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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Luise spielte das alles. Mit kopfschüttelndem Staunen sah Clotilde zu.

„Ja, ja, ja. – Wie du das machst!“

„Das hab’ ich ja von meiner Mutter,“ sagte Luise kindlich drollig lächelnd; „das ist Künstlerblut. – Die Mutter in mir spielt den Vater in mir.“

„Meinst du!“

Clotildens heiteres Staunen verging; ein tiefer, befangener Ernst erfüllte ihre Züge. Auf ihrer Bank weit vorgebeugt starrte sie das Mädchen an; „ach, wie märchenhaft, wie wunderbar das ist,“ murmelte sie. – „Spiel’ ihn weiter, Kind! – Laß ihn auch einmal reden, Kind. Oder kannst du das nicht?“

Luise schüttelte den Kopf. Sie ward blaß; so erschreckte sie dieser Gedanke, der sie doch auch reizte. Ein scheuer, noch zaghafter Wunsch, es zu thun, flog ihr durch das junge Herz.

Clotilde bewegte sich, als wollte sie aufstehn; jetzt sagte Luise rasch, mit plötzlichem Entschluß: „Doch, Mutter, ich kann’s!“ Sie zerrte vor Erregung mit der einen Hand an der andern und wiegte den rechten Fuß auf den Zehen. „Jch möcht’s einmal versuchen, Mutter. – Er ist auf dem Lande, weißt du...“

Sie suchte noch ihren Gedanken, ihre Worte.

„Ja,“ murmelte Clotilde.

„Im Garten ist er; ganz allein. Er hat mit seinen Pflanzen geliebäugelt; jetzt – guckt er umher, als sucht’ er jemand. Er denkt – –“

Sie sagte nicht, was er denke; sie wagte auch nicht mehr, die Mutter anzusehn. Aber sie fing an zu seufzen, in Julius’ Art, so gut sie das konnte. Es gelang noch schlecht; ihr Herz schlug zu unruhig, sie fürchtete sich. Ach was, dachte sie, warum mich fürchten; Mutter sitzt ja so still, so gut. Ich muß es thun – ich muß was thun …

„Luise!“ rief sie dreist, wie mit des Vaters Stimme, den Kopf auf die Seite gedreht. – „Ja so. Luise ist nicht hier. Die ist in der Stadt. – Und hier ist’s so still. – Warum kommt denn meine Luise nicht zu ihrem Vater? Hat sie ihn denn nicht lieb? Sehnt sie sich nicht nach ihm? – Ach, was red’ ich da; wie kann ich das sagen. Gewiß hat sie ihn lieb. Sie sehnt sich auch nach ihm. Aber sie muß ja in Dresden bei der Mutter bleiben …“

Die Worte waren glücklich heraus; nun zitterte sie aber selbst. Zur Mutter hinschauen mochte sie nicht; mit dem Augenwinkel konnte sie jedoch sehen oder fühlen, daß sich die helle Gestalt auf der Rasenbank unruhig bewegte. Wird’s nun schlimm? dachte sie. Wird sie nun bös?

Es kam nichts. Es ward eine tiefe Stille. Die helle Gestalt regte sich auch nicht mehr. Endlich konnte Luise den Atem der Mutter hören, so laut ging er durch die schweigende Nacht. „Warum hast du schon aufgehört?“ sagte Clotilde nach einer Weile, so weich und so heimlich bewegt, daß es dem Kind über die Haut lief. „Spiel nur weiter, Kind. ,Sie muß bei der Mutter bleiben‘ … Sag nur alles, was er sich denkt!“

„Ja,“ antwortete Luise selig; obwohl ihr noch immer der Mut verging, nach der Bank zu blicken. „Also er steht da noch im Garten. Und – er denkt und denkt …“

Sie wühlte ein wenig mit der Hand in ihren Haaren, wie sie’s am Vater kannte. Ihr Blick bohrte sich in die Erde, es legte sich eine tiefe Schwermut auf das rührend junge Gesicht. „Wo mögen die nun wohl sein?“ fing sie wieder an, als wär’ sie der Vater; die Aehnlichkeit des Tons und der Stimme wuchs. „Im Saal, bei der Musik? Oder sind sie noch im Garten, im Mondschein – Mutter und Kind – und denken auch einmal an mich?“ – Leise begann ihr die Stimme zu zittern, aber ungewollt: „Ist ihnen doch ein wenig traurig zu Mute, daß sie nicht bei mir sind? Haben sie doch auch etwas Kummer, wie ich?“ – Jetzt hielt sie den Kopf und eine Hand so, als horchte sie. „Was ist das? Rollt da nicht ein Wagen auf den Hof? Ich hör’s ja, wie die Hufe stampfen. Mein Gott! Könnten sie das sein? Wenn sie plötzlich kämen, um mich zu überraschen. – Clotilde! Luise!“

Sie hob die Stimme, als riefe sie. Dann sank die aber ebenso geschwind, und mit ihr die Gestalt. „Nein, jetzt hör’ ich’s. Kein Wagen. Nur ein Reiter. Nur Hans. Niemand als mein guter dummer Hans …“

Sich nach rechts wendend, wie zu einem Eintretenden, sagte sie nur noch, so recht resigniert: „Guten Abend, Hans!“

Es ward wieder eine tiefe Stille. Nichts, gar nichts rührte sich auf der Bank. Luise sah noch immer nicht hin. Bei dem Schweigen ward ihr endlich bang zu Mut; sie grollt mir wohl so! dachte sie. Dann schämte sie sich aber ihrer Bangigkeit. Sie wandte das Gesicht der Mutter zu.

Jetzt wunderte sie sich: Clotilde saß in sich zusammengesunken, die Hände vors Gesicht gelegt. Luise hatte einmal ein Bild gesehn, auf dem war eine Griechin oder Römerin auch so abgebildet, wie in einen großen Kummer vertieft. Daran mußte sie denken, bei diesem antiken Gewand und dem Schleiertuch. Es schien nun sogar, als finge die Mutter leise an zu weinen … Eine andre Bangigkeit kam über das Kind. Sie fürchtete: ich hab’ ihr zu weh gethan …

„Verzeih, Mutter!“ flüsterte sie. „Es – es kam mir so. – Ich war kindisch. Ich will nicht wieder – – “

Sie nahm sich den Hut vom Kopf und warf ihn ins Gebüsch, wo er hängen blieb.

„Nein, nein, nein,“ sagte Clotilde, so still weiter weinend. „Laß nur. Es war gut. – Laß nur. O laß nur …“

Sie nahm die Hände vom Gesicht und stand auf. „Kind! Ach, komm zu mir!“

Immer noch zagend trat Luise zur Bank. Auf einmal fühlte sie sich umschlungen, rundum, so leidenschaftlich wie noch nie. Sie fühlte der Mutter nachtkühlen Mund auf dem ihren, und einen rollenden, warmen Tropfen. „Luise! Mein Kind!“ sagte die zitternde und thränende Stimme zwischen Kuß und Kuß. „Du mein einziges … Meiner Jugend Kind! Meiner Liebe Kind!“


12.

Friedrich, der Diener, der von der Villa her kam, blieb in einiger Entfernung stehn; er wartete respektvoll, wie er’s gewohnt war, bis die Umarmungen von Mutter und Tochter ein Ende nahmen. Sie dauerten ihm allerdings unbegreiflich lange; das war aber ihre Sache; seine Sache war, geduldig auf seinen beiden Füßen zu stehn. Als Clotilde, das Kind noch in einem Arm haltend, den umschleierten Kopf endlich wandte, räusperte er sich, auch nach seiner Gewohnheit; darauf trat er heran. „Ach ne, keine Sorge, gnädige Frau,“ sagte er zur Beruhigung, „die Herrschaften schicken mich nicht; die machen noch Konzert. Ich wollt’ mir nur erlauben, zu fragen – da ich höre, gnädige Frau sind nicht so ganz wohl – ob Sie vielleicht meine Dienste wünschen. Wir haben ja unsre Hausapotheke.“

„Mein guter Friedrich,“ versetzte Clotilde langsam, als erwachte sie aus einem Traum. „Hausapotheke …“

Sie lächelte. Das Kind an sich drückend fragte sie: „Was hat er eigentlich gesagt?“

„Nichts, Mutter. Er fragte nur –“

„Wie es mir geht?“

Luise nickte.

„Ach, der gute Friedrich. – Ich hatt’ ihn ja doch zu Bett geschickt; oder hatt’ ich das nicht? – Er schüttelt den Kopf. – Wie’s mir geht? Besser, besser, Friedrich. Viel, viel, viel besser!“

Sie ließ Luise aus dem Arm; es war nun offenbar eine Unruhe über sie gekommen. Sie starrte in die Büsche; dann zum Himmel auf. Mehrere Male nickte sie, wie ein Mensch, der sich in seinem Willen klar wird, der an seinem Entschluß nun nicht mehr deutelt oder zweifelt. Danach lächelte sie, offenbar vor Freude; ihr blasses Gesicht verjüngte sich. Ein rosiger Hauch erschien auf den Wangen. „Wie spät ist es?“ fragte sie, sich langsam wieder zu den beiden wendend.

„Neun Uhr,“ erwiderte Friedrich.

„Neun Uhr …“

Sie sah an sich hinunter. „Die schlafende Ariadne … Ach, was thut das. Man hängt ihr was um. – Sagen Sie, Friedrich: ob die Gartenthür an der Landstraße wohl noch offen ist?“

„Gewiß, gnädige Frau.“

Sie wiederholte mechanisch: „Gewiß. – Kind, laß einmal mich den Mantel – –“

Sie nahm Luisen den braunen Mantel von den Schultern und hängte ihn sich selber um, bedeckte damit auch vorn ihr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0606.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)