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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

neugierigen Mannes, der, kaum die Schwelle hinter sich, aller Welt mit rohen Worten von ihrem schmerzlichen, heiligen Geheimnis erzählen würde.

Von dem Geheimnis ihrer großen, unseligen, hoffnungslosen Liebe.

Nein, das um keinen Preis.

Schrecklich schon, daß sie es ihren Eltern sagen mußte. Mit Worten das Unsagbare klarlegen – das, was nur in keuschem Schweigen wahrhaft groß bleiben konnte. So groß, daß es sie noch erhob in all ihrem Elend. – – –

Ihr Vater mußte und würde dann Mittel und Wege finden, der Verleumdung den Mund zu stopfen.

Und hinter diesen Gedanken standen noch andere, quälend, unbestimmt, drohend.

Die Eifersucht regte sich und wollte Sabinens Herz angstvoll umklammern.

Wie – so vertraut, so innig hatten die beiden verkehrt, daß die Gesellschaft Liebende in ihnen zu sehen glaubte …

„Sabine, sollen wir sie rufen?“ fragte die Oberamtmännin.

„Nein. Ich werde erst selbst und allein mit ihr sprechen, wenn Herr Doktor Sebold fort ist!“ sagte sie hart.

„Ich gehe schon, meine beste gnädige Frau,“ beeilte er sich zu sagen. Denn er fühlte wohl: sie wies ihn hinaus.

In diesem Augenblick kam Guste in das Zimmer gestürzt, eine Visitenkarte in der Linken.

„Da ist ’n Offizier draußen. Er möchte mit Ihnen allein sprechen, Herr Oberamtmann,“ sagte sie.

Der Oberamtmann nahm die Karte.

„Es ist Herr von Körlegg,“ sprach er ernst.

Sabine wurde weiß wie der Kalk an der Wand.

Eine kurze Pause entstand.

„Ich lasse bitten. Guste, laß den Herrn ins Wohnzimmer! Na, Adieu, Sebold.“

Er schüttelte dem Doktor die Hand, und der fühlte sich zu sehr „entlassen“, um noch einen Augenblick bleiben zu können.

Der Oberamtmann rückte sich ein bißchen zurecht. Er fühlte, daß er einem wichtigen Augenblick entgegenging.

Hoch richtete er sich auf, in seiner ganzen, schwerfälligen Würde fast imposant anzuseh’n.

„Papa,“ sagte Sabine mit tonloser Flüsterstimme, „laß die Thür auf, daß wir hören können. Nur einen Spalt. Wir rühren uns nicht. Es ist ja kein Geheimnis für uns, wovon die Rede sein wird!“

Er nickte Gewähr und ging mit wuchtigen Schritten in das andere Zimmer.

Ein wahnsinniger Gedanke hatte sich Sabinens bemächtigt. Sie horchte mit allen Sinnen. Ihr war, als könnte sie durch die Mauer sehen und sähe den alten, selbstbewußten, würdigen Mann und ihm gegenüber ernst und nicht minder würdig den jungen. Und er gestand alles. Und er sagte, daß er und Sabine sich liebten, daß er geglaubt habe, des Toten wegen verzichten zu müssen, daß er aber nun eingesehen habe, welches Unheil auch für eine Unschuldige daraus entstanden sei, und daß er nun komme, um Sabinens Hand zu werben – – –

Sie horchte mit gierig vorgeneigtem Leib. Und sie hörte:

„Verzeihen Sie, Herr Oberamtmann, daß ich in Ihr Haus dringe. Sie werden annehmen, daß nur eine außerordentliche Angelegenheit mich bestimmen konnte, Ihnen zuzumuten, mich zu empfangen.“

„Ich bitte Sie, Herr von Körlegg, mich nicht für so kleinlich zu halten, daß ich nicht imstande wäre, den Thäter von der ungewollten That zu trennen. Lassen wir die Vergangenheit.“

Sabine hätte ihren alten Vater küssen mögen für diese verständigen, fast entgegenkommenden, vornehmen Worte.

„Sie haben ohne Zweifel, Herr Oberamtmann, von den geschäftigen Gerüchten gehört, die den Namen des Fräulein Susanne Osterroth mit dem meinen verbinden.“

„Allerdings, Herr Leutnant. Ihr Besuch fällt, wie ich offen sagen will, mitten in unsere Beratung hinein. Wir erwogen, ob wir den Gerüchten Glauben schenken sollten – wir sind dazu gezwungen, sie zu glauben.“

„Diese Gerüchte verbinden Wahrheit und Lügen.“

„Das pflegt so zu sein. Aber schlimm genug, wenn hier überhaupt nur etwas wahr ist.“

„Herr Oberamtmann!“ – Sabine hörte, wie die redende Stimme einen sehr energischen Ton annahm – „Herr Oberamtmann, die Angelegenheit, welche Fräulein Susanne Osterroth einmal in meine Wohnung geführt hat, ist ein absolutes Geheimnis zwischen ihr und mir. Der einzige, dem ich, im Interesse auch des Fräuleins, darüber Rechenschaft abzulegen mich gezwungen fühle, ist Herr Fritz Osterroth. Ein Brief mit den vollständigen Erklärungen an den Onkel und Vormund Fräulein Susannens ist unterwegs.“

Es schien ihren Vater zu reizen, daß Fritz Osterroth in dieser Sache der Vertraute und die Instanz sein sollte, wo man ihn ausschloß. Seine Rede klang erregt: „Daran haben Sie ohne Zweifel sehr recht gethan, Herr von Körlegg. Nur weiß ich dann nicht, weshalb Sie zu mir gekommen sind. Und überdies: Onkel Fritz ist in Berlin. Mag der da zehnmal alles begreifen und verzeihen. Damit ist die Geschichte hier in Mühlau nicht glatt gemacht.“

„Eben deshalb komme ich zu Ihnen. Ich bitte Sie, hochverehrter Herr Oberamtmann, mir in Ihrer Gegenwart eine kurze Unterredung mit Fräulein Susanne Osterroth zu gewähren.“

„Zu welchem Zweck?“

„Ich möchte um sie anhalten.“

Sabine schrie nicht.

Sie stand erstarrt. Schwarz war es vor ihren Augen. Die ganze Welt ringsum schien von brausenden Glockentönen durchflutet. Die Schallwellen tobten in ihrem Kopf und raubten ihr die Besinnung.

Halb ohnmächtig fiel sie in die Knie und sank mit ihrem Kopf vornüber auf einen Stuhlsitz.

Tödlich erschrocken kauerte die Mutter neben ihr nieder.

Achim nebenan hörte einen dumpfen Ton, und die Dielen zitterten leise. Unwillkürlich richtete er seinen Blick auf die Thür, hinter welcher der Laut und die Erschütterung gewesen zu sein schienen. Diese Thür war nur angelehnt. – – –

Er ahnte, wer da horchen mochte. Und dies Gefühl erleichterte ihm nicht die ohnehin so schwere Stunde.

Um seinen Mund zuckte es herbe.

Der Oberamtmann aber verbarg mit Mühe sein plötzliches, schmunzelndes Behagen. Es that ihm sehr wohl, daß das entscheidendste und wichtigste Wort in der Sache denn doch in seiner autoritativen Gegenwart gesprochen werden sollte.

Mit seinen schweren Schritten ging er hinaus, um Susannen zu holen; er hielt es diesmal nicht für schicklich, über den Flur zu rufen.

Hinten saß Susanne vor Aufregung fiebernd. Man hatte erst Sabinen so sonderbar gerufen. Und dann war eben Lisbeth hereingestürzt gekommen, mit der Flüsterkunde: „Eben ist der Leutnant von Körlegg vorn ’reingelassen!“

Er – was wollte er in diesem Hause? Was ging vor?

Sekundenlang blitzte dieselbe Idee durch ihr Hirn, die Sabinen verwirrt hatte: wenn er doch noch zu Sabine zurückkehrte und jetzt um sie anhielte! – – –

Aber nein, das war unmöglich. Er hatte es so klar, so mit harter Deutlichkeit gesagt: er liebte Sabine nicht! Und er hatte sie auch nie geliebt, wenigstens nicht mit dem Gefühl, das für Susanne Liebe hieß.

„Ich komme, ich komme!“ sagte sie bebend, als der Oberamtmann den Kopf zur Thür hereinsteckte und ihr sagte, daß sie vorn erscheinen müsse.

Ihre Füße trugen sie kaum, schwankend ging sie hinter dem alten Manne.

Bei ihrem Eintritt verbeugte Achim sich sehr feierlich.

Vor Verlegenheit grüßte sie kaum – sie staunte ihn an, und ihre bangen Blicke quälten ihn sehr.

„Herr von Körlegg hat Ihnen etwas zu sagen, mein liebes Kind,“ hob der Oberamtmann an.

„Mir? Mir .....“

Sie faltete die Hände und stand vor Achim wie ein flehendes Kind.

„Mein gnädiges Fräulein!“ sprach er, während seine Mienen in ehernem Ernst zu erstarren schienen, „die Thatsache, daß Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0551.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2020)