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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

wachsen, im Guten, mein’ ich, im Frieden – mit ihr und mit dir!“

Julius sah sie in stiller Seligkeit an. Er hatte mehrmals lächelnd den Kopf geschüttelt; es waren aber nur Versuche, sich von dem Uebermaß der unerwartetsten Empfindungen zu befreien. Als er nun auch Worte fand, war seine Stimme eine Weile noch fast ohne Klang: „Wie beschämst du mich! Ja, ja. Ich, der ich an nichts mehr glaubte – weder an dich noch an mich – und nun geschehn Wunder in uns beiden …“

Sie blickte ihn fragend an.

„Ja, ja, auch in mir! – Das Album da, mit deinen Bildern –“

Im Salon begann wieder gedämpftes Klavierspiel, das ihn unterbrach; jetzt eine andere Melodie. Es war Zerlinens Trostgesang zu Masetto, im „Don Juan“:

Wenn du fein fromm bist, will ich dir helfen;
Ich weiß ein Mittel, für alles gut.
Es schmeckt so lieblich, und hilft so plötzlich;
Du sollst dich wundern, wie wohl drr’s thut!
Ach, das zerteilet.
Lindert und heilet …

Sie horchten eine Weile, beide, auf den süßen Wohllaut. Julius hatte begriffen: „Das ist unser Kind!“

Clotilde nickte.

„Gott! Was für ein Kind! Diese Sechzehnjährige. Dir hilft sie auf den Weg zu mir, wie du sagst – pilgert her mit dir – und mir legt sie so von weitem, ohne Worte, ihre kleine Hand aufs Herz. Schickt mir das Buch da – ja, sie – und öffnet mir die verdrossenen Augen, die sich schließen wollten ... Nein, nein, sie sind wieder offen, Clotilde. Ich schau’ wieder hinter mich in mein Jugendglück – als du meine Freude warst, als alles, alles noch gut war – wie es wieder werden soll, wenn mir dein Mund und deine Augen nicht fromme Lügen sagen –“

Sie schüttelte den Kopf.

„Wenn du mir noch gut bist!“

Sie gab ihm die Hand; mit feuchten Augen. „Frag dein Kind,“ sagte sie leise, mit dem Kopf nach der Salonthür deutend, in die eben Luise trat. „Frag sie, ob ich dir noch gut bin. Sie weiß es!“

Julius nickte Luisen zu, mit seiner Bewegung kämpfend. „Komm, Kind, komm zu mir!“ – Sie ging, unterwegs erwiderte sie sein Nicken; wie sie sich’s vorgenommen, hatte sie ein nichtsverratendes, zartfühlend verschlossenes Gesicht. Er nahm ihre beiden Hände: „Mir ist was Gutes geschehn, Luise. Ich hab’ meine zerschlagene Fortuna wieder; eben stand sie da auf dem Postament. Und sie geht nun nicht mehr fort. – Und du –“

Er zog sie in seine Arme; ihr Kopf sank an seine Schulter, schwer von lauter Glück. „Und du hattest recht … O, du hattest recht!“

„Worin?“ fragte sie leise.

„Mir das Buch zu schicken, das Photographienbuch. Mir dadurch zu sagen: es ist voll, fang’ ein neues an. Ja, ja, Kind, das wird geschehn. Wir fangen ein neues an. Die braune Pilgerin als das erste Bild!“

„Vater!“ rief Luise, umschlang ihn nun auch und küßte seinen Mund, der so süß gesprochen hatte.

Er erwiderte den lieben Kuß; ihm war aber, als müßte die Mutter auf diese voreilige Umarmung eifersüchtig werden. Vor Clotilde hintretend, sah er sie mit verjüngten, gefeuchteten Gattenaugen an. „Und du?“ sagte er. „Mein Proteus?“

In dem einen Wort hörte sie, daß alles gut war. „Julius!“ rief sie nur und warf sich ihm ans Herz.



Blätter und Blüten.

Karl v. Weizsäcker †. (Mit Bildnis.) In Karl v. Weizsäcker, der am 13. August in Tübingen verstarb, hat die württembergische Landesuniversität ihren Kanzler und einen ihrer berühmtesten Lehrer verloren. In seiner Wissenschaft, der protestantischen Theologie, war er einer der geistvollsten Vertreter der historischen Bibelforschung; als seine Hauptwerke sind „Das apostolische Zeitalter der christlichen Kirche“ und die kritische Neuübersetznng des Neuen Testaments zu bezeichnen. Am 11. Dezember 1822 zu Oehringen bei Heilbronn geboren, studierte er in Tübingen und Berlin. Nach einer kurzen Thätigkeit als Dozent an der heimischen Hochschule wurde er 1848 Pfarrer in Stuttgart. Seit 1861 war er ordentlicher Professor der Dogmen- und Kirchengeschichte in Tübingen. 1889 wurde Weizsäcker als Nachfolger Rümelins zum Kanzler der Universität, 1894 zum Staatsrat ernannt. In der württembergischen Abgeordnetenkammer, in welcher er die Landesuniversität vertrat, hat sich Weizsäcker als ein charakterfester Politiker von ebenso nationaler wie liberaler Gesinnung bewährt. Er war ein ausgezeichneter Redner.

Karl v. Weizsäcker †.
Nach einer Aufnahme von F. Brandseph, Hofphotograph in Stuttgart.

Warum sind die Gewitter jetzt häufiger als früher? Daß die Anzahl der Gewitter bedeutend gegen früher zugenommen hat, ist von Professor v. Bezold für die letzten 60 Jahre auch aus der Brandversicherungsstatistik ausgezeichnet nachgewiesen worden. Eine völlig befriedigende Erklärung für diese Erscheinung war man jedoch außer stande zu geben. Denn man sollte viel eher eine Abnahme als eine Zunahme der gewaltigen elektrischen Entladungen erwarten, weil ja doch sowohl das große Eisenbahnnetz, als auch die vielen Telegraphen- und Telephonleitungen, neben der riesigen Zahl hoher Schornsteine, gerade verteilend auf die Spannung der Luftelektricität nach unseren bisherigen Anschauungen wirken müßten.

Freilich wird ja in jedem Jahre eine gewaltige Anzahl der natürlichsten Blitzableiter durch das Niederschlagen der Wälder vernichtet, und auch das mag von Einfluß auf die Vermehrung der Gewitter sein. Die größte Einwirkung auf dieselbe hat aber, nach den Untersuchungen des französischen Gelehrten Pellat, der Wasserdampf der Luft. Pellat stellte folgenden Versuch an. Er nahm zwei Messingschalen und isolierte sie. Darauf wurde das eine der Gefäße mit Wasser gefüllt, während das andere leer blieb. Nun lud er beide Gefäße mit Elektricität und überließ sie bei gewöhnlicher Temperatur mehrere Stunden lang sich selbst. Als er nach Ablauf dieser Zeit die Gefäße wieder untersuchte, stellte sich heraus, daß die leere Schale ihre Elektricität noch fast ungeschwächt besaß, während die mit Wasser gefüllte Schale den größten Teil der Ladung verloren hatte. Diese Thatsache erklärte er dadurch, daß der Wasserdampf, der aus dem Wasser der gefüllten Schale emporstieg, die Elektricität mit sich genommen hatte. Der Schluß liegt nahe, daß auch der von der Erde aufsteigende Wasserdampf denselben Dienst der Erdelektricität leistet und sie den Wolken zuführt. So würden wir gerade in den vielen Dampfschornsteinen, den auf den Eisenschienen hinbrausenden Lokomotiven und auf dem Wasser hingleitenden Dampfschiffen die Faktoren, denen wir die Gewitterzunahme verdanken, zu sehen haben.

Diese Erklärung stimmt auch mit der Thatsache, daß seit 60 Jahren – also etwa dem Zeitpunkt, seit welchem die Industrie solch gewaltigen Aufschwung genommen hat – die Gewitterzunahme zu beobachten ist, überein, und sie stimmt ferner damit, daß die Häufigkeit der Gewitter mit jedem Jahre wächst, denn in jedem Jahre haucht auch eine stets größere Anzahl von Schornsteinen Wasserdampf in die Atmosphäre aus. Dr. –t.     

Am Kreisfeuer im Bivouac. (Zu dem Bilde auf S. 617.) Ein echtes Stück Soldatenleben aus der Manöverzeit bringt uns dies Bild vor Augen, das wohl in vielen Lesern Erinnerungen an Selbsterlebtes wachrufen wird. Zumal im Bivouac entfaltet sich ja so recht das eigenartige militärische Treiben während jener alljährlichen großen Uebungen, die eine Vorschule für den Krieg sein sollen. Zwar der alte Spruch, daß jedes Ding zwei Seiten habe, paßt auch ganz besonders auf diese militärischen Nachtquartiere „bei Mutter Grün“. Bei schlechtem Wetter, namentlich wenn es schon tagelang regnet, und bei empfindlicher Kälte ist das Bivouac ein gar schlechter Spaß. Ist aber die Nacht mild und trocken, dann bildet es eine wahre Ergötzlichkeit, die sogar eines gewissen poetischen Reizes nicht entbehrt, und dann treibt auch der soldatische Humor seine köstlichsten Blüten. Ist genügende Sicherheit vor dem „Feind“ vorhanden, so gestattet der Bivouacskommandant meist, daß die Leute nach dem Abkochen compagnieweise große „Kreisfeuer“ anzünden. Die Dunkelheit bricht herein, und nun sieht man die aus kreisförmig aneinandergelehnten Scheiten gebildeten Holzstöße überall aufflammen. Die rote Lohe wirft ihre flackernden Lichter auf die ringsum gelagerten Mannschaften und hebt sich grell von dem dunklen Nachthimmel ab. Dann gewährt so ein Bivouac in der That ein überaus malerisches Bild.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0639.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2023)