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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

diesem herausfordernden Blick, ist doch auch mehr Trotz als Glück. Wie sollt’ es auch anders sein? Du hast zu viel Geist, um mit solchen Karnevalsmenschen wirklich glücklich zu sein; und auch zu viel Herz. Du kannst es nur nicht mehr entbehren, in diesem Taumel zu leben, der deinen Ehrgeiz, deine Eitelkeit umflimmert, deine Phantasie berauscht. Befriedigen kann er dich nicht; das verlangst du wohl auch nicht … O genug, genug! Ich hab’ also mein letztes Wort gesagt. Nicht daß ich ernstlich gehofft hätte, dich noch zu bekehren; dazu kenn’ ich denn doch das Menschenherz zu gut. Aber – den Versuch war ich dir und mir noch schuldig. Den Versuch – den –“

Er zögerte, ein Ende zu machen. Seine Augen lagen mit einer letzten, langen Frage auf ihrem fast statuenbleichen Gesicht. Dort sprach aber nichts. Die trotzigen Lippen waren festgeschlossen, und auch wie versteinert. „Also genug, genug!“ wiederholte er, dieses nutzlose Schweigen brechend. „Ich hab’ nun mein Kind gesehn – und – und dich noch einmal – und nun ist’s gut. Heute Mitternacht – Ende. Dann morgen ein neues Leben; jeder für sich!“

Clotilde zuckte zusammen. Sie erwiderte dann aber: „Wie du willst.“

„Nicht wie ich will –“

„Also wie ich will,“ sagte sie tonlos.

„Gut. – Gute Nacht!“

Es schien, daß sie gehen wollte; es ward aber ein Schwanken daraus, bei dem sie sich mühsam aufrecht hielt. „Clotilde!“ rief Julius und trat näher.

Das gab ihr Kraft, sich aufzurichten; sie wehrte ihn mit Fassung ab. „Was noch?“ fragte sie kalt.

Er trat wieder zurück. Eine letzte Stille entstand. „Wo ist Luise?“ murmelte er. Seine Augen suchten rechts und links; und sie fürchteten doch, das Kind zu sehn. „Lassen wir sie,“ murmelte er weiter; „wohl ebensogut, ich geh’ fort, ohne sie zu sprechen. Sag ihr, bitte – – Nein, nein; es ist nichts zu sagen. Ich werd’ ihr schreiben … Also Gute Nacht! – Mein Mantel? Mein Hut?“

Es war dunkel geworden; der fast volle Mond begann jedoch zu leuchten, und Julius’ scharfe Augen sahen weit genug. Ihm schwebte vor, als hätte Luise seine Sachen in die Hängematte gelegt; die war aber leer. Ah, nur fort, nur fort! dachte er. „Was liegt an dem Hut,“ warf er hin, um über die Stille hinwegzukommen; „ich lass’ mir einen von Morlands Hüten holen. Und die Nacht ist mild. Milder, als ich dachte. Den Mantel, den brauch’ ich nicht …“

„Find’st ja auch draußen den andern, den gleichen,“ sagte Clotilde, scheinbar ruhig, mit verhaltener Bitterkeit.

„Ja, gewiß, gewiß. – Mir war, als wollt’ ich noch etwas sagen. – Offenbar ein Irrtum …“

Er wartete zwei, drei letzte Sekunden. Sie schwieg.

„Gute Nacht!“ murmelte er und ging, am Hause vorbei zur Gartenthür.


9.

Erst nachdem er fort war – sie sah ihn nicht mehr, sie hörte nur noch gedämpfte Schritte – sagte auch Clotilde, tonlos: „Gute Nacht.“ Sie fühlte nun doch einen dumpfen Schmerz in ihren Knien; wunderbar ermattet fühlte sie ihre ganze Gestalt. Es wunderte sie auch nicht; eher staunte sie, daß nicht in allen Gliedern Weh und Elend war. Sie rang die Hände ineinander, ohne es zu wissen; aus ihren Augen leuchtete aber der starre Trotz. Näher beim Hause sah sie ein paar Sessel stehn. „Ach ja!“ seufzte sie. Halb unbewußt wankte sie hin und sank auf den nächsten. Abschied! dachte sie. Es schien ihr nicht ein Wort, sondern eine Sache, ein körperliches Ding zu sein. Es stand in der Luft vor ihr. So auch „Mitternacht“. Bis Mitternacht; dann ist’s aus …

Der Gedanke schüttelte sie. – Es ist aber nicht zu ändern, dachte sie. Es ist nicht zu ändern …

Die beiden Hände legten sich vor ihr Gesicht.

Morland trat vorsichtig aus dem Hause, mit den kleinen Augen spähend. Noch bei der Thür fragte er mit möglichst wenig Stimme: „Julius ist fort?“

Clotilde fuhr auf. Sie blieb aber auf dem Sessel. „Ja,“ antwortete sie.

Die runde Gestalt kam näher, stand dann bedächtig, fast schüchtern still. „Ich störe, wie es scheint ...“

„O nein,“ warf sie hin.

„Sehr schön! – Wenn du nun also bereit wärst, meine liebe Clotilde –“

Ohne Blick, wie abwesend, fragte sie: „Zu was?“

Morland lächelte ein bißchen: „Eine merkwürdige Frage. Wir warten ja schon auffallend lange, teure Schwägerin. Wir warten mit Sehnsucht – mit Entzücken – auf das lebende Bild. Ist die schlafende Ariadne bereit?“

Clotilde legte sich fest gegen die Lehne. „Nein,“ antwortete sie.

„Nein?“

Sie zog sich das Tuch enger um die Schultern, als fröstle sie. „Jetzt anfangen? – Ich kann nicht. Ich – – Luft muß ich haben; Luft!“

Sie legte sich eine Hand an den Kopf.

„Was heißt das?“ fragte Morland bestürzt. „Was hat’s gegeben? Was giebt’s?“

„Weiter nichts, als daß ihr warten müßt. Sollst der Gesellschaft melden, verstehst du: das lebende Bild hat Kopfweh. Das lebende Bild bleibt noch hier im Garten! – Habt doch Geduld, Geduld. Bin ich denn nur auf der Welt, euch zu unterhalten?“

„Um Gottes willen! O nein!“ Morland that sein Aeußerstes mit beiden Armen, um ihr zu beteuern, das sei nicht der Fall. Diese Frauen mit ihren Launen, o Gott, o Gott! dachte er; zugleich fuhr er aber fort zu reden: „Beste, Teuerste, wie bedaur’ ich das; ich bin ganz geknickt. Kopfweh. Infam! Eine solche Frau und Kopfweh! – Soll ich Erfrischungen holen? Soll ich bei dir bleiben? Was soll ich?“

Der ganze Umfang des dicken Silens stellte sich zu Befehl.

„Sollst mich ein wenig in Ruhe lassen“, erwiderte sie, den Kopf schüttelnd; „das ist alles, was ich wünsche. Weiter brauch’ ich nichts. Geh, sag’s ihnen. – Geh!“

„Augenblicklich, standepede,“ stieß er diensteifrig hervor, mit einer Gebärde, als stürze er bereits davon. „Ich hoffe nur, süße Frau – – Nicht wahr, ich gehe in der Hoffnung auf –“

„Besserung! Gewiß!“

Sie entließ ihn mit einer ungeduldigen Bewegung. Er nickte und ging dem Hause zu. Als er an die Thür kam, hatte er schon sein ganzes phlegmatisches Behagen wiedergefunden; er zuckte wohl noch die Achseln, aber mit einer Art von Genuß. Gemütlich resigniert spitzte er die Lippen. Sie macht’s grade wie Fanny, dachte er. Na, in diesem Punkt bin ich abgehärtet!

Die Thür schloß sich hinter ihm. Clotilde horchte, das Geräusch that ihr wohl; sie atmete erleichtert. Sie war nun wenigstens einstweilen allein auf der Welt … Der heraufsteigende Mond schien nur gar so hell, und ihr ins Gesicht. Sie stand auf, sie wandte sich von ihm ab, sah umher. Jetzt leuchtete das weiße Haus so grell unter seinem Licht; es war ihr so nah; es starrte sie so zudringlich an. Aus den Fenstern kam überall rötlicher, gelblicher Schein; als wären Dutzende von Riesenaugen auf sie gerichtet, neugierig oder vorwurfsvoll: warum amüsierst du uns nicht? du, unsre Primadonna? Warum treibst du dich so allein herum? Was ist dir geschehn?

Sie wandte dem Haus den Rücken zu. Ich will tiefer in den Garten gehn, dachte sie; wo mich niemand sieht! – Am Fluß war es zu frei, zu hell; rechts war die Mauer zu nah, der Garten bald zu Ende. Nur links, auf die Gewächshäuser zu, konnte sie in tiefem Schatten verschwinden. Sie schritt rasch, beinahe heftig aus, in diesen Schatten hinein. Mit einer Art von Wollust versank sie in die Nacht unter den hohen Bäumen, zwischen den dichten Gebüschen.

Als sie das große Gewächshaus und daneben das Lusthäuschen sah, hörte sie gedämpftes Sprechen; es klang wunderlich, traurig, dabei ganz eigen verschleiert. Sie war zuerst erschrocken, blieb dann lauschend stehn. Nun merkte sie, daß es aus einer dicht überwachsenen Laube kam, nur wenige Schritte von ihr, am Weg. Sie staunte beklommen: es war Luisens Stimme …

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0599.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)