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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Bergföhren auf dem Felsboden und dazwischen leuchten die Blüten der Alpenrosen hernieder! Eine Fortsetzung der künstlichen Felsschlucht führt von diesem Platze weg in die Ausstellungsräume zurück. Der prächtige Hintergrund ist von Zeno Diemer gemalt; an der plastischen und dekorativen Ausgestaltung haben sich außerdem die Künstler Leopold Schoenchen, E. T. und E. H. Compton, O. Erich Engel und H. B. Wieland beteiligt. Hinter diesem Panorama befindet sich die eigentliche alpine Ausstellung, in welcher die prächtigen Reliefkarten von Südbayern und von Tirol am meisten Bewunderer finden. Alpine Gebrauchsgegenstände aller Art fesseln nicht minder die Aufmerksamkeit aller derer, welche mit der Wanderung in den Bergen irgendwie zu thun haben oder eine solche beabsichtigen.

Von hier aus betritt man die Halle, welche für Turnen, Fechten und sportliche Spiele bestimmt ist; der Rudersport ist in einem eigenen Seitengebäude untergebracht, und hier nehmen die Modelle der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger die Aufmerksamkeit der Besucher vor allem in Anspruch. Nun wären noch die Seitenflügel und Galerien des Ausstellungsgebäudes zu besuchen. Es sind dort Plätze für Luftschiffahrt, Sammelsport, Amateurphotographie und die Koststellen untergebracht; in einem Seitenflügel sind die praktischen Erfahrungen in der Pferdehaltung dargestellt. Ein Stall für die neuesten Ungetüme, die Automobile, befindet sich seitlich vom Hauptgebäude.

Aber genug der Schilderung! Denn auch der gewissenhafteste Besucher der Sportausstellung wird mit einem Male nicht fertig und ist nach kurzer Zeit genötigt, sich in dem herrlichen Gartenrestaurant ein wenig Erholung zu gönnen, wobei ihm das bunte Treiben der Menge, die wechselnden Scenen bei Ballon- und Wasserfahrten und das Konzert die Zeit in gewiß angenehmer Weise kürzen werden.




Der Einfluß des Atlantischen Oceans auf das Klima von Europa.

Von Dr. H. J. Klein.


Wenn man eine Weltkarte zur Hand nimmt und studiert, so erkennt man bald, daß es keinen Teil der Erde giebt, der so hoch nach Norden hinauf bewohnbar ist und kultiviert wird wie Europa, besonders in seinen nordwestlichen Teilen. Die Häfen der norwegischen Küste bis zum hohen Norden sind auch zur Winterszeit zugänglich und in den tief ins Land eindringenden schmalen, von schroffen Felsen umrahmten Buchten, den sogenannten Fjorden, ist es im Januar nicht wesentlich kälter als unmittelbar an der Küste. Im westlichen Norwegen kommt unter 66° nördlicher Breite noch die Kirsche zur Reife, und Gerste wird bis 70° nördlicher Breite gebaut, selbst Blumenkohl gedeiht dort noch in dieser hohen nördlichen Gegend. Thorshaven auf den Faröern hat durchschnittlich einen milderen Januar als Venedig, aber freilich auch weit mehr Bewölkung und trübe Tage mit Regen.

Wenden wir uns jedoch nach der amerikanischen Seite des Atlantischen Oceans, so finden wir ganz entgegengesetzte Verhältnisse.

Dort ist selbst in Gegenden, die 1000 km südlicher liegen, in den Regionen um die Hudsonsbai, in der nämlichen geographischen Breite wie Edinburgh in Schottland, der Boden zur Winterszeit bis auf 5 m Tiefe gefroren und taut auch im Sommer nur wenig über 1 m auf. Im Frühling und Herbst giebt es daselbst häufig nasse Nebel, im Winter aber ist die Luft mit Milliarden Eisnadeln angefüllt, die aus gefrorenem Wasserdampf bestehen und leuchtende Ringe um Sonne und Mond erzeugen. Die Sonne, so schildert der Engländer J. Ellis, erhebt sich dort und sinkt in einer breiten Kugel von gelbem Lichte, und kaum ist sie gesunken, so erfüllt das Nordlicht die ganze Wölbung des Himmels mit tausendfarbigen Strahlen. In Labrador, unter der nämlichen geographischen Breite wie Schottland, beginnt der Winter schon anfangs Oktober, und erst im Mai kommen einzelne frostfreie Nächte vor. Dann hebt der kurze Frühling an, aber erst Ende Juni wird die Küste eisfrei. Im Juli und August steigt dafür die Temperatur bisweilen bis zu unerträglicher Hitze, aber nach wenigen Stunden sinkt sie auch fast auf den Gefrierpunkt, wenn Treibeis an der Küste liegt. Anfangs Oktober beginnt wieder der Winter und sogleich mit großer Strenge; im November kommen schon 25° bis 30° Cels. Kälte vor und später sogar –40°. Das Meer bedeckt sich meilenweit hinaus mit 3 bis 4 m dickem Eise. Quebecks „eisbedeckte Wälder“ aber liegen noch 100 Meilen südlicher als diese Gegenden!

Nordwärts treffen wir in Nordamerika auf noch ungastlichere Regionen. Während in Norwegen unter dem Polarkreise noch Gemüsezucht getrieben wird, durchschneiden diesen Kreis in Amerika jene furchtbaren Eiseinöden, in welchen die ganze Franklin-Expedition durch Hunger und Kälte ihren Untergang fand. Unter den nämlichen Breitengraden ist sogar Grönland völlig von einem zusammenhängenden Eispanzer bedeckt. Die einzigen Menschen, welche über diesen grönländischen Eispanzer je gewandert sind, Nansen und seine Begleiter, fanden seine Oberfläche glatt wie einen Spiegel, ohne andere Spuren als die, welche ihre Füße hinterließen. Die Oberfläche dieser ungeheuren Eiskappe war mit Schnee bedeckt, ohne Staub oder Schmutz oder Gestein. Ob unter diesem glatten Eispanzer, über welchem Luft von 40° Kälte in rasendem Sturme gepeitscht wird, Bergland oder flache Ebene begraben liegt, weiß niemand, ebensowenig wie dick die Eispanzerung ist, noch seit wie vielen Jahrhunderten oder Jahrtausenden sie auf dem Lande dort ruht.

Die gleiche Herrschaft der Kälte und des Todes wie in den arktischen Gegenden Amerikas finden wir auch in Nordasien, im nördlichen Sibirien. Die Temperatur sinkt dort häufig unter –40°, und das Quecksilber im Thermometer bleibt monatelang gefroren. Dazu kommen die furchtbaren Schneestürme. „Wer es nicht selbst erlebt hat,“ erzählt Baron von Middendorff, „hat keinen Begriff von der unwiderstehlichen Gewalt, mit welcher der Sturmwind in seiner äußersten Wut als Orkan über diese waldlosen, nordischen Ebenen dahinrast. Mit größter Anstrengung vermag man sich kaum auf den Beinen zu halten; statt von Luft wird man von Schneeteilen umwirbelt, welche aus allen möglichen Richtungen kommen. Der Ausdruck, daß man die Hand nicht vor den Augen sieht, ist viel zu schwach, denn das Peitschen der Schneeteile gestattet nicht, die Augen zu öffnen, es braust in den Ohren, ja man kämpft bisweilen mit der Furcht, zu ersticken, da der wütende Luftbrei das Atmen bedrängt. Man wird in dem unbegreiflichen, unwiderstehlichen Gewirr so irre, daß man nichts zu unterscheiden vermag und sich verirrt. Man geht wenige Schritte beim gesuchten Ziele vorbei, trotzdem es nichts geringeres als ein ganzes Haus ist, und man hört in dem betäubenden Toben weder Rufen noch Schreien.“ Baron Wrangel berichtet über das Klima von Nishnij Kolymsk, welches südlicher als Alten in Norwegen, dafür aber in Ostsibirien liegt, daß der volle Winter dort 9 Monate dauert. Im Januar steigt die Kälte bis auf –54°. Dann wird das Atmen schwer, das Wild zieht sich in das tiefste Dickicht der Wälder zurück und selbst der Schnee dampft. Kein Wunder, daß in Nordsibirien auf 100000 qkm Fläche keine menschliche Ansiedlung angetroffen wird.

Und nun vergleiche man mit diesen Regionen der Kälte und des Todes die unter den gleichen Breitengraden liegenden nordwesteuropäischen Gebiete, die Gestade Norwegens, wo im Winter im Meere wahre Ernten gehalten werden und im Dezember und Januar mehr als 40000 Menschen zusammenkommen, dem Fischfang obzuliegen, um alljährlich mehrere Millionen an Wert aus der See zu holen. Und gerade die Winterszeit ist es, in welcher dort das regste Leben sich entfaltet. In seinen „Wanderungen durch Norwegen und Schweden“ schildert Bechhold das Leben und Treiben an der norwegischen Küste jenseit des Polarkreises sehr lebendig. „Als ich,“ sagt er, „mit dem Dampfer zwischen den Lofoten durchfuhr, war ich erstaunt über die großen und zahlreichen Dörfer, die auf diesen kleinen, fast vegetationslosen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0594.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2021)