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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

im Sinn. Erst als sie vor der Hängematte stand, mit dem Rücken gegen die Beiden, die sie miteinander sprechen hörte, lächelte sie kindlich froh; „du wirst angeführt!“ sprach sie vor sich hin. Vorsichtig nahm sie Mantel und Hut, trug sie tiefer in den Garten hinein, bis zu einem kleinen Lusthäuschen, das bei dem großen Gewächshaus stand. Drinnen legte sie ihre Beute auf den runden Tisch. Wer wollte sie nun finden? – Sie liebäugelte mit dem schönen braunen Hut, der für sie zum Vater gehörte, in dem sie ihn sich am liebsten vorstellte. Sie setzte sich dazu und legte eine Hand auf ihn. Auf einmal verging ihr dann alle Freude; sie fing an zu weinen …

„Das hatt’ ich mir schöner gedacht,“ sagte unterdessen Fanny, mit einem bekümmerten Blick auf den spröden Gast. „Ich hoffte – – Es ist ja wohl schon ein Monat, daß du nicht mehr hier warst!“

„Mag sein,“ entgegnete Julius. – „Clotilde macht Toilette, wie ich höre – “

„Ja, für das lebende Bild.“

„Für das lebende Bild,“ sprach er ihr unfroh murmelnd nach. – „Wo ist denn Luise geblieben?“

„Da in den Garten hinein. Wird wohl wiederkommen. Ich weiß nicht, ob ich wagen darf, dich in den Salon –“

„Bitte, nein, nein!“ fiel er ihr ins Wort. „Du weißt, meine liebe Fanny, mir gefällt eure moderne Gesellschaft nicht.“

„Modern!“ sagte sie ruhig lächelnd. „Ihr modernen Verächter der Gesellschaft braucht so gern das vernichtende Wort ,modern‘! Mein Gott, antik können wir doch nicht sein. Es wär’ wohl auch noch sehr die Frage, ob wir dabei gewönnen, lieber Julius; mir scheint wenigstens, eure alten Griechen lebten auch in sehr ,gemischter‘ Gesellschaft! Mit all ihren Fabelgeschöpfen, ihren Faunen, Satyrn, Centauren –“

Julius unterbrach sie wieder: „Fabelgeschöpfe? Bitte sehr; ganz was anderes. Das sind alles tiefsinnige, symbolische, ewig wahre Geschöpfe; ewig wahre Nachbilder der menschlichen Unnaturen und Thorheiten. Eurer Unnaturen –“

„Ah!“

„Jawohl! Eurer, eurer! Ihr seid’s, sie kannten euch alle – euch da im Salon!“

„Das ist mir neu,“ erwiderte Fanny herzhaft lächelnd. „Wenn du mir das gefälligst –“

Centauren, sagtest du. Da in deinem Salon sind ja gleich so ein paar von ihnen, aus Berlin importiert! Fräulein Jeannette von Lossow, diese Prachtcentaurin, die offenbar in ihrer schönen Seele nur zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Pferd ist –“

„Ah, ah!“ rief Fanny aus, beleidigt und belustigt zugleich.

„Dann der Bankier Ellenberger, dieser Halbmensch, der sich durch seine Pferde zu ergänzen sucht; – der ist allerdings nur ein nachgemachter Centaur: die beiden Hälften sind künstlich zusammengenäht – wie die beiden Gaukler, die sich zusammengenäht hatten, um für siamesische Zwillinge zu gelten. Dann schwebt da, wie ich höre, Frau von Helling herum, diese alte Sirene, die mit ihrer süßen Stimme die Männer anzulocken sucht –“

„Nein, du bist abscheulich! Pfui!“ sagte Fanny, die wider Willen lächelte. „Als wenn mein Salon – – Und wir alle, sagst du. Also ich? Morland? Deine Frau?“

„Ist denn meine Frau nicht ein weiblicher Proteus, wie man ihn nur wünschen kann? Bald macht sie nichts so glücklich, als im feuchten Element zu leben, als Schwimmkünstlerin; oder obendrauf, im Boot, in der Ruderquadrille. Bald klettert sie zu Fuß, in einem graziösen Kostüm, auf die hohen Berge; bald jagt sie zu Pferde unten im Wald, als moderne Amazone! Dann überfällt sie die Leidenschaft, vor den ,Lampen‘ zu stehn, als dramatische Künstlerin; oder einen Salon als lebendes Bild zu entzücken. Ist das ein richtiger Proteus oder nicht? – Und Morland – dieser gute Morland, den du so vortrefflich dressiert hast, das Leben zu genießen – dein gemütlicher, zufriedener Silen –“

„Silen!“

„Ja, Silen!“

Fanny versuchte den Schwager in tiefer sittlicher Empörung anzublitzen; es gelang ihr aber nicht, die Heiterkeit ging ihr nicht vom Gesicht. „Ich sollt’ eigentlich wütend sein,“ fing sie mit ihrer lustigen Stimme an, „daß du so schauderhafte Sachen sagst; aber ich muß lachen. Mein guter, guter ,Silen‘ … Ja, er ist zufrieden. Ja, er genießt das Leben. Und das ist die Hauptsache; und das ist mein Verdienst!“

Julius sah ihr in das fidele Gesicht, als wollte er sagen: an dir prallt auch alles ab! – Seine Augen gingen dann unruhig umher; er konnte Luise nirgends entdecken. „Das Kind kommt nicht wieder,“ murmelte er. „Clotilde – – Clotilde macht also noch immer Toilette?“

„Es scheint so.“

„Hm! – Was für ein lebendes Bild wird man denn erleben?“

„Ach, wie nur sie es kann; von ihr allein gespielt! Eine ganze Reihe von Bildern, alle in einem Kostüm; bloß durch Veränderungen der Drapierung und der Stellung wird sie immer eine andere. Die sitzende Agrippina, die schlafende Ariadne; die Muse Polyhymnia oder wie heißt das Mädchen, dann die Flora; Niobide, die sich zu schützen sucht, stehende Matrone –“

„Der wahre Proteus! Bravo, bravo!“ – Julius lachte auf. Er ging dann einige Schritte hin und her; es war keine Ruhe in ihm. „Ja, ja,“ sprach er zwischen den Zähnen, „dieser Proteus hat sich gut entwickelt … Wenn ich denke, was sie nun schon alles nacheinander, nebeneinander war –“

„Mein Gott,“ sagte Fanny, „warum gönnst du ihr das nicht? Wärst du nur tolerant, wie du könntest und wie du solltest –“

„Wie dein lieber Mann –“

„Ja gewiß, wie mein vernünftiger Mann! Dann wärst du froh, sehr froh, daß deine lebhafte und lebenslustige Frau nicht – kokett ist, so wenig wie ich; daß sie nicht an Männer denkt, nur an unschuldige Amüsements. Proteus, sagst du. Sie wechselt, ja. Aber sie wechselt nur mit ihren Liebhabereien, nicht mit ihren Liebhabern; sie hat keine – sie hat nur einen, einen leider nicht sehr beglückenden und beglückten – ihren unduldsamen Gatten!“

Julius’ Brauen zogen sich eng und enger zusammen; er sah diese Frau fast feindlich an. Um die nötige Ruhe zu behalten, dämpfte er die Stimme: „Was ich darauf zu erwidern hätte, meine liebe Fanny, will ich dir nicht sagen. Dir will ich nur sagen: du, in deiner unerschütterlichen Heiterkeit, du, grade du hast vielleicht die meiste Schuld! Du hast Clotilde seit Jahren gereizt, verführt, ihre schon beruhigte Proteusnatur wieder zu entwickeln; du hetzest sie immer tiefer in diese verhängnisvolle Ruhelosigkeit des Genießens und Glänzens und Begehrens hinein; jawohl, du, Fanny Morland! Und ich – –“

„Und du?“ fragte Fanny mit äußerer Ruhe, da er nicht weitersprach.

Er antwortete nicht. Er fühlte sich aber in diesem Augenblick entschlossen wie noch nie. Und ich mach’ ein Ende, dachte er, sei es wie es sei!


8.

„Ah, das lebende Bild!“ entfuhr ihm jetzt; seine Brauen zuckten. In der Thür des Gartensalons erschien Clotilde, in einem altgriechischen Gewand von gelblich angehauchtem Weiß, ein Schleier wallte vom Kopf herunter; sie hatte aber, wohl als Schutz gegen die Abendluft, ein modernes, farbiges Tuch um die Schultern gelegt. Von dem weltklugen Einbläser, dem Friedrich, war ihr gesagt worden, daß Julius im Garten sei; plötzlich hatte es sie dann doch sehr gedrängt, ihn zu begrüßen. Als sie jetzt in der Thür stand und ihn erblickte, machte sie eine lebhafte Bewegung, ihm entgegen. War es nun aber die Ruhe, mit der er stehen blieb, oder war es, daß neben ihm Fanny stand: sie hielt wieder an sich, legte nur flüchtig eine Hand ans Herz; dann stand sie wie ein wirkliches Steinbild da.

„Guten Abend, Clotilde,“ sagte Julius nach einer Stille.

Sie nickte mit dem Kopf. Er trat einen Schritt auf sie zu; dann fiel ihm erst das Rechte ein. Er wandte sich wieder zur Hausfrau, deren beobachtende Augen hin und her gingen. „Gute Nacht, Fanny,“ sagte er sehr höflich und gab ihr die Hand.

„Ah,“ entgegnete sie lächelnd, mit gedämpfter Stimme, „das ist gut: er schickt mich aus meinem eigenen Garten fort! – Aber schon gut, ich geh’ schon. – Wegen deiner letzten Reden sollt’ ich dir sehr böse sein; ich bin aber zu gutmütig, es gelingt mir nicht. Also – gehab dich wohl; und auf Wiedersehn, wann es dir beliebt!“

Er grüßte stumm mit der Hand. Fanny ging zum Haus. Als sie an Clotilde vorbeikam, die sich nun näherte, flüsterte sie nur: „Bleib fest!“ Sie verschwand in der Gartenthür. (Fortsetzung folgt.)     


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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0575.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)