Seite:Die Gartenlaube (1899) 0576.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Der Internationale Frauenkongreß in London.


Der große, von zweitausend Teilnehmern besuchte Londoner Frauentag ist vorüber. Die Einberufer desselben, das aus den einzelnen Landesverbänden gebildete internationale Komitee, können mit hoher Befriedigung auf ihn zurückblicken. Während der in London doppelt drückenden Julihitze eine volle Woche lang in dichtgedrängten Sälen stundenlangen Vorträgen und Beratungen beizuwohnen, ist schon an sich eine Leistung, welche den Damen den vollen Respekt, aber auch die wärmste Sympathie des „starken Geschlechts“, die principiellen Gegner der Frauenfrage nicht ausgeschlossen, sichert. Sodann verliefen die Verhandlungen in solch ordnungsgemäßer Weise und die Leiter der einzelnen Sitzungen – allen voran die Präsidentin des gesamten Kongresses, Gräfin Ishbel Aberdeen – bekundeten ein solches parlamentarisches Talent, gepaart mit weiblichem Takt, daß man auch in dieser Hinsicht den aus Angehörigen der verschiedensten Nationalitäten zusammengesetzten Kongreß nur beglückwünschen kann. Man hatte von vornherein für jede Rede ein gewisses Zeitmaß festgesetzt, das nicht überschritten werden durfte, und mit einer einzigen Ausnahme fügten sich die Damen dieser Bestimmung, gleichviel ob sie ihren Gegenstand beendet hatten oder nicht. Eine der Rednerinnen hatte einleitungsweise so lange bei der Schilderung der Schönheit ihrer heimatlichen Berge verweilt, daß sie eben erst den eigentlichen Gegenstand beginnen wollte, als die Glocke der Präsidentin ertönte. Ohne Murren verfügte auch sie sich auf ihren Platz.

Gräfin Ishbel Aberdeen,
Präsidentin des Kongresses.

Vor allem aber war es der Inhalt der Verhandlungen, der Lady Aberdeen in ihrer Abschiedsansprache berechtigte, den Kongreß als ein „great success“, einen „großen Erfolg“, zu bezeichnen. Von ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen, konnte man sich des wohlthuenden Gesamteindruckes nicht erwehren: es war die Frau, die wahre, echte Frau, die hier zum Frauenherzen sprach. Es war das „Ewig-Weibliche“, das seinen heilenden, helfenden Einfluß geltend zu machen suchte.

Dies ist um so mehr anzuerkennen, als zwar nicht die Frauenbewegung selbst, aber doch der Internationale Kongreß bekanntlich eine überaus junge Schöpfung ist. Seine Gründung wurde im Jahre 1888 auf einer Frauenversammlung in Washington beschlossen. 1892 fand sodann der erste Internationale Kongreß in Chicago statt. Aber während es bisher vor allem die Rechte der Frau waren, für die man eintreten zu müssen glaubte, sind es heute, nachdem sich die Frau auf vielen Gebieten eine selbständigere Stellung errungen hat, vorzugsweise ihre Pflichten, ihre hohen Aufgaben innerhalb der menschlichen Gesellschaft, die in den Vordergrund treten. Dieser Grundgedanke konnte keinen schöneren Ausdruck finden als in den Worten, mit denen die Präsidentin den Kongreß eröffnete. So verschieden auch die Ziele seien – bemerkte sie –, welche die einzelnen Abgeordneten je nach Nationalität und Individualität im Auge hätten; ob sie die Extreme der Frauenemanzipation verträten oder gemäßigteren Anschauungen huldigten: in dem einen stimmten sie doch alle überein, daß es die Aufgabe der Frau sei, die Welt besser und glücklicher zu verlassen, als sie sie gefunden.

Diese breite und liberale Basis trat dem Besucher auch schon in der äußeren Erscheinung der Versammlungen entgegen. Die „Frau mit dem kurzgeschnittenen Haar“ war eine ebenso große Seltenheit, wie es jetzt auch der „Mann mit dem wallenden Haar“ ist. Die dichtgefüllten Hallen boten einen erfrischenden Anblick dar, denn sämtliche Damen waren in hellen Sommertoiletten erschienen und neben der gereiften Frau befand sich so manche anmutsvolle Mädchengestalt. Der kosmopolitische Charakter der Versammlung bekundete sich in der Anwesenheit einiger indischer Damen in malerischer Nationaltracht, mit goldenen Armspangen und Ohrringen. Auf der Tribüne hatte die Gattin eines Attachés der chinesischen Botschaft in London, gleichfalls im Nationalkostüm, Platz genommen. Sie war auf ausdrücklichen Befehl ihres Kaisers erschienen und beteiligte sich sogar an den Verhandlungen, indem sie dem Kongreß durch ihren Dolmetscher sagen ließ, daß man sich in Europa meist einen ganz falschen Begriff von der chinesischen Frau mache. Dieselbe sei durchaus nicht so unwissend und niedrigstehend als man glaube. Sie sei vielmehr die ebenbürtige Gefährtin ihres Mannes, vorausgesetzt, daß sie es verstehe, ihn an sich zu fesseln. Diese mit allgemeiner Heiterkeit aufgenommenen Worte fanden ihre Bestätigung durch den Augenschein. Denn der Gemahl der jungen resoluten Frau, der ebenfalls erschienen war, wich keinen Augenblick von ihrer Seite. –

Fräulein v. Milde.

Die Verhandlungen – es fanden täglich acht verschiedene Sitzungen in drei Sälen statt – waren voll der interessantesten Aufschlüsse über den gegenwärtigen Stand der Bewegung. Ihre Führerinnen haben allen Grund, auf ihre Erfolge stolz zu sein. Eine ganze Anzahl von neuen Berufszweigen hat sich der Frauenwelt erschlossen. Als Aerzte, Sachwalter, Journalisten, als Kunsthandwerker, als Inspektoren in Fabriken mit weiblichen Arbeitern, sowie in einer ganzen Anzahl von Berufszweigen bescheidenerer Art haben die Frauen im Lauf der letzten Jahre Beschäftigung gefunden. Als Beweis für die künstlerische Begabung der deutschen Frau wurde vielfach der von Fräulein v. Milde gehaltene Vortrag „Die Frauen in der Litteratur“ citiert –, als begabte Vertreterinnen der modernen socialpolitischen Gedanken wurden Frau Bieber-Böhm und Fräulein Dr. jur. Anita Augspurg gefeiert. Hier in England blüht besonders der medizinische Beruf unter den Frauen. Einige Krankenhäuser für Frauen werden ausschließlich von Aerztinnen besorgt. In Dänemark dagegen hat namentlich das Kunsthandwerk weibliche Kräfte an sich gezogen; zu nennen sind Fräulein Sophie Christensen, Frau Ragna Nielsen, Frau Dagmar Hjort. Es giebt z. B. in Kopenhagen Kunsttischlereien, die von Frauen geleitet werden und mehr als ein halbes Hundert männlicher Arbeiter beschäftigen. Die größten Erfolge aber hat die Bewegung in Amerika aufzuweisen, deren eine Hauptvertreterin, Mrs. May Wright Sewall, einem europäischen Kreisen wohlbekannte Erscheinung ist. In den Vereinigten Staaten werden Frauen sogar zu Stadtverordneten und in den Stadtrat, ja selbst zu Bürgermeisterinnen gewählt. Das letztere, so versicherte eine Rednerin, ist zumal dann der Fall, wenn es sich um sparsame Bewirtschaftung eines allzu belasteten Haushaltplanes handelt! Trotz dieser Erfolge aber erklärten die amerikanischen Abgeordneten, daß ihre Erwartungen so lange unerfüllt bleiben werden, als man der Frau volle politische Gleichberechtigung mit dem Manne vorenthalte. Die Führerin dieser Bewegung ist die bekannte Miß Susan Anthony, die von ihren Gesinnungsgenossen für ihre Bestrebungen, der Frau Sitz und Stimme im Parlament zu verschaffen, ein schönes Rosenbouquet erhielt. Trotzdem wäre die Behauptung mehr als gewagt, daß der Kongreß in seiner Gesamtheit auf seiten seiner amerikanischen Schwestern gestanden habe. Zwar erhob sich ein vereinzeltes Zischen, als eine Engländerin es unternahm, gegen die politische Emanzipation der Frau zu sprechen. Ein kurzes Wort der Präsidentin jedoch genügte, um allen Widerspruch verstummen zu

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0576.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2022)