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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Ringen kam der Brief, den ich für eine verhüllte Absage nahm – meine Antwort ist damals nur eine Verzweiflungsthat gewesen!“

„Und mein Jawort an Wilkow war es auch!“ sagte Elfriede leise.

„Aber du wurdest doch sein Weib,“ warf Robert mit bitterem Vorwurfe ein, „und wie zum Hohne kam bei mir schon im nächsten Jahre der Wendepunkt meines Lebens. Es gelang mir, Fuß zu fassen, und als ich erst fest stand, trotzte ich auch dem Schicksale ab, was es mir bis dahin versagte. Da ging es auf einmal aufwärts mit schwindelnder Schnelligkeit, da suchte mich das Glück förmlich, nachdem es mich so lange geflohen hatte, aber da war es zu spät – ich hatte dich verloren!“

„Verloren?“ Die junge Frau sah nicht auf, sie beugte sich tief über den sprudelnden Quell, als sie kaum vernehmbar hinzusetzte: „Du bist ja frei geblieben, Robert, und ich – bin es wieder geworden!“

„Aber du bist eine andere geworden, Friedel, eine ganz andere,“ sagte er herb. „Wie du es verlernt hast, die Heimat zu lieben, so hast du auch kein Herz mehr für mich. Damals, bei unserer letzten Begegnung in Korfu, hätte ein Wort von dir unser beider Schicksal entschieden. Ich harrte darauf. Du sahst es, aber du gingst und ließest mich zum zweitenmal allein.“

„Nun, so bin ich jetzt gekommen!“ Sie hatte sich emporgerichtet und in den dunklen Augen standen heiße Thränen. „Ich kam freilich in Todesangst, aber ich kam ja doch zu dir!“

„Zu mir?“ Adlau stutzte und sah sie einen Augenblick lang verständnislos an, dann aber erriet er die Wahrheit. „Du wußtest also – du hattest erfahren –?“

„Von deinem Sturze, ja. Der Vater schrieb mir, du seiest schwer verwundet, es sei alles zu fürchten; da faßte mich die Angst, die Verzweiflung. Ich ließ mich nicht halten, sondern flog hierher. O, es waren furchtbare Stunden und Tage, aber gleichviel – ich wollte zu dir!“

Sie lehnte in ausbrechendem Weinen ihr Haupt an seine Schulter, er hatte ja längst schon die Arme ausgestreckt und sie stürmisch an seine Brust gezogen. Da versiegten denn die Thränen bald.

„Friedel!“ Die Stimme Roberts bebte, aber sie klang in vollster Innigkeit. „Friedel, wir können ja doch nicht voneinander lassen, wir haben es oft genug erprobt! Du und ich, wir gehören nun einmal zusammen, nun, so wollen wir es auch zusammen suchen, was doch keiner von uns allein gefunden hat – das Glück!“

Friedel antwortete nicht, sie schmiegte sich nur fester in seine Arme. Zu ihren Füßen rauschte und rieselte der Quell und wieder klang es empor, wie leises Flüstern, wie ein verhallendes Echo – das Glück! Das Glück!


Geheimrat Rottenstein saß noch auf der Veranda mit seinem Gaste und sah nach der Uhr: nun, meinte er, könne die Sache im Reichenauer Forst endlich erledigt sein. Wellborn, der sich die unbegreifliche Sorglosigkeit des Vaters nicht erklären konnte, war längst unruhig geworden über das lange Ausbleiben der jungen Frau. Er behauptete, es müsse ihr im Walde etwas passiert sein, und machte eben zum zweitenmal den Vorschlag, Nachforschungen anzustellen.

„Ist gar nicht nötig, da kommen sie schon!“ rief der alte Herr und wies auf das Gitterthor, wo soeben die Vermißte erschien, aber nicht allein.

„Gott sei Dank!“ sagte Wellborn. „Aber Herr Adlau ist auch dabei – natürlich, er ist ja Ihr nächster Gutsnachbar.“

„Ja, ich finde das auch ganz natürlich, aber jetzt entschuldigen Sie mich!“ rief der Geheimrat, indem er mit jugendlicher Rüstigkeit aufsprang und die Stufen hinabeilte, den Ankommenden entgegen. Wellborn erhob sich gleichfalls und schickte sich an, zu folgen. Er fand es auch „ganz natürlich“, daß Elfriede in die weit ausgebreiteten Arme des Vaters flog und sich an seine Brust warf, aber dann kam etwas, das er „merkwürdig“ fand. Der alte Herr wandte sich zu Adlau und streckte ihm die Hand hin, aber dieser umarmte ihn ohne weiteres und küßte ihn herzhaft auf beide Wangen. Das schien ja eine sehr intime Freundschaft und Nachbarschaft geworden zu sein, ob die gnädige Frau wohl damit einverstanden war? Ferdinand setzte eben den Fuß auf die Treppe, da – da legte dieser Freund und Nachbar urplötzlich den Arm um die gnädige Frau und küßte sie, hier im offenen Garten, am hellen Mittage, und sie schien ganz einverstanden damit!

Der junge Mann stand da wie eine Salzsäule. Er begriff überhaupt etwas schwer, bei diesem Anblick aber hörte sein Begriffsvermögen vollständig auf. Doch schon in der nächsten Minute ward ihm die Erklärung dafür, denn die laute, fröhliche Stimme des alten Herrn tönte bis zu ihm herüber:

„Also verlobt habt ihr euch, Kinder? Das dachte ich mir, weil die Geschichte so lange dauerte, und eine Ueberraschung war das gar nicht für mich! Ich saß bereits seit einer halben Stunde auf der Veranda und wartete auf das Brautpaar. Aber eine Freude habt ihr mir gemacht, eine wahre Herzensfreude!“

Er breitete die Arme aus, und nun fing das Umarmen wieder an. Dem unglücklichen Ferdinand wurde es ganz schwarz vor Augen. Er hatte gerade noch so viel Besinnung, sein Wetterglas vom Tisch zu raffen und damit in den Hausflur zu flüchten, der glücklicherweise auf der anderen Seite wieder hinaus und in den Hintergarten führte. Wie er eigentlich durch diesen Garten und hinausgekommen war, das wußte Wellborn dann selbst nicht. Er stand auf einmal am Ufer eines kleinen Baches, der lustig plätschernd zwischen Weinbergen dahineilte, und starrte wie geistesabwesend auf sein Wetterglas, das er krampfhaft festhielt. Dieses schändliche Glas wollte noch immer die günstige Vorbedeutung aufrecht erhalten, es stand unverrückt auf „Schön Wetter“. Da packte den jungen Mann die Wut.

„Du bist falsch, wie der, der dich erfunden hat, grundfalsch!“ brach er ingrimmig aus. „Und sie ist auch falsch, die ganze Welt ist es! Fort mit dir!“

Im weiten Bogen flog das Wetterglas hinein in die Weinreben, wo es klirrend aufstieß; aber diese außergewöhnliche Benutzung schien ihm Spaß zu machen. Es blieb nicht liegen, sondern hüpfte in lustigen Sprüngen den ganzen Berg hinunter und schließlich in den Bach. Da tauchte es noch einmal auf und verschwand dann in den Wellen. Merkwürdig, wie das ganze Dasein dieser Erfindung war auch ihr Ende!

Dem Geheimrat Rottenstein war es eine große Erleichterung, als er bei der Rückkehr in die Veranda seinen Gast nicht mehr vorfand. Man wäre doch einigermaßen in Verlegenheit gewesen, was mit Ferdinand anzufangen sei, und erriet ungefähr, weshalb er so spurlos verschwand. Der alte Herr aber fand es jetzt für gut, in die Tiefe seines Kellers niederzutauchen, um dort etwas ganz Besonderes heraufzuholen. Er nahm eben den Schlüssel, da ertönte draußen ein Lachen, so hell, so übermütig und jugendfrisch, wie er es lange Jahre nicht gehört hatte.

„Gott sei Dank, sie kann wieder lachen, meine Friedel!“ sagte er seelenvergnügt. „Das war ganz der alte Ton! Und jetzt brauche ich auch nicht mehr nach Aegypten oder gar nach Indien, jetzt ,versumpfe‘ ich fröhlich weiter hier in meinem Lindenhof!“

Zufällig hatte Robert draußen auf der Veranda dasselbe Wort ausgesprochen; er hatte seine Braut gefragt, ob sie denn wirklich entschlossen sei, in Brankenberg zu versumpfen, und damit jenes helle Lachen hervorgerufen; jetzt aber fügte er tröstend hinzu: „Aber gar zu eng wollen wir uns doch nicht einspinnen in unserem Nest. Ich bin ja auch lange genug ,da draußen‘ gewesen; da bleibt immer etwas hängen von der alten Wanderlust. Wir fliegen noch manchmal in die Welt hinaus, aber wir wissen dann doch, wo unsere Heimat ist. Wird dir das genug sein, Friedel?“

Die junge Frau war plötzlich ernst geworden und ihre Augen schimmerten feucht, als sie leise erwiderte: „Wenn du wüßtest, Robert, wie unglücklich ich gewesen bin in all den Jahren, wo sich die halbe Welt vor mir aufthat, wie öde und einsam es in mir war, während eine ganze Flut von Menschen mich umwogte! Eingestanden habe ich das freilich niemals, nicht einmal mir selber, aber sie ist mir wie ein verlorenes Paradies erschienen, jene Zeit, wo wir beide noch arm waren – und so jung, so hoffnungsreich!“

Robert lächelte nur und sah ihr tief in das Auge. „Nun, so uralt sind wir doch auch jetzt noch nicht, sollte ich meinen! Wir müssen es eben lernen, wieder jung zu sein. Den Reichenauer Forst aber kaufe ich jetzt unter allen Umständen. Da haben wir beide heute den Quell entdeckt, aus dem man sich neue Jugend trinkt und neues Leben, und den lassen wir keinem anderen, gelt Friedel? Den wollen wir hüten unser Leben lang!“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0544.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)