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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Hans lachte zutraulich auf. „Dein bekannter Generalstabsblick! – Es ist aber nicht von Bedeutung, beruhige dich. Will dir nur pflichtschuldig beichten, daß mir neulich, als ich zum Theater in die Stadt kam, eine reizende junge Dame mit wunderbar frischen Farben sehr – sehr imponiert hat –“

„Schon wieder! – Kennst du sie?“

„Ja. Ich wurd’ ihr im Zwischenakt vorgestellt. Fräulein von Sabirow. – Kennst du sie auch?“

Clotilde nickte ernsthaft. „Ja. Sie malt sich sehr ähnlich.“

Malt sich? – Wieso ähnlich?“

„Vor zehn Jahren sah sie grade so aus wie jetzt!“

Er starrte die Tante verblüfft und daher nicht sehr geistreich an. „Vor zehn Jahren?“

„Ja.“

„Sie malt sich?“

„Ja. – Ja, mein Herzchen, deine unschuldigen Landjunkeraugen wählen bis jetzt nicht besonders glücklich. – – Einen mütterlichen Rat möcht’ ich dir bei der Gelegenheit noch geben; darf ich?“

„Bitte!“

„Du suchst durchaus schon deine Zukünftige; – na ja, meinetwegen. Der zukünftige Gutsbesitzer … Aber du Unglücklicher hast offenbar die fixe Idee, dich so recht durch einen Gegensatz zu ergänzen;“ Clotilde seufzte leise und blickte auf die Erde; „gieb das auf, mein Junge. Glaub mir, Mann und Weib sind von Natur schon verschieden genug! Wenn nun gar Schwarz und Weiß sich zusammenthun, so nebeneinander auf die Scheibe gemalt – hast wohl einmal so ’ne Scheibe gesehn, in ’ner physikalischen Vorstellung –“

Er nickte.

„Und wenn dann in der Ehe die Scheibe sich zu drehen anfängt – so wird, grade wie in der Physik, ein trauriges Grau daraus! – Nein, nimm dir lieber eine, die von deiner Art ist. Wirst dich immer noch wundern, Hänschen, wie die Bäume auseinander wachsen, du nach rechts, sie nach links; dafür ist gesorgt!“

Es war ihm, wie wenn er sie wieder leise seufzen hörte; er wußte auch, warum. Es ging ihm zu Herzen. Etwas befangen antwortete er nach einer Pause: „Ja, ja. – Ja, ja.“ Er schwang sich zu einem befreienden Scherz auf: „Ich hab’ ja vor der Weisheit meiner Tante Clotilde allen denkbaren Respekt. Bist ja mein Professor der Lebenskunst! – Ueberhaupt – meine Verehrung – – weißt du, daß ich deine Photographie immer bei mir führe? hier?“

Er griff in seine Brusttasche und zog eine Photographie in Kabinettsform hervor. Sie erkannte sie.

„Welche Ehre!“ sagte sie und lachte. „Rührender junger Mensch!“

Er steckte sie wieder ein. Plötzlich kam ihm der Gedanke, der ihm wohl schon eine Weile unklar die Brust beschwert hatte: Sie fragt gar nicht nach ihrem Mann!

In demselben Augenblick dachte ClotUde: Er spricht nicht von Julius!

Hans faßte Mut.

Mit einem diplomatischen Umweg begann er: „Ich reit’ also noch heute abend wieder hinaus. Der – – Mein Cousinchen ist also hier?“

„Ja, seit drei Tagen. Ich hab’ nun eine große, sechzehnjährige Tochter …“

Sie sah ihn erwartend an; er sie auch.

Er nahm wieder das Wort, vor Verlegenheit und Anstrengung rot geworden: „Und Luise – und ihr – und du denkst hier noch lange zu bleiben?“

„In der Villa Viola?“

„Ja.“

„Warum sollt’ ich fort?“ – Sie stand auf. – „Hat dir Onkel Julius – ?“

Hans erhob sich auch. „Was, Tante?“

„Das frag’ ich dich. – Ich hab’ ihm eine Depesche geschickt. Hast du die noch gesehn?“

„O ja. Freilich, Tante. Eh ich fortritt, hab’ ich sie ihm noch auf den Tisch gelegt; und er kam dann und –“

„Und hat sie gelesen?“

„Natürlich. Ja.“

„Und – und – – und er hat dir keine Antwort darauf mitgegeben?“

Hans ward wieder rot. Es kam ihm auf einmal abscheulich märchenhaft vor, daß zwischen diesen beiden Menschen, die er so verehrte, er, Hans von Hochfeld, auf eine so verrückte Art den Vermittler spielte.

„Mitgegeben?“ fragte er zurück, da ihm gar nichts anderes einfallen wollte.

„Nu ja!“ sagte Clotilde, die auch ein Erröten anflog. „Einen Zettel? ein Blatt Papier? ein Billet?“

Er schüttelte eine Weile den Kopf.

„Also keine Antwort?“

„Doch, doch. Es wird sich finden, soll ich dir sagen. Er weiß es noch nicht.“

„Ah! Er weiß es noch nicht!“

„So hat er gesagt. Das Weitere wird sich finden: das waren seine letzten Worte. Vielleicht, sagte er, kommt er noch selber auf ’ne halbe Stunde, um Luise zu sehn.“

„Hm!“ murmelte sie. „Auf ’ne halbe Stunde …“

Sie machte ein paar kurze Schritte; in vollkommener äußerer Fassung kam sie dann zurück. „Luise wird sich freuen,“ warf sie hin. „Sie erwartet ihn schon. – Dann ist ja alles gut und in Ordnung … Warum hast du das nicht gleich gesagt? Hast wohl unterwegs zu viel an die Selbstmalerin, die Sabirow, gedacht! – – Na, und wie lebt ihr denn?“

„Onkel Julius und ich?“

Sie nickte ungeduldig.

„Danke; so, so. – Ich bin ja keine große Unterhaltung für ihn, er ist aber sehr gut zu mir. Wenn er allein in seinem Zimmer speist, dann ess’ ich in meinem; oft essen wir aber auch zusammen im Speisesaal; manchmal der Inspektor mit. Dann wird viel von Politik und Landwirtschaft gesprochen –“

„Und wenn ihr beide zusammen eßt?“

Hans zuckte die Achseln. „Ja, dann spricht der Onkel nicht gar so viel. Er brütet oft vor sich hin; er –“

Clotilde machte eine Bewegung, daß er wieder verstummte. Sie faßte sich aber geschwind. Durch eine zweite Gebärde schien sie ihm zu sagen: sprich nur ruhig weiter!

„Onkel Julius ist übrigens sehr thätig,“ fing er denn auch geschwind wieder an. „Er wandert viel mit dem Inspektor herum; er sitzt halbe Tage über seinen Büchern; besonders glücklich ist er mit seiner alten Liebe, seinen Blumen und Pflanzen. Neulich haben wir zur Abwechselung ein Unglück gehabt –“

„Ein Unglück?“

„Nur ein kleines. Das heißt, doch ein Meter sechzig hoch. Von den beiden großen Gipsstatuen, die in Onkel Julius’ Arbeitszimmer stehn – Flora und Fortuna – ist die eine zerschlagen worden –“

„Durch wen?“ fragte Clotilde.

„Durch den alten Mahnke. Er fiel.“

„Welche denn?“

„Die Fortuna.“

„Oh!“

Ueber ihr bisher gleichgültiges Gesicht flog ein Zucken hin. Sie wendete sich langsam ab. Endlich wiederholte sie leise, in einem schmerzlich abergläubischen Gefühl: „Die Fortuna …“

„Ja,“ murmelte Hans.

Clotilde ging am Rasenplatz hin, gegen die Elbe zu. Ihr war schlecht zu Mut; das kam jetzt so leicht bei ihr, bei geringem Anlaß. Und auf meine Depesche, dachte sie, nur eine mündliche Antwort; durch den Jungen da. ,Das wird sich finden.‘ ‚Vielleicht kommt er auf ’ne halbe Stunde her.‘ Aber nur um das Kind zu sehn …

O Julius! Julius! Was ist aus uns geworden?

Es erwachte nun aber ihr alter Trotz. Sie drückte die Fäuste gegeneinander, daß die Ringe an ihren Fingern ihr weh thaten. Soll ich mich mit ihm aus der Welt verbannen, weil er die Laune hat, weltmüde zu sein? Sind wir denn alt und grau? – Fünfundvierzig ist er alt, und ich fünfunddreißig. – Ich will leben! leben!

(Fortsetzung folgt)     


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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0536.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2022)