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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

glycinenumwucherten Veranden, und durch Bäume und Gebüsche sieht sie die weißen Segel der blauen Adria. Weiße, schwankende Segel auf azurnem Grund! Wenn sie aber darüber in die Händchen patschte, so sagte die Mutter: „Schwälbchen, es giebt noch etwas, was weißer ist als die Segel, das sind die Firnen des Engadins. Und inniger als die Adria strahlen die Seen des Inns.“

Ja, wenn man durch die Thäler und das Gebirge wandern dürfte! Aber der Onkel ist so schwer beweglich, und allein läßt er sie nicht gehen.

Und jetzt kommt noch der alte Gruber mit einer Liebeswerbung für seinen Sohn.

Thorheiten, man reißt doch einen Landstürmler nicht deshalb aus Feindeshand, um sein Weib zu werden! Was geht mich der junge Gruber an?

Da tönte das helle Glingling eines Schmiedehammers in den Frieden des Kirchleins – Paltrams Hammer.

Sie machte eine rasche Bewegung, wie wenn sie eben jetzt auch etwas tüchtig angreifen möchte.

Dort unten, halben Weges zwischen der Kapelle und der Straße, die zum Berninapaß führt, steht die Hütte, die er mit Hilfe des Pfarrers erworben und in der er seine Werkstätte eingerichtet hat. Er hat das baufällige Haus mit eigner Hand ausgebessert, den raschen Wiesenbach an seine Mauern hingezogen und ein selbstgezimmertes kleines Wasserrad, das ihm den Blasbalg der Esse treibt, darein gesetzt.

Mit wahrer Wonne horcht Cilgia dem hellen Klingen des Hammers – nicht gerade weil es von Paltram kommt, sondern weil es die Stimme emsiger, nützlicher Arbeit ist, und ihre goldbraunen Augen glänzen.

Ja, so ein Schmied hätte sie auch sein mögen!

Der Mesner hat das Grab fertiggeschaufelt und hört, in der Grube auf den Spaten gestützt, ebenfalls dem Hammerschlage zu.

„Wenn nur die Maduleiner Geschichten nicht wären,“ sagte er, aus der Grube steigend, „so stände alles um Markus Paltram gut. Er gewinnt zusehends an Boden und Vertrauen und man lobt seine Arbeit. Fragt den Kronenwirt in Samaden. Der hat eine alte Uhr seit drei Jahren bald nach Cleven, bald nach Chur geschickt und sie ist nie ordentlich gegangen. Da giebt er sie Paltram. Und jetzt geht sie so gut wie die an der Kirche.“

„Und was spricht man in Madulein von Paltram?“ fragte Cilgia.

„Ja, das sind andere Geschichten,“ versetzte der Mesner.

„Wer war denn seine Mutter?“

„Ein merkwürdiges Weib. Hört nur: am liebsten spielte der Bube auf der Ruine Guardaval, die wie ein Raubvogelhorst über dem Dorf steht, und er schleppte auch seine jüngern Brüder dort hinauf, wo sonst niemand etwas zu suchen hat. Eines Tages nun sah man etwas Entsetzliches. Markus und sein Bruder Rosius schoben einen Sparren aus den Mauern der Ruine, legten ein Brett darüber und schaukelten darauf zwischen Himmel und Erde.“

„Ich denke, kühne Buben hat’s irn Engadin immer gegeben,“ neckte Cilgia den alten, bedächtig eifrigen Erzähler.

„Ja, aber jetzt die Mutter,“ mahnte der Mesner mit einer abweisenden Bewegung gegen die Unterbrechung. „Der Küfer legte einen Strick bereit, um die Buben zu züchtigen, wenn sie von dem Felsen herniederstiegen. Sein Weib aber klatschte in die Hände und sagte: Mann, sei kein Narr und freue dich, daß Rosius, der Feigling, die Schlafmütze, neben Markus ein beherzter Kerl wird? Und sie ließ den Buben nichts geschehen.“

„Diese Mutter gefällt mir,“ sagte Cilgia fröhlich, „erzählt mir mehr von ihr.“

„Damals, als das geschah,“ fuhr er fort, „war Markus noch ziemlich klein. Als er etwas größer war, brachte er von Guardaval herab häufig junge Vögel, die er zähmte. Einmal auch eine rotschnabelige und rotstrumpfige Bergkrähe, die ihm sehr lieb wurde. Denn wo er stand und ging, hüpfte sie ihm nach. Der Vater, der Küfer, aber hatte einen prächtigen gestreiften Kater und der fraß die Krähe auf. Markus unterdrückte seinen Zorn. Als aber der Kater beim Mittagstisch auf die Bank sprang, sich neben den Küfer setzte und miauend seinern Anteil vom Mahle heischte, legte Markus den Löffel auf die Seite. Er sagte kein Wort, packte das Tier am Hinterkopf und den hintern Läufen, streckte es, obgleich es die Krallen der Vorderfüße tief in sein Handgelenk verbohrte, so auseinander, daß es, ohne einen Laut von sich zu geben, verschied. Es in eine Ecke schleudernd, zürnte er: ,Da, Vater, habt Ihr Euern Maudi, er hat mir meine Krähe gefressen.‘ Der Grimm loderte in den Augen des Küfers, ebenso kurz erwiderte er: ,Du bist nicht mehr mein Sohn, Markus!‘ Von da an redeten sie kaum mehr ein Wort zusammen. Markus ging mit den Gemsjägern und war als halbwüchsiger Bube schon der beste Schütz im Engadin.“

„Das habe ich gehört,“ sagte Cilgia, „und auch wie er einem, arg verbrannten Kinde die Schmerzen gestillt hat. Was haltet Ihr von dieser Geschichte, Mesner?“

„Sie ist höchst geheimnisvoll,“ und er zuckte die Schultern, „es blieb aber nicht bei diesem einzigen Mal, sondern er hat seine heilende Kraft in Blick und Händereichen oft bewiesen. Man rief ihn häufig ins Dorf und in die Umgebung zu Kranken, er ging aber erst, wenn ihn seine Mutter bat. ‚Markus, versuch’s!‘ Dann ging er ohne Widerspruch.“

„Das ist ein schöner Zug an ihm,“ versetzt Cilgia warm.

Der Mesner hob belehrend den Zeigefinger: „Mutter und Sohn liebten sich, wie man das selten sieht, sie redeten nur mit den Augen und verstanden sich – sobald aber der Küfer den Markus sah, gab’s zwischen den zweien Feuer, und es war ein Glück, daß der Junge später nach Frankreich ging, sonst hätten sie eines Tages die Fäuste und Waffen gegeneinander erhoben, denn der Küfer erzählte jedem, der es hören wollte, Markus sei nicht sein Bub, sondern ein Camogasker.“

„Ein Camogasker,“ sagt Cilgia vorsichtig und gespannt, „ich würde gern einmal genau wissen, was das ist.“

Der Mesner kratzt sich in den dünnen Haaren: „Sprecht mit dem Pfarrer darüber, Fräulein. Er hat eher als ich die rechten Worte, es für so zarte Ohren wie die Euern zu stimmen.“

„Gut, so erzählt mir weiter,“ und Cilgia senkte den Kopf in einer kleinen Enttäuschung.

„Es ist merkwürdig,“ fuhr der Mesner fort. „Wie sich das Gerücht, daß er ein Camogasker sei, verbreitete, änderte sich sein Blick, der vorher wie der anderer Leute gewesen war. Man begann ihn zu fürchten. Seiner Mutter aber blieb er so ergeben, daß er sich ein Auge hätte ausstechen lassen, wenn sie ihn darum gebeten hätte. Und seht, Fräulein, daran erkennt man nun die Söhne des Ritters von Guardaval – sie können, wenn sie wollen, für ein Weib alles thun, aber nie von einem Mann einen Rat annehmen. Sie werden groß im Leben, aber einmal müssen sie die schlagen, die ihnen die liebsten sind.“

„Das ist ja gräßlich!“ versetzt Cilgia erschreckt.

„Ich gehe, Fräulein,“ sagt der Mesner. „Ich möchte gegen Markus Paltram nicht unchristlich sein – ich ärgere mich aber, daß er in sechs Wochen nur zweimal zur Kirche gekommen ist. Seht, es kommt schon ein starker Wind!“

Damit nahm der Alte die Grabwerkzeuge auf die Schultern und ging grüßend dem Dörfchen zu. „Die Geißen müssen jetzt bald vom Berg steigen, sonst geraten sie in das Wetter, das hinter der Bernina rüstet.“

Cilgia setzt sich nachdenklich auf die Bank am Thor.

An das Gerede vom Camogasker glaubt sie nicht. Ihr kluger Vater hat dergleichen Dinge immer verworfen.

Sie steht auf und wandelt in tiefem Sinnen zwischen den Gräbern.

Der mutige Mann, dessen das Engadin bedarf, ist kein andrer als Markus Paltram – nicht etwa einer ihrer Freunde von Fetan – nein, Markus Paltram, der aus der Tiefe kommt. Da wachsen die starken Männer – auch ihr Vater ist aus einem verachteten Jungen der spätere Mann von großem Ansehen geworden. Aber für Markus wäre vorher eins nötig: Sonne, Sonne müßte man diesem einsamen und freundlosen Leben geben, es müßte ihn eine lieben, wie ihn seine Mutter geliebt hat. Dann würde er steigen!

Das helle Glingling seines Hammers tönt in ihre Träume – auf den Arven am Waldrand krächzen schon die Raben, die in den Bergwald heimwärts fliegen, und mit Geschell und Gemecker

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0618.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)