Seite:Die Gartenlaube (1899) 0514.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Blätter und Blüten.


Verein zum Schutz der Kinder vor Ausnutzung und Misshandlung. In den Tageszeitungen muß leider häufig genug von Fällen berichtet werden, in denen die eigenen Eltern ihre Kinder in barbarischer Weise mißhandeln oder ihre geringe Kraft zu Diensten als Straßenverkäufer oder Handlanger bei Haus- oder Werkstättenarbeiten in einer Weise ausnutzen, dass die armen Wesen körperlich und geistig darüber zu Grunde gehen oder unheilbaren sittlichen Schaden davontragen.

Um diesen Uebelständen, welchen in sehr vielen Fällen auf gesetzlichem Wege kaum gesteuert werden kann, einen Damm entgegenzusetzen, haben bereits im Jahre 1896 Frauen wie Frau Dr. jur. Kempin und Frau Zoeller-Lionheart in Berlin ein energisches Eingreifen, nach dem Vorbilde des Tierschutzvereins, von privater Seite einzuleiten versucht. Allein die vereinten Bemühungen der beiden Frauen scheiterten au der Gleichgültigkeit der Frauen ihres Kreises.

Da schlug, wie ein zündender Funken, ein durch alle Zeitungen verbreiteter Aufruf der Frau von Oertzen auf Dobrow in viele mit der leidenden kleinen Menschheit mitempfindende Herzen. Es meldeten sich zu der neuen angestrebten Schutzvereinigung hilfsbereite Mitglieder aus allen Teilen Deutschlands, und am 3. November 1897 konstituierte sich unter dem Vorsitz der Anwältin Frau Dr. jur. Kempin der Berliner Lokalverein.

Die schwere, unheilbare Nervenerkrankung dieser Dame brachte aber leider sofort eine Stockung in die Bestrebungen des jungen Zweigvereins. Der Hauptverein, der seinen Sitz nach Berlin verlegen wollte, hemmte außerdem eine Zeitlang ein geplantes energisches Vorgehen.

Dennoch ist es dem Lokalverein, der den Namen des „Vereins der westlichen Berliner Vororte zum Schutz der Kinder vor Ausnutzung und Mißhandlung“ angenommen hat, in verhältnismäßig kurzer Zeit gelungen, erstens seine Mitgliederzahl schnell zu vermehren, dann fünf mißratene Kinder in öffentliche oder Privatanstalten zu besserer Ueberwachung und Erziehung unterzubringen. Ferner sucht der Verein durch Zuschriften die Aufmerksamkeit der Aerzte, Armenärzte, Volksschullehrer, Geistlichen, Krankenpflegerinnen und Barmherzigen Schwestern auf seine Bestrebungen zu lenken und durch ihre Mithilfe das nötige Material für ihre Schutzthätigkeit zu gewinnen.

Der Verein hat aus seinem kleinen Sammelschatz in Charlottenburg einen Knabenhort gegründet, in dem Schüler jeder Konfession und jeden Alters während der nicht schulpflichtigen Nachmittags- und Abendstunden einen gesunden Aufenthalt und sachgemäße Ueberwachung und Anleitung zu Handarbeiten oder körperlichen Uebungen finden, wo man geistig und körperlich sie auszubilden bestrebt ist und ihnen eine kleine Erfrischung darreicht. Man hofft, dadurch dem demoralisierenden Herumtreiben auf den Straßen bei den unbeaufsichtigten oder mißleiteten Kindern entgegenwirken zu können, die ein so großes Kontingent zum Rowdytum als Heranwachsende später stellen.

Der Verein der westlichen Vororte nimmt durch jedes seiner Vorstandsmitglieder Anmeldungen zum Beitritt und schriftliche Berichte über Fälle von Kindermißhandlung etc. an, prüft sie taktvoll auf ihren Wert hin und stellt sich, zum weiteren Verfolg jeden einzelnen Falles, mit den maßgebenden Behörden in Verbindung. Der Verein als Ganzes beabsichtigt schließlich, nach dem Vorbild von Amerika und England auf die gesetzlichen Bestimmungen durch Petitionen bei dem Reichstag einzuwirken, damit den unglücklichen Schutzlosen das werde, was sie besser behüten kann als jede Privathilfe – der mächtige Schutz der Landesgesetze.

„Es geht nicht mehr!“
Nach dem Gemälde von M. Budinsky.


Die Bergpartie. (Zu dem Bilde S. 488 und 489.) Zu den Annehmlichkeiten, welche der Aufenthalt in ländlicher Sommerfrische den erholungsbedürftigen Städtern bereitet, gehört gewiß nicht in letzter Reihe die ungenierte harmlos heitere Geselligkeit, welche sich dort so leicht unter den Gästen entwickelt. Wie auffrischend wirkt ein solcher Verkehr, der ganz außer allem Zusammenhang mit den Sorgen und Lasten, Verpflichtungen und Rücksichten des Lebens im Alltagsgeleis steht! Wie rasch knüpft die Gemeinsamkeit des Aufenthalts, der Freuden und Unterhaltungen, denen man im Freien nachgeht, ein Band zwischen den Gemütern, welche den Reizen der schönen Natur mit gleicher Liebe entgegentreten! Auch die lustige Gesellschaft auf unserem Bild, die sich inmitten eines herrlichen Hochgebirgsthals zusammengefunden hat, verdankt ihre gehobene Stimmung nächst dem Genuß der freien Natur dieser Art von Geselligkeit. Auf einem schattigen Grasplatz mitten im Felsgestein am Wege, der ihrem eigentlichen Ziel, der Spitze des Aussichtsbergs, zuführt, haben sie Rast gemacht: der fidele alte Herr, der seinen Kindern, dem Herrn Studenten mit der bunten Mütze und dessen Schwestern, nichts nachgiebt an Rüstigkeit im Wandern, und der so jubelnd in den Jodelruf einstimmt, mit welchem das junge Ehepaar hinter ihm die längsterwarteten, endlich herannahenden Nachzügler begrüßt. Auch der kleine Teckel beteiligt sich an dem Jubel, während das Söhnchen des noch im Aufstieg begriffenen Paares sich an dem Quellbrünnlein sein Glas füllt, um mit diesem Labetrank in das Hoch einzustimmen, das der Bruder Studio ausbringt mit rotem Tiroler. Wahrlich, die Zwei haben allen Anlaß, mit wehenden Tüchern solch’ herzliche Bewillkommnung zu erwidern! Nicht ohne Neid mag die einsame Dame, die nur in Begleitung eines Führers zur Aussichtsspitze hinaufreitet, Zeugin der lebhaften Scene werden.

Türmers Abendrast. (Zu dem Bilde S. 505.) Hoch oben über dem Glockenstuhl des Kirchturms hat der Türmer sein Heim. Weltentrückt und doch die Welt, die ihn umgiebt, weit überschauend, übt er hier sein wichtiges Wächteramt. Er hat Auslug zu halten nach allen Himmelsgegenden über die Stadt hin, um jeden Ausbruch von Feuersgefahr warnend anzuzeigen, und hat die Aufsicht über die Turmuhr und die Glocken, welche hehren Klanges den Gang der Stunde verkünden. Es ist ein ernster Beruf, den er zu erfüllen hat, und nur Männer von Gewissenhaftigkeit und Ordnungsliebe werden sich ihm widmen. Daher herrscht in den Türmerwohnungen Sauberkeit; selten fehlt es ihnen an Blumenschmuck und den Spuren einer sinnigen Pflege desselben. Die meisten Türmer lassen sich auch nicht genügen an der Erfüllung ihrer Aufsichtspflichten: in ihrer Mußezeit pflegen sie ein Handwerk zu treiben, dessen Ertrag ihrem Haushalt zu Gute kommt.

Doch ist dann die Zeit des Feierabends herangenaht, hat der Türmer sie mit festem Glockenschlag der Bürgerschaft angekündigt, da gönnt er sich auch einmal eine Weile behaglichen Aufatmens und genießt des Segens, der auf gethaner Arbeit ruht. Unser Bild zeigt

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0514.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2023)