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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

vor Mitternacht irrt er noch umher. – Wenn er noch ein verliebter junger Bursch wär’ wie ich! – – Schauderhafte Einsamkeit hier! Keine Musik, keine Parfums, keine Toiletten, keine blitzenden Augen. Donnerwetter, diese Augen! Jeannette von Lossow hat doch die merkwürdigsten, unternehmendsten Augen, die – – Klein sind sie ja eigentlich. Und kein rechtes Blau. Aber manchmal guckte sie mich an, daß ich – –

Mit einem verzückten Lächeln sah er in die Luft. Wie viel hatte er in den paar Stunden erlebt! Wie persönlich wohl war ihm zu Mut; er fühlte, daß es ganz entschieden ein Glück war, Hans von Hochfeld zu sein. Nur das muß ich sagen, ging ihm nach einigem Nachdenken durch den Kopf: etwas in mir bäumt sich doch gegen sie auf. Ich bin ja nicht unbescheiden; aber wenn sie zum Beispiel meine Frau würd’ und sagte mir dann eines Tages: ich hab’ Almansor doch noch lieber als dich –

Ein furchtbarer, schauderhaft aufregender Gedanke; Hans ballte seine beiden Fäuste. Diesem Almansor schöss’ ich eine Kugel vor den Kopf!

Er hatte das schwere Buch auf den Arbeitstisch gelegt; aus Pflichtgefühl konnte er sich aber noch nicht entschließen, zu gehn. Endlich! Der Oheim kam! In sich versunken, unheimlich ernst, ohne Hans zu sehn, trat er durch die Glasthür ein, in braunem Mantel und braunem Hut, ganz denen gleich, die er in der Villa Viola gelassen hatte. Er drehte den Schlüssel um. Er sah auf die Erde, ließ ein paar Töne hören, die wie halb unterdrückte Seufzer klangen. Derweil blieb er stehn, neben der lebensgroßen Flora-Statue; gegenüber stand nur noch das leere Postament der zerschlagenen Fortuna. Er nahm Hut und Mantel ab und legte sie, wie er schon öfter gethan, der Flora auf Kopf und Schultern. Als er dann zum Arbeitstisch ging, sah er Hans.

„Guten Abend, Onkel Julius,“ sagte der junge Mann.

Julius nickte ihm zu: „Guten Abend, Hans.“ Er unterdrückte ein bitteres Lächeln; der kommt immer wieder! dachte er. – „Was, du noch auf?“

„Ich hatte dir was zu übergeben, Onkel. Uebrigens war ich auch – noch zu aufgeregt. Hätte doch noch nicht schlafen können.“

„Du warst im Salon bei Morlands?“

„Ja, auch; eine Zeit lang. Hab’ aber natürlich auch meine Geschäfte besorgt. – In der Villa war’s – recht interessant. Ich hab’ auch dieses merkwürdige junge Mädchen, Fräulein von Lossow, kennengelernt –“

„Ah!“ unterbrach ihn Julius. „Die Centaurin!“

„Centaurin?“

„Ja. Dieses junge Weibchen mit dem Pferdeherzen.“

Julius trat an das Fenster, das auch in den Garten sah; es war aber durch einen langen, dunklen Vorhang verdeckt. Er lüftete ihn und starrte wieder in die dämmernde Nacht.

Er drückt sich immer merkwürdig abkühlend aus, dachte der doch etwas verwirrte Hans. Wie ein Regenbad! – „Ich find’ sie aber jedenfalls sehr interessant,“ entgegnete er, um sich aufzulehnen.

Julius lächelte über die Schulter. „So? Sehr interessant? Daß sie immer von Pferden spricht? – Ich hab’ sie im Frühling in Berlin gesehn; das war nicht sehr – –“

„Aber wie sie davon spricht!“ warf Hans ein, wenn auch etwas unsicher. „Und dann – ihre frische, herzliche Art; ihre Natürlichkeit.“

Der Oheim sah ihn schweigend an. Was er dachte, konnte er nicht gut sagen: Alle Weisheit aller gescheiten Menschen kann die Dummen nicht hindern, dumm zu sein!

„Verliebt!“ murmelte er dann in den Vorhang hinein, wie um den Bengel ein wenig zu entschuldigen.

„Sagtest du etwas?“ fragte Hans.

„Nur so für mich. – Na, und du warst auch so glücklich, die lebenden Bilder zu sehn?“

„Nein, Onkel, ich nicht mehr. Tante Clotilde ließ sich entschuldigen, weil sie Kopfweh hatte. Später suchten wir sie alle im Garten auf; da sah sie aber in ihrem Kleid und Schleier und Blässe noch aus wie eine Statue des –“

Er suchte das Wort; er hatte sich zu weit gewagt.

„Wessen?“ fragte Julius.

„Wie eine Statue des Kopfwehs,“ brachte Hans mit einem kühnen Lächeln heraus. „Es ging ihr aber doch schon besser … Du, Onkel, bei Statue fällt mir ein: da fehlt also noch immer das Gegenstück zur Flora. Das Postament und gar nichts drauf; es sieht schauderhaft unsymmetrisch aus. Willst du sie nicht wieder kommen lassen?“

„Die Fortuna?“

„Ja.“

„Nein, nein. – Laß es nur so aussehn. Was liegt daran. – Ich werd’s auch nicht mehr lange sehn. Ich reise ab.“

„O! Du reisest ab?“

„Ja.“ – Julius ging durchs Zimmer, langsam hin und her. – „Eine längere Reise. Nach dem Süden; es kommt ja nun der Herbst.“

Nach einigem Zögern fragte Hans: „Allein?“

„Ja. – – Geh zu Bett, mein Junge. Es ist spät, du bist für einen Landmann schon viel zu lange auf. Morgen wieder früh heraus –“

„Ich schlaf’ schnell!“

„Sehr angenehm. Aber doch Gute Nacht!“

Hans trat näher und gab ihm die Hand. „Wie der Herr Onkel befehlen. Gute Nacht!“ Er ging.

„Allein!“ dachte Julius, sich Hansens Wort wiederholend, als er die Thür hatte schließen hören. Es ödete ihn an, dieses Wort; sich auf die Reise freuen konnte er nicht. In der Fremde herumirren, allein … Und doch war’s vielleicht gut. Vielleicht verjüngte es ihn; denn sie hat wohl nicht Unrecht, dachte er, die verfinsterten Augen schließend, – ich fühl’s: ich bin wirklich älter, als ich sollte. Die wahre Lust am Leben, die ist mir entfallen …

Nebenan, im Salon, hörte er Klavierspiel; leises, aber er hörte es doch. Er erkannte Hans am Anschlag; weich spielten seine Finger nicht. War der dumme Junge denn in den Salon gegangen, statt nach seinem Zimmer? – Der glückliche dumme Junge fand also noch nicht zu Bett. Offenbar verliebt! Der Waldmensch in die Centaurin! – Julius saß an seinem Schreibtisch nieder, stützte die Stirn in die Hand. Wär’ wenigstens Luise bei mir! fuhr ihm durch den heißen Kopf; das würd’ mich verjüngen! Mit ihr in die Welt hineinschauen – o ja. Mit ihr wieder neu staunen lernen über alles! – Sie bleibt bei der Mutter.

Sie bleibt bei der Mutter …

Er starrte auf den Tisch. Etwas Eingewickeltes fiel ihm in die Augen; „an meinen lieben Vater“ stand darauf. Es war von Luisens Hand geschrieben. Wie kam das hierher?

Er stand auf, ging zur Salonthür und öffnete sie. Eine einzige Kerze brannte dort, auf dem Klavier; Hans saß noch und spielte. Als der Jüngling den Oheim sah, sprang er auf. „Bitte um Vergebung! Ich wollt’ mir nur noch ein Schlummerlied aufspielen –“

„Hast du das gebracht?“ unterbrach ihn Julius. „Auf meinem Tisch liegt ein Buch, wie es scheint.“

„O Gott, ja! Verzeih! Das hab’ ich vergessen. Als du von der – Centaurin anfingst – –“

Er folgte dem Onkel ins Arbeitszimmer, um seine Dienstfertigkeit zu zeigen, und legte ihm das Buch selber in die Hand. „Schwer! Was? Und damit den ganzen Weg geritten. Cousine Luise schickt es dir.“

Julius wickelte den Inhalt heraus; befremdet, mit einem mißfälligen Spiel der Brauen, sah er darauf hinunter. „Ein Album. Das alte Buch mit – den Photographien von Tante Clotilde. – Das schickt mir Luise?“

„Ja.“

„Warum?“

„Lieber Onkel, das weiß ich nicht. Sie kam damit und gab mir’s; basta.“

Julius öffnete das Album und durchblätterte es. „Ich versteh’ nicht! – Vielleicht hat sie sich vergriffen; mir fehlte ein anderes Buch, das ich in der Stadt gelassen hatte. Das sollte Friedrich mir schicken.“

„Ja, so wird’s wohl sein!“

Hans sah dem Oheim über die Schulter, seine Augen blätterten mit. „Donnerwetter, schöne Photographien! – Weißt du, Onkel Julius, wenn dir’s kein Opfer ist, könnt’st du mir eine davon geben: Tante Clotilde ist in meiner Schuld. Die einzige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0634.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2023)