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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

sie wieder, mit den Augen suchend. Am Wasser? – Nein, da steht sie nicht; das ist nur ein Bäumchen. – Bei den Gewächshäusern? Diese Pflanzenwut hat sie ja vom Vater …

Sie wandte sich nach links; in demselben Augenblick erschien das Kind. Es ging langsam, in sich versunken, einen schmalen Pfad zwischen dichten Gebüschen hin; die lange, magere Gestalt erschien wohl noch magerer in dem schrecklich einfachen, dunklen Kleid, das der Mutter ein Greuel war. Und doch war auch etwas Vornehmes in dem ernsten Wesen … Clotilde betrachtete sie aufmerksam, mit einem schmerzlichen Gemisch von Verdruß und Freude. Es ward ihr so eigen eng ums Herz. Wie viel sie vom Vater hat, dachte sie, in Haltung und Gang. – Jetzt schaut sie auf, jetzt entdeckt sie mich. – Wie ernst sie mich ansieht. – Sonderbares, wunderliches Kind!

Luise kam heran, langsam wie vorher; sie nickte der Mutter zu. „Du noch im Garten?“ fragte sie etwas verwundert, mit der noch so jungen Stimme.

„Das wollt’ ich dich eben fragen. Und so allein für dich.“

„Mich entbehrt ja niemand,“ warf Luise scheinbar leicht und harmlos hin. „Oder hat man mich vermißt?“

„Vermißt? Ich hatte dich entschuldigt: du seist so beschäftigt.“

„Danke! Na, dann ist’s ja gut! Ich hatt’ auch wirklich zu schreiben; notwendige Briefe. – Und wenn sie jetzt Musik machen, oder Apfelsinen essen, was liegt daran, ob ich mitesse. Ich möcht’ lieber noch im Garten bleiben; die Elbe mit dem schönen Abendlicht und die Stadt da drüben – die Dampfer … Aber du willst dich ja griechisch kostümieren, Mutter.“ Das Mädchen sah auf seine Uhr. „O, da mußt du wohl gehn! Es wird spät!“

Ueber Clotildens Lippen flog ein etwas gereiztes Lächeln. „Nein, dieses sechzehnjährige Mädel ist die Pünktlichkeit in Person! sieht immer nach der Uhr –“ Sie brach ab. In Gedanken setzte sie hinzu: grade wie ihr Vater!

Luise zuckte mit einer liebenswürdigen Gebärde die Achseln; die erste Heiterkeit huschte über ihr Gesicht. Der Mutter ward doch wieder weich ums Herz. „Hast doch nicht immer im Zimmer gehockt?“ fragte sie so recht mütterlich.

„O nein. O, was denkst du! Nachdem ich die Briefe verfaßt hatte – am offenen Fenster – ging ich ins Gewächshaus; da hab’ ich lange die Pflanzen studiert. Dann kamen mir auf einem Beet die Blumen so vernachlässigt vor; da hab’ ich Wasser geholt und hab’ sie begossen.“

Wieder des Vaters Kind! dachte Clotilde, mit einem gepreßten Lächeln. Ihr schien auf einmal, daß sie diesem Kind viel zu sagen habe, daß ihr allerlei von der Seele müsse. Sie nahm Luise bei beiden Händen; dann ließ sie sie wieder los, legte einen Arm um ihre „lange Magere“ und ging so mit ihr auf und ab. „Ich hab’ dir allerlei zu erzählen,“ fing sie mit einer gewissen Unruhe an, die sie durch einen leichten Ton wegzuplandern suchte. „Nämlich dein Vater, Kind –“

„Soll ich hin?“ unterbrach das Mädchen sie. „Wann denn?“

„Nein. – Er kommt vielleicht heut noch her …“

„Ah!“ – Luise hob beide Arme vor Freude.

„Er will natürlich sehn, wie du dich nun ausnimmst. Ob du in der kleinen, stillen Stadt – – In eine Dresdener Pension wollt’ er dich ja damals nicht geben; er dachte, du wärst da der – Villa Viola zu nahe; du weißt, er hat nun einmal diese – Aversion gegen das Morlandsche Haus! Na, da gaben wir dich lieber gleich weit fort, damit du in eine ganz andere Luft, zu ganz anderen Menschen kämst; zu süddeutschen, wünschte dein Vater. Es hatte ja auch viel für sich; hat dir wohl auch gut gethan … Hat es? – Man weiß noch nicht! – Wie ernst, wie forschend guckst du mich an. Kann ich’s denn schon wissen? Wie viele Stunden, Kind, hab’ ich dich denn schon gesehn?“

Luise sah auf den Weg und schwieg.

Mit wachsender Anstrengung, etwas gereizt, ohne zu wissen warum, fuhr die Mutter fort: „Also nach diesem großen Abschnitt in deinem Leben: aus der Schule in die Welt hinein – was für Augen wird Vater machen! – Ich hoffe, dein liebes, gutes Gesicht wird ihm wohl gefallen; na, und vielleicht auch das an dir, was mir nicht gefällt – “

„Hm!“ machte das Kind. – 0 „Zum Beispiel, Mutter?“

Clotilde lächelte flüchtig, schwach: „Zum Beispiel schon dieses ,Hm‘, das du dir offenbar bei deinen Süddeutschen nicht abgewöhnt hast, und das so sonderbar unjugendlich, unmädchenhaft ist; hinter dem sich allemal ein stiller kleiner Trotz – ja, ja – oder eine kritische Mißbilligung versteckt. Ueberhaupt, mein liebes Herz, möchte ich dir sagen: Kind, werde kindlicher! Junges Mädchen, werde jünger, werde mädchenhafter! – Mädchen und Frauen, weißt du ja doch, sollen wie Blumen sein, ein Schmuck für die Welt; und wie brav und gut wir auch in unserm Innersten sein mögen, unsre erste Pflicht bleibt doch immer, liebenswürdig zu sein. Es ist gewiß sehr lobenswert und sehr respektabel, wenn man ein tüchtiger, ordentlicher und solider Mensch ist; aber so wenig wie man seinem Kind wünschen kann, mit zwanzig Jahren schon graue Haare zu haben, so wenig könnt’ ich wünschen, mein Herz, daß du vor lauter Tüchtigkeit und Solidität mit zwanzig Jahren ein altes Mädchen würdest, dem man respektvoll ausweicht! Deine Pünktlichkeit, deine Ordnungsliebe, deine in dich gekehrte, stille Ernsthaftigkeit, dein fast kaufmännisches Buchführen – dazu die Einfachheit deiner Toilette; schau dich doch nur an – all diese ehrenwerten Eigenschaften haben, wie ich leider merke, so ungestört an dir zugenommen, daß ich vorhin einmal dachte: ist sie älter, oder ich? – Meine liebe Luise, halt’ ein wenig inne! Uebertreib’ es nicht! Werd’ mir nicht ehrwürdig, liebes, gutes Kind, eh du rechtschaffen jung warst!“

„Hm!“ machte Luise wieder, mit einem halb kindlichen Schmollen der vorgestreckten Lippen. „Ich soll also lieber unpünktlich, unordentlich und unsolid sein –“

„Gott sei Dank,“ rief Clotilde aus, „da spricht sie einmal wie ein dummes Ding! – Nein, das sollst du nicht; aber – “

„Aber das alles hab’ ich ja vom Vater!“

Clotilde war eine Weile still. „Ja, gewiß, gewiß,“ sagte sie dann, so sanft wie möglich. „Ich hab’ ja auch vorausgeschickt: es sind ehrenwerte, gute, gute Eigenschaften. Nur – nur übertreib sie nicht! Sie sind auch gefährlich, mein Kind. Sie können sehr – drückend werden, wenn man sie hegt und pflegt, wenn sie immer wachsen und wachsen … Schau dich an, wie du aussiehst. Dieses Nonnenkleid –“

„Ich lieb’ es so, Mutter.“

„Ja, ja! Du liebst es so. Womit wird das enden? Daß du jahraus jahrein dasselbe Gewand trägst – nun ja, wie er, dein Vater. Daß man dich auswendig weiß wie ’nen Gesangbuchvers. Und daß du die Treue gegen deine Ueberzeugungen endlich auch so weit treibst, alles auf Vorrat, doppelt und dreifach zu haben: Hut, Rock, Mantel, alles. Sieh zu, mein Kind, ob dich die Welt dann auch liebenswürdig findet –“ sie stockte, sie zögerte – „wem du dann gefällst, wen du damit beglückst! – Ich geh’ jetzt, um mich umzukleiden; – muß ja sonst fürchten, du siehst wieder nach der Uhr. Möcht’st du unterdessen ein wenig über meine Warnungen nachdenken ...“

„Gewiß!“ murmelte das Mädchen, mit verhaltener Melancholie.

„Also ein andermal mehr davon!“

Clotilde ging der Villa zu. Sie blieb stehn und sah noch einmal zurück, mit einem freundlichen Mutterblick; dann schüttelte sie aber plötzlich den Kopf. „Nein, ich kann’s nicht anschauen! Diese Nüchternheit – das ist Mord!“ Sie kam gelaufen, wie ein junges Mädchen, löste sich mit Eins zwei drei ihre himbeerrote Krawatte ab und band sie Luisen um den Hals. „Ich muß dich etwas aufmuntern. So!“ Darauf lief sie ins Haus.

6.

Luise stand regungslos im Weg und sah in die Luft. Sie meint, ich versteh’ sie nicht, dachte sie und seufzte leise. Ich versteh’ sie recht gut. Das alles gefällt ihr nicht, was ich vom Vater hab’; – bei dem sie nicht ist – und der nicht bei ihr ist. – Ach Gott! Sie legte sich eine Hand auf die Stirn; dort oder anderswo – sie konnte nicht sagen, wo – war ihr weh zu Mut. Es war ihr schon öfter so gewesen, hier in diesen Tagen. Alsdann erleichterte sie nichts, als mit sich zu sprechen, laut; Wie ihre lebhafte, so gern phantasierende Mutter, von der sie’s geerbt hatte. Wie oft hatte sie schon als Kind mit lauter Stimme geträumt; bis sie endlich ein leises Lachen hörte und der Vater oder die Mutter oder beide in der Thür standen und auf ihr närrisches Mädel herablächelten … „Ach,“ sagte sie traurig vor sich hin, „damals waren sie beisammen, die Eltern; und miteinander so lieb,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0572.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)