamin. Warum wollen Sie durchaus in der Wüste schwitzen? Und dann die Pyramiden, die Kamele – Sie müssen ja hinauf, wenn Sie erst in Aegypten sind!“

„Nein, nein!“ rief der Geheimrat verzweiflungsvoll. „Aber ich kann doch nicht – lassen Sie mich in Ruhe, Robert – ich kann doch meine Tochter nicht allein im fremden Lande sitzen lassen.“

„Nun, was das betrifft – die Baronin ist selbständig, ist völlig vertraut mit dem Reiseleben und hat ihre erprobte Kammerjungfer bei sich. Wie viele Damen reisen nicht heutzutage’ allein! – Sie haben natürlich Checks auf Kairo genommen, tragen Sie sie bei sich?“

„Nein, sie liegen noch in Korfu, bei unserem Banquier, aber –.“

„Um so besser, dann kann Frau von Wilkow sie ohne weiteres dort erheben. Sie sehen – da wird schon der Anker aufgewunden, es ist die höchste Zeit! Hier ist mein Notizbuch, schreiben Sie nur ein paar Worte, das genügt für den Augenblick.“

Rottenstein wußte nicht, wie ihm geschah, er hatte plötzlich Stift und Notizbuch in der Hand und Robert, der neben ihm stand, diktierte ihm kurz und bündig:

„Ich fahre mit Adlau nach Triest, von da weiter nach Haus – alles Nähere brieflich – Checks auf Kairo findest Du bei unserem Banquier – viel Vergnügen in Aegypten! – Dein Dich liebender Vater.“

Bis hierher hatte der alte Herr mechanisch nachgeschrieben, er stand ganz willenlos unter dem Zwange dieses fremden energischen Willens, als er aber nun gar noch seine Vaterliebe bekräftigen sollte, da hörte er auf.

„Aber Robert, ums Himmels willen, das geht ja nun und nimmermehr! Elfriede wird außer sich sein, und mit vollem Rechte. Sie wird –“

„Dein Dich liebender Vater,“ wiederholte Adlau diktatorisch.

„Haben Sie das? Gut! Die Adresse werde ich selbst schreiben. – Warten Sie noch eine Minute, Sie sollen eine Botschaft mit an das Land nehmen.“

Die letzten Worte waren an den Hoteldiener gerichtet, den er inzwischen herbeigewinkt hatte, und der eben das Schiff verlassen wollte. Robert faltete rasch das Blatt, adressierte es und übergab es dem Manne.

„An Frau Baronin von Wilkow, sofort zu übergeben, und mündlich bestellen Sie, der Herr Geheimrat sei soeben mit mir nach Triest abgefahren. – Hier!“

Das Geldstück, das in die Hand des Dieners glitt, machte diesen sehr bereitwillig. Er versprach pünktliche Besorgung und eilte dann nach der Schiffstreppe; es war in der That die höchste Zeit, denn eben wurde das Zeichen zur Abfahrt gegeben. Der Geheimrat that einen Schritt, als wollte er nacheilen, aber Robert ergriff ihn ohne weiteres am Arme und hielt ihn fest.

„Jetzt kein Schwanken mehr! Sie haben einmal den Entschluß gefaßt –“

„Nein, Sie haben ihn gefaßt!“ rief der alte Herr, völlig außer sich. „Ich habe gar nichts gethan, ich habe überhaupt nicht gewußt, wie mir geschah, und bin gar nicht zu Atem gekommen bei der Geschichte. Sie standen ja neben mir und kommandierten wie ein General – Sie sind ja ein schrecklicher Mensch!“

Der „schreckliche Mensch“ hielt ihn noch immer fest und sah in aller Gemütsruhe zu, wie die Schiffstreppe emporgezogen wurde und das letzte Boot abstieß, dann erst ließ er sein Opfer los, dessen Entweichen jetzt nicht mehr zu befürchten war, denn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0508.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)