Seite:Die Gartenlaube (1899) 0695.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

sogenannten Militärstationen bringen lassen, aus welchen sie nur durch Bestechung wieder herauskamen, während sie sonst ihr ganzes Leben Soldat bleiben mußten. Jetzt herrschte hier Losziehung und freiwillige Stellvertretung.

Alle diese tiefeinschneidenden Aenderungen setzte der neue Vezier mit eiserner Energie und rücksichtsloser Strenge durch. Das mißhandelte Volk atmete auf, es empfand das Walten des neuen Premierministers als eine Wohlthat. Aber zu vielen Tausenden erwuchsen in den durch die Neuerungen bei ihrem Thun geschädigten Kreisen Amire-nizam tödliche Feinde. Der Gouverneur von Chorasan erregte einen gefährlichen Aufstand gegen die neue Regierung, auch die fanatisch am Alten hängende sehr mächtige Priesterschaft Jspahans entzündete einen wilden Aufruhr gegen den furchtlosen Neuerer. Amire-nizam schlug mit gewaltiger Hand die Bewegungen nieder und übte unerbittlich streng gerechte, aber blutige Vergeltung.

Und Anymeh? Tag für Tag wartete sie auf das Erscheinen ihres Freiers, dem sie sich ja verlobt, der ihr den Verlobungskuß gegeben und ihr die Ehe versprochen hatte. Der Auserwählte ihres Herzens kam nicht. Es vergingen Wochen, Monate, eine schreckliche Zeit vergeblichen Harrens und Hoffens, beleidigten Stolzes, verzweiflungsvoller Pein für Anymeh. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, schon kamen regnerische und kühle Tage, und es hieß, daß das Hoflager zur Uebersiedelung nach Teheran sich rüstete – da entschloß sich Anymeh, ein Letztes zu wagen. Sie schrieb einen Brief an den Ungetreuen, der lautete: „Hältst Du so Dein Wort Deiner unglücklichen Anymeh?“ Und das Mädchen verstand es, dies Schreiben an den neuen Vezier gelangen zu lassen.

An seinem mit Schriften hochbeladenen Arbeitstisch empfing Thagi den kunstvoll zusammengelegten, mit Wachs verschlossenen Streifen; er las die Zeilen und seine Augenbrauen zogen sich düster zusammen; er stützte einen Augenblick den Kopf in die Hand und dann sprach er zu sich: Wie weit liegt das hinter mir zurück, obwohl es ja nur eine kleine Spanne Zeit ist, seit ich von einem Bund fürs Leben mit Anymeh träumte! Ja, eine Welt liegt dazwischen. Das Mädchen ist schön, liebreizend – aber wie dürfte ich jetzt mich dem süßen Glück der Liebe hingeben? An mich sind andere Forderungen getreten, von mir hängt das Wohl und Wehe von Millionen Menschen ab, ich kann mich nicht ablenken, zerstreuen lassen durch ein Leben im Hause, als Ehemann und Familienvater, ich habe eine höhere Bestimmung und größere Ziele als das beschränkte Glück der Häuslichkeit. Das Glück eines Einzelnen, was besagt das dem Wohle der Allgemeinheit gegenüber? Mag auch sie etwas opfern, den Traum eines Mädchenkopfes. Sie wird sich trösten und der Vezier verbrannte den Brief an dem Siegellicht auf seinem Tisch. Dann ging er wieder an seine Arbeit.

Der Schah verließ Niaveran, das Hoflager siedelte in die Hauptstadt über, und mit diesem der Amire-nizam.

*  *  *

Ein Jahr verging und auch ein zweites, Anymeh hatte nie mehr ein Wort oder eine Botschaft von ihrem einstigen Verlobten erhalten, ihn nie mehr erblickt, da der Schah seine Sommerresidenz nach Manzure, einem Schloß höher in den Bergen, verlegt hatte. Anymehs Wesen war finster geworden, ihre Augen schärfer, es glühte in ihnen ein düsteres Feuer. Das Mädchen sprach nie ein Wort, und wenn die Rede auf Amire-nizam, den neuen Vezier, kam, den so viele im Land segneten, murmelten Anymehs schmal und blaß gewordene Lippen Verwünschungen, blickte ihr finsteres Auge starr. Ihre Liebe zu dem Manne war in Haß umgeschlagen, in bitteren, unversöhnlichen, wilden Haß, der sich noch vertiefte und verschärfte, als das Gerücht zu ihr gelangte, der Vezier werde demnächst auf den Wunsch des Schah eine Prinzessin des königlichen Hauses als Gattin in sein Haus nehmen. Er hatte sie tödlich beleidigt, ihre Liebe verschmäht, sie so gedemütigt, daß sie kaum noch leben konnte vor Schmach. Jeden Verkehr vermeidend, von allem abgeschlossen, lebte Anymeh dahin, mechanisch ihre Arbeiten verrichtend, Wollstoffe für sich und ihren Vater webend und den Gemüsegarten nahe beim Haus besorgend. Verdrossen und schmerzlich besorgt sah der stark alternde Ghulam dem unheimlichen Walten seiner Tochter zu, die nach wie vor den Freiern, welche er ihr zuführte, sich ablehnend zeigte.

In dem letzten Jahre hatte sich jedoch ein Bewerber um die Hand Anymehs eingefunden, der hartnäckiger als alle übrigen um das noch immer schöne Mädchen warb: es war dies ein Beamtensohn aus Jmmamzade-Kassim, einem höhergelegenen Dorfe bei Niaveran, und dieser Freier, Abdul Kerim, war ein starkgewachsener Mann mit großem, eckigem Gesicht, von beschränktem Ausdruck, doch mit seltsam flimmernden, unruhig blickenden Augen. Sein sehr vermögender Vater hatte ihm ein Landgut in der Nähe Niaverans gekauft, welches er fleißig und geschickt bewirtschaftete.

Zuerst hatte Anymeh auch diesen Freier schroff zurückgewiesen; als er jedoch nach einem Jahre wiederkam, schien er mehr Gnade vor ihren Augen zu finden, sie ließ bei den Besuchen, welche er ihrem Vater machte, sich sehen und ging sogar hin und wieder mit dem jungen Mann in den Obstgärten spazieren.

„Ihr werbt um mich,“ sprach eines Tages bei einer solchen Unterredung Anymeh zu Abdul Kerim, „gut, ich bin nicht abgeneigt, Euch als Weib zu folgen, aber ich verlange vorher einen großen, schweren Dienst von Euch.“

„Welchen?“ frug Kerim.

„Amire-nizam zu töten!“

Kerim fuhr erbleichend zurück. „Was hat Euch der Mann gethan, den so viele im Lande segnen?“

„Ich hasse ihn, er ist mein Todfeind.“

„Das sagt mein Vater auch, aber den hat er beleidigt, geschädigt, Eurem Vater jedoch, Jungfrau, ist der Mann, so viel mir bekannt, nicht zu nahe getreten.“

„Ich verabscheue ihn wie eine Schlange, ich kann nie froh werden, so lange er lebt. Wie kann ich heiraten mit diesem Haß im Herzen, der auf mir liegt wie eine finstere Macht und nicht von mir weichen wird, so lange jener lebt?“ Wild und hart stieß Anymeh diese Worte hervor. „Ich fluche ihm! werde ihn verfluchen mein Leben lang!“

„Warum, Jungfrau? Was hat Euch solchen Haß gegen diesen Mann eingegeben?“

„Liebt Ihr mich?“ frug, anstatt auf diese Frage zu antworten, Anymeh.

„Ihr wißt, Jungfrau, daß Ihr mir das höchste Gut auf Erden dünkt, ich glaube nicht weiter leben zu können ohne Euch.“

„Wenn Ihr wollt, daß ich Euren Wunsch erfülle, so erfüllt auch den meinen,“ erwiderte Anymeh kalt.

„Und wenn sie mich fangen, werden sie mich töten,“ fiel Kerim finster ein. „Was habe ich dann und was habt Ihr dann, Jungfrau?“

Ueber Anymehs Gesicht flog bei diesen letzten Worten Kerims ein seltsam herbes Lächeln. „Mich erwirbt kein Mann so lange der Amire lebt,“ antwortete sie fest.

Kerim schloß die Hände zusammen, sein zuerst hilfloses Gesicht nahm jetzt den Ausdruck der Verzweiflung an. „Ich kann nicht, ich vermag das nicht über mich,“ stöhnte er.

„So geht und kommt mir nie wieder vor Augen!“ herrschte die Perserin ihn finster an, wandte sich ab und schritt zum Hause zurück. – –

Den Kopf gesenkt, den Körper schlaff, als ob er jeden Augenblick zusammensinken werde, verließ Abdul Kerim den Garten.

*  *  *

Amire-nizams Wirken für Persien war überaus segensreich – aber mit Milde, Sanftmut und Nachsichtigkeit kann man derartige gewaltige Umgestaltungen nicht vollbringen. Mit eisernem Besen kehrte der neue Vezier den Schutt des Verfalls aus dem Lande; rücksichtslos und streng verfuhr er hierbei, nichts vor Augen als sein hohes Ziel, jedes Hindernis auf seiner Bahn unerbittlich wegräumend.

Es war natürlich, daß diesem Reformator Tausende von Feinden erwuchsen, daß alle diejenigen, welche aus den früheren Zuständen Nutzen gezogen, gegen ihn waren, ihn haßten und heimlich bekämpften, im Dunklen an seinem Sturze arbeiteten. An der Spitze dieser großen Gegenpartei stand die Mutter des Schah, deren Verschwendungssucht der neue Vezier in durchaus ungalanter Weise Einhalt gethan hatte. Diese stolze, rachsüchtige Frau suchte dem neuen Minister, dem Sohn des

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0695.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)