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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Wie geht denn das zu? Kennen Sie die Herren?“

„Nur Herrn Leutnant Bläser und Herrn von Körlegg,“ sagte Susanne unbefangen. Und sie erzählte, wo man sich im Manöver getroffen.

Sie kennen sich also doch! dachte er. Sollte die Geschichte wahr sein?

Was hat Reinald denn? dachte Susanne, wie bös und übellaunig sieht er aus.

Aber sie vergaß das schnell. Sie war zwanzig Jahr, und ihr hatte sich noch nicht allzuoft die Gelegenheit geboten, so recht nach Herzenslust zu tanzen. Sie fühlte sich auch gar nicht fremd hier. Bläser war ein zu reizender Mensch; ein Bruder hätte nicht aufmerksamer um sie bemüht sein können. Und wenn sie tanzte, sah sie immer irgendwo Achim stehen, der zusah und besonders ihr zuzusehen schien.

Sie fand auch den großen, etwas niedrigen Saal, der mit Tannenguirlanden und Fähnchen ziemlich schützenfestartig geputzt war, sehr gemütlich und alle älteren Herren und Damen sehr nett, wenn man den Damen auch meist sehr deutlich anmerkte, daß sie sich in den eleganten Kleidern nicht sehr glücklich fühlten und in fortwährender Angst davor schwebten, begossen zu werden.

Weder sie noch Achim hatten eine Ahnung davon, daß sie im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses standen. Sie tauschten keinen flüchtigen Blick, kein Wort, ohne daß es besprochen wurde.

Mehr als einmal sah Bläser sich auf die Geschichte angeredet. „Ist es wahr, daß sie heimlich verlobt sind?“

„Ich weiß von nichts,“ sagte er mit vielsagendem Lächeln.

„Ach thun Sie man nicht so. Das merkt man ja an Ihrem Verkehr mit Fräulein Osterroth, daß Sie eingeweiht sind. Warum veröffentlichen denn die Menschen nicht ihre Verlobung? Er hat doch Geld. Und sie den reichen Onkel,“ meinte die Doktorin Sebold; „so – kompromittiert er das Mädchen. Denn wissen Sie – daß sie heimlich zu ihm läuft … das ist doch selbst für ’ne Berliner junge Dame ’n bißchen stark!“

„Meine gnädigste Frau,“ sprach Bläser sehr ernst, „ich muß jedermann davon abraten, über Fräulein Susanne Osterroth schlecht zu sprechen. Ich glaube, weder ich noch mein Freund Körlegg würden das ungeahndet hingehen lassen!“

„Nun, ich sage ja nichts Schlechtes. Aber daß sie bei ihm gewesen ist, ist doch wahr. Die Leermann hat’s mir selbst erzählt.“

„Dann sollte Ihr Herr Gemahl die alte Leermann untersuchen – sie scheint nervös zu sein und an Hallucinationen zu leiden!“ sagte Bläser und ging davon.

„Aus dem kriegen Sie nichts ’raus, liebe Sebold,“ sprach Frau Rechtsanwalt Müller, „die Leutnants halten unter sich zusammen. Aber Ihr Mann, als Hausarzt und Freund, sollte es dem Oberamtmann stecken!“

Am glücklichsten war Susanne, als es endlich zu Tisch ging. Die ganze Gesellschaft zog paarweise die Treppe hinunter, denn die Tafeln waren unten, im großen Speisesaal, gedeckt, wo sonst an der Table d’hote ein paar Handlungsreisende, einige Beamte und Offiziere aßen, eine Menscheninsel, zwischen weiß bedeckten, öden, langen Tischplatten.

Bläser hatte natürlich die Plätze so belegt, daß sie ihn an ihrer anderen Seite fand.

„Wer mir noch vor vierzehn Tagen gesagt hätte, daß dies möglich sei,“ sprach sie zu Achim, „mir ist gerade, als sei ich aus einem düsteren Traum erwacht, in dem es nur Schreck, Trauer, gesteigerte Gedanken und ewige Sensationen gab. Nun sitze ich hier ganz friedlich, ganz menschlich neben Ihnen.“

Er drückte ihr die Hand. Er wußte wohl: das treue Mädchen hatte mitgelitten.

„Ich soll Ihnen noch etwas ausrichten!“ begann sie.

„Lassen wir das,“ bat er hastig, „lassen wir die ganze schwere, schwüle Vergangenheit. Gönnen Sie mir die harmlose Stunde!“

Mein Gott – ja, dachte sie, er ist gewiß froh, einmal aufatmen zu können.

Sie sprachen nicht mehr von Sabinen. Eine stille, innerliche Fröhlichkeit erfüllte sie beide ganz. Ihre Umgebung gab ihnen auch Stoff genug zu heiteren Beobachtungen, denn ihnen, den Großstädtern, war manches neu auf diesem Fest. Es wurden viele Reden gehalten: auf den Vorstand, den Kommandeur des in Mühlau garnisonierenden Bataillons, auf die Damen, auf die anwesenden Brautpaare. Endlich brachte der alte Getreidehändler Müller noch einen Toast aus, auf den „Herrn Knusemon“. Man erklärte das den Offizieren: „que nous aimons“, „was wir lieben“, sollte das heißen, es war der ständige Witz des alten Herrn; die jüngere Generation lächelte mitleidig und nachsichtig über den alten Herrn, und Frau Rechtsanwalt Müller, seine Schwiegertochter, genierte sich sehr.

Susanne fand alles „amüsant, reizend, urgemütlich, altväterisch, rührend.“

„Von diesem Balle werden wir noch oft in Berlin sprechen,“ sagte sie zu Achim.

„Werden wir uns oft dort sehen?“ fragte er mit besonderer Betonung.

„Hoffentlich fordert Onkel Fritz Sie zu seinem Donnerstag auf,“ meinte sie lebhaft; „ach, da ist es immer nett! Sie glauben nicht, wie! Onkel Fritz hat eine alte Haushälterin, eine prachtvolle Person. Die macht ihm alles sehr behaglich. Und jeden Donnerstag Abend sind Mama und ich da; außer uns werden noch drei Personen eingeladen, die wechseln. So ist es immer neu und doch immer intim.“

„Darf ich auch Ihrer Frau Mama einen Besuch machen?“ fragte er und sah sie an.

„O gewiß,“ sagte sie und wurde sehr befangen; „ich habe Mama schon viel von Ihnen geschrieben!“

„Haben Sie!“ rief er freudig.

Das hätte ich nicht sagen dürfen! dachte Susanna bestürzt, was wird er von mir denken.

Nach Tisch folgte noch der Cotillon mit endlosen Touren. Der Vorstand hatte die unglaublichsten Mützen, Attrappen, Scherze kommen lassen. Auch eine Blumentour gab es. Und vor aller Augen holte der nichttanzende Herr von Körlegg einen Strauß vom Blumenständer und brachte ihn Susanne Osterroth.

Das war deutlich!

Susanna brachte ihren Orden Bläser.

„Nie war eine Auszeichnung verdienter!“ sagte sie, den Papierstern an seinen Waffenrock heftend.

„Ich that nur, was eigne Verehrung und Freundschaft für einen gewissen Jemand mir gebot,“ sprach er übermütig.

Was will er damit sagen? dachte Susanne erschreckt.

In fröhlicher Müdigkeit ging sie endlich heim. Es war drei Uhr morgens. Reinald ging neben ihr, bis zur Hausthür.

Er war so still, daß es selbst Susannen in all ihrer guten Laune peinlich auffiel.

Dann saß sie noch auf Sabincns Bett und erzählte.

Ich will ihr das Herz nicht schwer machen, dachte sie und sprach fast gar nicht von Achim. Daß sie ihre Bestellung ausgerichtet habe, betonte sie und dachte ganz verwirrt: Mein Gott – das hab’ ich ja gar nicht – er wollte es nicht! Auch daß er gar nicht getanzt hatte und mit ihr zu Tisch saß, erzählte sie. Das schien Sabinen wohlzuthun.

Und endlich schlief Susanne ein, mit friedlichen, still glücklichen Gedanken.

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Am andern Morgen im Kasernenhof schimpfte Bläser etwas übellaunig mit den Soldaten herum, die Kniebeugen von einer Ungeschicklichkeit machten, daß einem die Haare zu Berge stehen konnten! Solche Kerls hatte es noch nie im Regiment gegeben! Und die Rotte, sonst für Bläser gewissermaßen schwärmend, weil er lustig und human war, nahm sich kolossal zusammen. Der Unteroffizier, seines Leutnants üble Laune bemerkend, schrie die Leute auch mehr an als sonst.

Achim von Körlegg kam und begrüßte seinen Kameraden. Sogleich zog Bläser ihn beiseite.

„Eh’ der Hauptmann kommt, zwei Worte. Der Deubel ist los, Körlegg. Ganz Mühlau ist voll von Ihrem ‚Verhältnis‘ mit Fräulein Susanne. Die alte Leermann hat sie doch erkannt und nicht dicht gehalten. Die Tugendbasen von Mühlau schreien Zeter, daß Fräulein Susanne bei Ihnen auf der Bude war. Ich hab’ gesagt, die alte Leermann litte an Hallucinationen. Ich hab’ geredet und gedroht und gewarnt! Aber Sie wissen ja, wie so etwas läuft! Und in acht genommen habt ihr euch gestern abend nun auch nicht ein bißchen – das nehmen Sie mir nicht übel, Körlegg. Mir scheint, handeln thut not! Was scheren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0526.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2021)