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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

lachte sie drollig auf. „Ich glaub’ wahrhaftig, ich hab’ zu viel Bowle getrunken!“

Ein unwillkürliches „Hm!“ kam aus Luisen hervor. Sie trat darauf, wie erschrocken, hinter die Mutter zurück.

Wieder dieses väterliche „Hm!“ dachte Clotilde; diesmal lächelte sie aber inwendig. – „Was giebt’s?“ fragte sie. Hans hatte sich an ihre Seite gestellt und machte ihr verstohlene, geheimnisvolle Zeichen.

„Diesmal war ich zu rasch im Urteil, Tante,“ flüsterte der Jüngling. „Wenn Stronzian ihr Ideal ist, dacht’ ich, mit so ’nem Gaul konkurrier’ ich nicht! Aber das nehm’ ich zurück. Ein ganz famoses Frauenzimmer! ein Prachtmädel!“

„Ah!“ flüsterte Clotilde.

„Und gegen mich sehr liebenswürdig; aber schon sehr! Beim nächsten Rennen, dem Schlußmeeting – ein Flachrennen, ein Hürdenrennen und drei Steeplechases – soll ich Stronzian mit ihr in ihrer Loge bewundern. Morlands und ich. – Lebend oder tot, kommen muß ich!“

Er hatte nach und nach, vielleicht mit Absicht, etwas lauter gesprochen. Jeannette von Lossow war mittlerweile auch herangetreten; einige Hauptworte hatte sie gehört. „Sie sprechen von Stronzian?“ fragte sie; ihre Wasserblauen Augen waren voll Harmlosigkeit und Unbefangenheit.

„Nein, von Ihnen, mein Fräulein!“ erwiderte Hans galant. „Ich erzählte meiner Tante eben – –“

Er sprach leiser weiter. Also schon wieder verliebt! dachte Clotilde. Richtig, nach einigen Augenblicken ging er mit dem Fräulein den Weg entlang, auf die Gewächshäuser zu, eifrig in sie hineinredend; sie sah in den Mond, er in ihr Gesicht.

Ellenberger und die andern Laternenträger waren in die Laube getreten und hatten dort die bunten Lichter auf den Tisch gestellt; sie kamen jetzt auf den Weg zurück. Ellenberger blickte den beiden jungen Leuten nach; er sagte nichts, aber er ging hinterdrein. Fanny, Morland, Marwitz verfolgten wieder ihn mit vergnügten Augen; sie sahen im Mondschein, wie er zu den beiden stieß, wie nun zwei Trabanten um die üppige Jeannette kreisten. Fanny lachte leise. „Das muß man sehn,“ murmelte sie ihren Herren zu, „wie diese kluge Jeannette die beiden da magnetisiert! Sie will einen Mann haben!“

In ihrer Bowlenheiterkeit sprach sie allmählich lauter: „Beide haben Geld; der eine auch hübsche Pferde; der andre ist selber hübsch. Für wen wird sie sich entscheiden? Wer weiß das?“

„Um Gottes willen,“ flüsterte Morland, „sprich doch nicht so laut. – Die Bowle!“

Fanny lächelte.

„Sie nimmt Ellenberger,“ setzte Morland hinzu.

Fanny schüttelte den Kopf. Ihre Wangen glühten, ihre Augen lachten. „Ich wette, sie nimmt Hans!“ – Das Wort „wetten“ brachte sie auf einen fidelen Gedanken; mit immer lachenden Augen hob sie ihren Zeigefinger: „Wetten wir! Wetten wir!“ Sie griff in Morlands Brusttasche und zog ihr kleines Wettbuch heraus, riß ein Blatt davon ab und nahm ihren Bleistift. „Ich setz’ fünfhundert Mark auf Hans, daß er früher ankommt. Wer hält gegen mich?“

Luise stand rückwärts, auch an der Laube, allein; sie hatte von Fanny’s Reden einiges gehört. Unwillig das Gesicht verziehend stieß sie wieder ein „Hm!“ heraus, diesmal ganz unbewußt.

Niemand gab drauf acht; nur Clotilde, die sich auf eine Rasenbank unter dem Gebüsch gesetzt hatte, hörte den bekannten Ton. Was „hmt“ sie wieder? dachte sie.

„Im Mondschein kannst du ja doch nicht lesen,“ murmelte Morland.

„Zur Not, o ja!“ antwortete Fanny; „aber da brennen ja die Lampions.“ Sie winkte ihren Herren und trat in die Laube; Morland und Marwitz folgten ihr. „Hans hat Rasse,“ fuhr sie fort und setzte sich an den Tisch; „und er hat gut gestartet. Wer hält gegen mich, auf Ellenberger?“

„Ich!“ sagte Morland, fast zu laut; er legte sich dann die fette Hand auf den Mund.

„Ich auch,“ flüsterte Marwitz lächelnd.

Fanny schrieb mit ihrer modernen, kühnen (nachträglich gelernten) Schrift auf das ausgerissene Blatt: „Fanny Morland fünfhundert Mark auf Hans von Hochfeld; Handicap-Steeplechase; Ziel: Jeannette von Lossow. Herr von Marwitz fünfhundert Mark auf Bankier Ellenberger …“

Sie schrieb für Morland das Gleiche. Morland schmunzelte. Er liebte jeden gewagten Humor.

Jeannette kam von den Gewächshäusern mit ihren beiden Männern zurück. „Ach Gott,“ seufzte Hans, nach einem heimlichen Eifersuchtsblick auf Ellenberger, „ich muß leider fort!“

Jeannette bedauerte es; ihre Augen suchten ihn noch zurückzuhalten.

„Das verdammte Pferd ist gesattelt,“ seufzte er weiter, „und die elende Pflicht ruft!“

Luise trat jetzt hinter der Laube hervor; auf einmal stand sie im hellen Mondlicht. „Du mußt fort?“ sagte sie zu Hans. In diesem Augenblick fiel ihr ein [??] hatten sich noch gar nicht gesehn. Sie gab ihm die Hand: [?? g]uten Abend, Hans. – Du reit’st nach Hause? zu meinem Vater?“

Er nickte. „Das heißt, ich muß ja erst noch in die Altstadt hinüber; ein paar Besorgungen. Verbummelt. – Dann geht’s Hals über Kopf hinaus!“

„Bitte, wart noch eine Minute!“

Luise lief fort, dem Hause zu.

„Sie reiten doch gern?“ fragte Jeannette, die neben der Laube stand.

„O gewiß!“ beteuerte Hans. „Mit Passion!“

„Ich find’ alles andre fad; nur zu Pferde ist man ein Mensch! – Tanzen? Es ist so lächerlich, wenn man sich herumdreht – “

Hans nickte. Er stimmte jeder ihrer Behauptungen zu; – so ein Vollblutmädel.

„Und Schlittschuhlaufen,“ fuhr sie fort, „ist Cichorie!“ – Sie lächelte ihn an. „Wollen Sie mit mir reiten, Herr von Hochfeld?“

„Ich? Ob ich will! Durch ganz Rußland, bis Sibirien!“

Fanny war in den Eingang der Laube getreten, das kleine Blatt in der geschlossenen Hand; Marwitz und Morland streckten hinter ihr die neugierigen, geröteten Gesichter vor. „O seht, seht,“ flüsterte Fanny zurück, „wie sie den Hans avancieren läßt. Seht Ellenbergers versauertes Gesicht. Ich wette noch fünfhundert auf Hans!“

Marwitz lächelte überlegen, staatsmännisch. „Er behält aber nicht die Führung.“

„Ein Outsider,“ murmelte Morland geringschätzig.

Fanny lachte die Herren leise aus. „Wer hält Ellenberger?“

Marwitz deutete auf seine Brust.

Ihren Gatten beiseite schiebend, trat Fanny wieder an den Tisch, setzte sich und schrieb.

Jeannette hatte sich inzwischen zu Ellenberger gewendet, um den etwas Vernachlässigten wieder aufzuheitern; es kam auch schon ein erster Sonnenstrahl in sein Gesicht. Hans blickte den Weg hinunter, ob Luise käme; dabei entdeckte er Clotilde in ihrem Schatten, auf der Rasenbank. Abschied nehmen! dachte er. Ihm war lächerlich verrückt zu Mut: das Herz in ihm lachte und blutete zugleich. Es blutete und lachte … Er ging zu Clotilden hinüber. „Gute Nacht,“ sagte er mit weich gedämpfter Stimme, „Tante aller Tanten.“

Sie zog seinen Kopf sanft zu sich herunter. „Armer Junge!“ sprach sie ihm ins Ohr. „Es scheint, du bist schon wieder rettungslos verliebt!“

„Rettungslos!“ antwortete er.

Luise kam in geschwindem Schritt, ein eingewickeltes, großes und dickes Buch im Arm. Sie zog Hans von der Mutter fort, ein Stück Weges weiter. „Willst du mir einen Gefallen thun, Vetter?“ sagte sie leise, als niemand sie mehr hören konnte. „Schau, dieses Buch. Willst du das mitnehmen, und sobald du meinen Vater siehst – – Siehst ihn heute noch?“

„Ich denke.“

„Willst du’s ihm dann geben?“

„Natürlich! Mit Vergnügen!“

Sie legte es ihm auf die Hand. „Donnerwetter! Schwer!“ sagte er erschrocken.

„Ja, leicht ist es leider nicht –“

„Ach, das macht ja nichts. – Was ist denn drin?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0603.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)