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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

mit den Worten: „Da habt Ihr Eure Karte – nun gebt mir die aus dem Hut.“

Die Karte, welche der Jäger selber in seinen Hut gelegt hatte, war verschwunden.

„Beim Beelzebub! Kerl, wie habt Ihr das gemacht?“ lachte der Jäger.

Der Schneider ergriff die Karten, warf sie dem Fremden ins Gesicht und rief dann: „Jetzt, Herr, nehmt mal wieder vorsichtig Euren Hut ab und seht, was darin ist.“

Der Fremde nahm seinen Hut wieder ab – und dieselbe Karte war in seinen Händen.

„Holla, Schneider, Ihr seid ein Spitzbube,“ rief der Jäger und seine dunkelglühenden Augen richteten sich nach Osten, „nun vorwärts, rasch das dritte Spiel!“

„Ja, ja,“ antwortete der Schneider, „sucht nur die Karten erst mit zusammen, dann spielen wir weiter.“

Der Fremde raffte hastig die Karten auf, unser Schneider beeilte sich nicht zu sehr, eine geheime Furcht schien ihn zu verwirren. Endlich war das Spiel beisammen. Der Fremde, der diesmal mischen mußte, zählte, es fehlten noch zwei Karten.

„Verdammter Spitzbube,“ donnerte er dem Schneider zu, „wo habt Ihr die Karten? Die Zeit verrinnt, es wird Morgen!“

„Bei Euch, Herr, müssen sie niedergefallen sein und noch liegen,“ entgegnete dieser, und nach geraumem Nachsuchen fand der Jäger wirklich die zwei noch fehlenden Karten.

Das dritte Spiel begann. – Der Beutel mit den funkelnden Goldstücken lag neben dem Stein. – Der Jäger schien sich bei jedem Stich zu besinnen, er blickte mit seinen glühenden Augen den Schneider an, als ob er ihn durchbohren wollte, aber dieser sann ebenfalls bedächtig nach, und nur langsam folgte Stich auf Stich.

Da plötzlich, mitten im Spiel, flammte es blutrot auf über dem Wald, die Dämmerung war verschwunden – und drüben überm Walde krähte laut ein Hahn. Die Sonne stieg rotglühend im Osten empor. Der Schneider hatte plötzlich das Gefühl, als sei er vom Blitze getroffen – taub, blind, gelähmt. Erst allmählich kam er wieder zu sich. Als er die Gegenstände vor und um sich wieder zu unterscheiden vermochte, war der Fremde verschwunden. Zu seinen Füßen aber fand der Schneider den Beutel mit all den Goldgulden. Jetzt begriff er! Beim ersten Hahnenschrei hatte der Teufel nach „Teufels- und Hexengesetz“ entweichen müssen; er konnte ihm jetzt nichts mehr anhaben. Aber ein „grundehrlicher Teufel“ war es doch gewesen, denn er hatte sich als Ueberwundener gefühlt und, was man einem Teufel nimmermehr hätte zutrauen sollen, dem armen Schneider redlich den versprochenen Gewinn gelassen.

Der Schneider von Seppensee aber verließ nach dieser Begegnung sein Heimatsdorf und siedelte nach Bremen über, weil er sich da vor einer zweiten Begegnung mit dem Teufel gesicherter hielt. Er ist alldort ehrsamer Meister und Bürger geworden und soll bis zu seinem hoffentlich seligen Ende ein großes Schneidergeschäft betrieben haben, das er dann seinen Kindern vererbte.

Der Stein, an welchem Teufel und Schneider gespielt hatten, war also in jener Nacht bis auf einen Fuß hoch in die Erde gesunken und die ganze obere Fläche zeigte wunderliche Vertiefungen, welche beim Ausspielen der Karten die Handknöchel des Teufels eingedrückt haben sollten. Wir kennen sie als Runenzeichen. –

Von tragischem Charakter sind die Vorgänge, durch welche der Runenstein von Jesteburg zu dem Namen „Hexenstein“ kam. Ihr Schauplatz ist hauptsächlich Hamburg.

Nach 1550 wurde in Hamburg die Folter eingeführt, und von da an mehrten sich die Hexenprozesse, welche früher nur vereinzelt vorgekommen waren. Man kann nicht ohne Entsetzen lesen, wie viel arme, unschuldige Menschen damals dort, wie anderwärts, dem Hexenwahn zum Opfer fielen.

Sein letztes Opfer in Hamburg war ein blutjunges, unschuldiges Mädchen, das bei dem Bürgermeister Berthold Möller dort im Jahre 1661 im Dienste stand.

Das junge, hübsche Ding hieß Grete Feindt und war die Enkelin des Waldwächters zu Lohbergen.

Janssens handschriftliche Aufzeichnungen erzählen uns, daß die Frau Bürgermeisterin mit dem Mädchen in der ersten Zeit gar wohl zufrieden gewesen ist, doch sei die Grete oft kopfhängerisch gewesen und habe immer nach ihrer Heimat zurückverlangt. Der Großvater wäre aber mit der Heimkehr seiner Enkelin nicht einverstanden gewesen und habe deren Bleiben im Hause ihres Herrn befohlen.

Das junge Mädchen sei dann immer seltsamlicher geworden, habe sich oft in seinem Schlafkämmerlein eingeschlossen, und während der Nacht habe man es gar mitunter bei ihr rumoren gehört, und es sei gewesen, als ob sie mit jemand spräche, bis es plötzlich totenstill geworden wäre.

Da trug sich eine gar rätselhafte Begebenheit zu, welche von den schrecklichsten Folgen begleitet war.

Der bereits über fünfzig Jahre alte Gerichtsdiener Peter Lukas Meineke, welcher bei dem Bürgermeister ein- und ausging, hielt um die schöne Grete Feindt an, erbot sich auch, dieselbe in aller Kürze zu ehelichen. Der Bürgermeister muß in dem Antrage des bejahrten Mannes, der doch eigentlich nicht zu dem sauberen, jungen Mädchen paßte, nichts Ungeeignetes erblickt haben und berichtete darüber an deren Großvater, den alten Forstwächter zu Lohbergen, ließ aber zugleich der Grete durch seine Frau von dem Heiratsantrag Mitteilung machen.

Während von dem Forstwächter ein höchst devotes Schreiben einlief, in welchem der alte Mann für die hohe Ehre dankte und seine Einwilligung ohne weiteres gab, ging mit dem jungen Mädchen eine große Veränderung vor. Grete saß fortan, anstatt zu arbeiten, vor sich hinbrütend am Spinnrocken und Nähtische und weigerte sich heftig, dem Gerichtsdieuer die Hand zum Ehebunde zu reichen, ja, als dieser eines Tags zu ihr ins Zimmer trat und ihr persönlich seinen Antrag machte, floh sie auf die Galerie und sank dort wie leblos zusammen.

Man mußte sie ins Bett tragen; sie geriet in Phantasien, und in diesem Zustande rief sie nach einem „Gerhard“, der sein Pferd satteln und kommen sollte, sie zu holen und zu retten.

Als sie nach einigen Tagen wieder zu sich kam, wußte sie von all dem, was sie phantasiert hatte, nichts mehr, blieb von nun an aber wie in einer Lethargie befangen und starrte mit den großen, blauen Augen gedankenlos vor sich hin.

Mit dem alten verliebten Gerichtsdiener Meineke ging’s aber noch ärger. Der grauköpfige Narr gebärdete sich wie ein Toller. Er erzählte aller Welt, die Grete habe es ihm angethan, sie müsse ihn behext haben, er könne nicht ohne sie leben und er würde sich töten, wenn er das Mädchen nicht zur Frau bekäme.

Da nun aber Grete in ihrem Starrsinn beharrte und durchaus nichts von der Liebe des alten Thoren hören wollte, erhängte sich dieser wirklich und noch dazu in dem bürgermeisterlichen Hause im zweiten Stocke auf der umlaufenden Galerie, an der oberen Angel der Kammerthür, hinter welcher das junge Mädchen schlief, das er mit seiner wahnsinnigen Liebe verfolgt hatte.

Der Fall machte erklärlicherweise ein ungeheures Aufsehen in der ehrsamen Hansestadt; es konnte hierbei unmöglich mit rechten Dingen zugegangen sein! Der Selbstmörder hatte all seinen Freunden, Verwandten und Bekannten unter Thränen und heiligen Beteuerungen versichert, das Mädchen müsse es ihm „angethan haben“, und eine geheime, unerklärliche Macht zwänge ihn, sich selber zu töten. Es war sonnenklar: man hatte es hier mit einer Hexe, mit dem Teufel als Urheber und Beihelfer, zu thun.

Viel geringere Ursachen vermochten dazumal eine Weibsperson in den Verdacht zu bringen, daß sie eine Hexe sei, und wo der Verdacht erst gegen eine solche Unglückliche Platz gegriffen hatte und erhoben war, da waren auch Anklage und Folter nicht mehr weit entfernt!

Grete Feindt wurde der Hexerei, des bösen Zaubers, ausgeführt an dem so schmählich zu Tode gekommenen Gerichtsdiener Peter Lukas Meineke, angeklagt und nach dem Berg in die Frohnerei gebracht. Der Hergang bei Hexenprozessen war immer derselbe: eine Folge der qualvollsten, unerträglichsten Martern, unter deren schrecklicher Wirkung auch der Unschuldigste endlich alles gestand, was seine grausamen Peiniger haben wollten.

So auch hier. Das schöne, bejammernswerte Mädchen bekannte unter den Folterqualen, daß es mit dem Teufel in Verbindung stehe, den es in dem Hause des Großvaters im Walde zu Lohbergen kennengelernt hatte, er habe sich Junker Gerhard von Rehden genannt und sie zu nächtlichen Zusammenkünften am „Teufelsstein“ überredet.

Grete Feindt gestand ferner, der Teufel sei ihr stets in Gestalt eines hannoverschen Reiteroffiziers erschienen und habe sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0659.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)