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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Fürst Bismarck und F. L. Jahn.

Von Carl Euler.


In seinen „Gedanken und Erinnerungen“ erwähnt Fürst Bismarck „die turnerische Vorschule mit Jahnschen Traditionen“ bei Plamann und bemerkt ausdrücklich, daß er von dort „deutschnationale Eindrücke“ mitgebracht habe. Von diesen Eindrücken sagt er dann weiter, daß sie im Stadium theoretischer Betrachtungen geblieben und nicht stark genug gewesen seien, um angeborene preußisch-monarchische Gefühle auszutilgen.

Als sechsjähriger Knabe, Ostern 1821, wurde Otto von Bismarck Zögling der Erziehungsanstalt des Dr. Plamann in Berlin. An ihr hatten einst Friedrich Ludwig Jahn, Friesen und Harnisch gewirkt, jene Männer, welche, von glühendem Patriotismus erfüllt, damals, in den Jahren der Erniedrigung und Schmach, die über Preußen und Deutschland hereingebrochen war, alles, was sie wollten und trieben, nur von dem Standpunkte des zu rettenden Vaterlandes ansahen. 1820 wurde über das Turnen der Bann ausgesprochen; Jahn war in Haft, Friesen 1814 in Frankreich gefallen, Harnisch bereits seit 1812 in Breslau an der Spitze des dortigen Lehrerseminars. In Berlin blieb allein Jahns treuester Schüler, Ernst Eiselen. Er ging als Lehrer ganz zur Plamannschen Anstalt über und durfte hier auch das Turnen unter dem Namen „Gymnastik“ weiterpflegen. Er war der Vermittler der „Jahnschen Traditionen“.

Anfangs soll der kleine Bismarck sich in der Plamannschen Anstalt nicht wohlgefühlt haben; er hat sich schwer in das ihn beengende Anstaltsleben hineinfinden können. Allmählich wurde aber seine Stimmung besser. Schon damals zeigte er ein ausgezeichnetes Talent zur Organisation. Bei den kriegerischen Spielen in den Freistunden im Garten der Anstalt war er stets der Anführer und Leiter. Die Kämpfe wurden oft so ungestüm und heftig, daß die Lehrer dazwischentreten mußten. Besonders der Trojanische Krieg wurde mit Vorliebe durchgekämpft; die Zöglinge legten sich die Namen griechischer Helden bei, Bismarck hieß Ajax. Er führte über jedes Treffen ein genaues Buch. Auch las Bismarck von einer Linde herab den unten gelagerten Mitschülern aus Beckers Erzählungen aus der alten Welt die Kämpfe der Griechen und Trojaner, die Thaten des Herkules und Theseus vor. Die Linde stand noch vor fünfzehn Jahren. Dann mußte sie einem Neubau weichen. Eine Inschrift über der Thür dieses Hauses (Königgrätzerstraße Nr. 88) sagt, daß hier die „Bismarcklinde“ im Garten der ehemaligen Plamannschen Erziehungsanstalt gestanden habe.

Seine „preußisch-monarchischen Gefühle“ hielten aber Bismarck nicht ab, für Deutschlands Ehre mit der Waffe in der Faust schon als Student einzutreten, so gegen jenen Engländer, der über den deutschen Michel „mit der Schlafmütze über den Ohren und dem bunten Schlafrock aus sechsunddreißig Lappen“ gewitzelt hatte. Daneben äußerte er aber auch schon damals: „Deutschland wird einig werden, aber nicht durch die Schläger der Korpsburschen, noch durch die Tinte der Schreiber.“ – –

Auch Jahn ging vom preußischen Patriotismus aus. Auch er hatte sich seine gut preußisch-monarchische Gesinnung bewahrt und sie mit der Begeisterung für die deutsche Einheit vortrefflich zu vereinen gewußt. Von einer deutschen Republik wollte auch er nichts wissen. Arnold Ruge behauptete sogar, Jahn sei in Hinsicht auf staatliche Freiheit all sein Lebtag nichts anderes gewesen als ein durch und durch königlich, ja hohenzollerisch gesinnter Mann.

1817 schloß Jahn seine Vorträge über deutsches Volkstum mit den Worten: „Gott segne den König, erhalte Hohenzollerns Haus, schirme das Vaterland, mehre die Deutschheit, läutere unser Volkstum von Welschsucht und Ausländerei, mache Preußen zum leuchtenden Vorbild des deutschen Bundes, binde den Bund zum neuen Reich und verleihe gnädig und bald – das Eine, das Not thut – eine weise Verfassung.“ Und 1840 sagte Jahn in einem Trinkspruch auf König Friedrich Wilhelm IV: „Der König ist unseres Volkes lebende und webende Fahne, zu der wir in Frieden und Freude halten, in Not und Gefahr, in Kampf und Sieg. Aber am Vaterland hat er auch sein Teil und nicht den geringsten.“

Jahns erste Schrift über „die Beförderung des Patriotismus im Preußischen Reiche“, die im Jahre 1800 erschien, hatte einen durchaus preußischen Charakter. Sie beginnt mit den Worten: „Der Bewohner der preußischen Staaten liebt sein Vaterland, verehrt seine Fürsten und ist stolz darauf, zum preußischen Volke zu gehören. Diese Empfindungen würden seinen Busen nicht schwellen, schwebten nicht die Thaten seiner Vorfahren, die Wohlthaten und Verdienste seiner Regenten, freilich oft nur dunkel, vor seinen Augen.“ Jahn klagt aber, daß das preußische Volk in so tiefer Unwissenheit seiner Geschichte lebe. Das sei Schuld der preußischen Schulen, welche die Geschichte des Vaterlandes vernachlässigten. Auf den Universitäten ständen die Hörsäle der Geschichte des Vaterlandes leer. Vom Volkslehrer werde zwar verlangt, er solle seinen Zuhörern die Pflichten gegen das Vaterland predigen, er solle der Jugend im Unterricht Patriotismus einflößen. Aber er besitze keinen Patriotismus, kenne nicht diese Tugend, weil er sein Vaterland nicht kenne.

Jahns preußischer Patriotismus erweiterte sich infolge der Vergewaltigung der deutschen Staaten, im besondern der Zertrümmerung Preußens durch Napoleon, zu dem Hochgedanken der deutschen Einheit, deren Ahnung schon in dem Knaben aufgegangen war und die dann ihren begeisterten Herold in Jahns „Deutschem Volkstum“ gefunden hat, das Blücher als das „deutscheste Wehrbüchlein“ pries.

Aber nur ein deutscher Staat konnte diese Einheit schaffen, nur auf einem das künftige Heil Deutschlands beruhen: dies war Preußen. Mit Sorge dachte Jahn an eine Zweiteilung der Macht in Deutschland durch Preußen und Oesterreich. Letzteres war ihm ein zu großer „Völkermang“. Allezeit werde es den Oesterreichern mißlingen, ihre Staatsbrüder zu verdeutschen, ein so herrlicher Kraftstamm auch das Deutsch-Oesterreich sei, ein so ausgezeichnetes, im Glück und Unglück bewährtes Fürstenhaus auch die Länder und Staaten zusammenhalte. An Preußen lobt Jahn, daß deutsch sein Stamm sei und die überwiegende Mehrzahl des Volkes. Selbst sein namengebendes Volk sei eine alte deutsche Pflanzung. So prophezeit Jahn uns eine zeitgemäße Verjüngung des alten, ehrwürdigen Deutschen Reiches durch Preußen, und in dem Reiche ein Großvolk, das zur Unsterblichkeit in der Weltgeschichte menschlich die hehre Bahn wandeln werde.

Seine „Runenblätter“ (1814) schließt Jahn mit den Worten: „Wider die Waltlosigkeit billigt das Volk Hippokrates’ Mittel wider den Krebs: ,Was Arznei nicht heilet, heilet das Eisen, was das Eisen nicht heilet, heilet das Feuer‘.“ „Waltlosigkeit“ bedeutet in Jahns Ausdrucksweise soviel wie Anarchie. In dem Prozeß gegen Jahn bildete dieser Ausspruch einen schweren Anklagepunkt. Bismarck aber, als preußischer Minister, äußerte am 30. September 1862 in der Sitzung der Budgetkommission des preußischen Abgeordnetenhauses: „Die deutschen Zustände und Verfassungsverhältnisse zu verbessern, ist wünschenswert und notwendig, was jedoch nicht durch Majoritätsbeschlüsse, Reden etc., sondern nur durch Eisen und Blut bewirkt werden kann.“

Den Höhepunkt in Jahns Leben bildete seine am 15. Januar 1849 in der Frankfurter Nationalversammlung gehaltene Kaiserrede, in der er es als die größte Genugthuung seines langen Lebens und Strebens erklärte, daß er endlich einmal in öffentlicher Versammlung als Vertreter des deutschen Volkes reden könne für die Einheit und Freiheit Deutschlands. Die so heißersehnte Neuerstehung des Deutschen Reiches mit einem Hohenzoller als deutschem Kaiser an der Spitze hat Jahn nicht mehr erlebt. Bismarcks Stern war noch nicht aufgegangen.

Im preußischen Landtag 1848 und 1849 hatte Bismarck die schärfsten Reden gegen die herrschende preußische Politik geführt. Die dem Erfurter Parlament vorgelegte Verfassung war ihm nicht preußisch genug. In einem Bündnis Preußens mit Oesterreich sah er die einzige Schutzwehr gegen die Revolution. Erst 1862, als Ministerpräsident, schlug er die nationale Politik ein, die zu so gewaltigen Erfolgen führte. Zunächst wurde 1864 Schleswig-Holstein wieder den Dänen entrissen. Diese Befreiung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0538.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2022)