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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

in dem unteren Teile ist schlesischer und bei der Gruftkirche auch bayrischer Granit verwandt worden.

Während sich das Aeußere schon recht stattlich ausnimmt, herrscht im Innern für ein Laienauge noch das Chaos. Rüstungen an den Wänden, Rüstungen bis in die Kuppelspitze hinein, Rüstungen überall. Von dem bunten Marmorbelag und den Mosaiken, die hier einst ein farbenprächtiges Bild geben sollen, ist noch nichts zu sehen. Wie die meisten derartigen Bauten, teilt auch der Dom das Schicksal, daß er nicht zur ursprünglich festgesetzten Zeit fertig werden wird. Die feierliche Eröffnung war für den Geburtstag des Kaisers, 27. Januar 1900, geplant. Jetzt ist sie vorläufig bis auf den Herbst 1902 verschoben.

Ueber die Gesichtspunkte, welche für die eigenartige Anlage bestimmend waren, äußerte sich der Dombaumeister, Geh. Regierungsrat Raschdorff, dem sein Sohn Prof. Otto Raschdorff, sowie der königl. Baurat Kleinau und Regierungsbaumeister Schmidt zur Seite stehen, folgendermaßen: „Die protestantische Kirche kennt kein Opfer, kein Altarsakrament; den Mittelpunkt ihres Gottesdienstes bildet die Predigt, in welcher nicht auf den Altar, sondern auf die Kanzel die Aufmerksamkeit der Gemeinde sich sammelt. Hierin liegt für den Baumeister eine große Schwierigkeit, deren sich auch die früheren Baumeister wie Schinkel, Stüler, Stier u. a., die sich mit der Dombaufrage beschäftigten, wohl bewußt waren. Sie suchten dieselbe dadurch zu umgehen, daß sie den Dom entweder als nationale Dankeskirche, als patriotische Gedächtnishalle, als eine Art Pantheon oder dergleichen auffaßten, oder aber indem sie den Charakter als Begräbnisstätte des Hohenzollernhauses vorwiegend zum Ausdruck brachten. Auch der neue Dom ist in ähnlichem Sinne gedacht, nämlich als Prunkkirche für den Summus episcopus der Landeskirche. Dem Wunsche des Kaisers entsprechend, soll der Dom diese seine hohe Bestimmung durch seine Monumentalität erfüllen und das ragende, weithin sichtbare Wahrzeichen Berlins sein.“




Zum Goethe–Gedenktag.

(Mit den Bildern S. 549, 560 und 561.)

Kurz vor dem Ende des Jahrhunderts, auf dessen Entwicklung der Genius Goethes so tausendfältig gewirkt hat, wird des Dichters hundertfünfzigster Geburtstag für die gebildete Welt zum festlichen Anlaß, dieses herrlichen Wirkens in dankbarer Bewunderung zu gedenken. Mit leuchtendem Glanze zieht sich durch die Geschichte unseres Jahrhunderts von seinen Erdentagen die Spur, die gleich der seines „Faust“ nicht in Aeonen untergehen kann.

Goethe.
Nach dem Oelgemälde von Georg Oswald May. 1779.
Photogravüre im Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger G. m. b. H. in Stuttgart.

Nach Millionen zählen die Exemplare seiner Werke, die in diesem Zeitraum über den ganzen Erdkreis Verbreitung gefunden haben, nach Millionen die Menschen, welche Erbauung und Erquickung höchster Art, ja das eigene Lebensideal aus diesen Werken geschöpft haben. An den Stätten, wo Goethes Dasein vornehmlich Wurzel schlug, in Frankfurt a. M., Leipzig, Straßburg und in Weimar, hat sich an ihm in stets wachsendem Maße bewährt, was in des Dichters „Tasso“ mit Bezug auf Ferraras Musenhof und seine Gäste gerühmt wird. Sein Vaterhaus und sein Sterbehaus sind Nationalheiligtümer geworden, die seinem Gedächtnis geweiht sind. In einer Litteratur von tausend Bänden haben bedeutende Männer, die nach ihm kamen, die Gedanken niedergelegt, welche das Studium seiner Werke in ihnen erzeugte. Eine besondere Wissenschaft beschäftigt sich nur mit ihm, und auf unseren Universitäten werden Vorlesungen über seine Dichtungen gehalten wie über die Gesänge Homers. Unzählige sind seinen Spuren nach Italien, nach Rom und Neapel gefolgt, um in seinem Sinn durch das lebendige Erfassen der Kunst der Renaissance und der Antike veredelnd auf die Bildung ihrer Zeitgenossen zu wirken. Und kein Dichter ist seit ihm in Deutschland erstanden, der nicht – und sei’s mit Widerstreben – in ihm seinen Meister erkannt hätte! Unter dem Vorgang Beethovens haben die größten Musiker des Jahrhunderts ihr Können darangesetzt, Goethesche Poesie in tönende Schönheit zu wandeln. Wer von der Bühne herab Nachruhm gewann, seit Gretchen und Faust, Clärchen und Egmont, Götz und Clavigo, Iphigenie und Orest, Leonore und Tasso deren Bretter zuerst betraten, gehörte auch zur Priesterschaft des Schönen, die einst Goethes Machtwort zur Nachfolge berief, als er in Weimars Hoftheater mit Schiller das Muster einer deutschen Nationalbühne schuf. Und so befruchtete Goethes Genius auch die bildende Kunst, sein Genius – wie seine menschlich schöne Persönlichkeit, der in der Jugend Aehnlichkeit mit einem Apoll, im Alter Aehnlichkeit mit dem Olympier nachgerühmt wurde, und die zu seinen Lebzeiten wie nach seinem Tode Maler und Bildner immer wieder begeistert hat, Goethe als das Ideal eines Dichters darzustellen, der mit „sonnenhaftem“ Auge die Schönheit der Welt umfaßt.

Aber nicht nur in Wissenschaft und Kunst hat sich diese gewaltige Wirkung von Goethes Genius vollzogen. Auch auf den großartigen politischen Aufschwung, den die deutsche Nation im ablaufenden Jahrhundert erlebte, hat er einen nicht hoch genug zu schätzenden Einfluß geübt. Erst der Besitz einer Nationallitteratur, deren idealer Gehalt in allen Gauen des Vaterlandes als gemeinsames Gut empfunden wurde und um welche das Ausland die Deutschen beneidete, rief das deutsche Nationalgefühl wach, dessen Großthaten die politische Geschichte des Jahrhunderts verzeichnet. Erst das Bewußtsein dieses gemeinsamen Gutes entzündete die patriotische Begeisterung, die 1813 den deutschen Stämmen und Dynastien die Kraft verlieh, das Joch des Korsen von sich abzuschütteln, die in tapferen Männern der Metternichschen Gewaltherrschaft zu trotzen wußte, die 1848 diese Herrschaft brach und 1870 auf den Schlachtfeldern in Frankreich jene Siege errang, die zur Errichtung des neuen Reichs führten.

Als Goethe zu schreiben begann, hatte die deutsche Sprache so wenig Ansehen in der Welt wie der Begriff der deutschen Nation. Die Eigensucht der Dynastien und Stämme hatte das nationale Bewußtsein vernichtet; die deutsche Sprache war in der Welt der Gelehrten ebenso mißachtet wie an den Höfen;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0560.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)