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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Königspfalz Bodoma, das heutige Bodman. Beide standen nun Pate bei der Benennung des Sees. Die romanischen Sprachen führten den Namen lac de Constance, lago di Constanza ein, die deutschen Völker sprachen vom Bodmên-See, Bodemsee, woraus endlich Bodensee wurde. Gegenwärtig vollzieht sich wieder eine kleine Umtaufung, indem man besonders in wissenschaftlichen Publikationen sich angewöhnt, vom Bodan zu sprechen, wie man schon länger für den Genfer See, den lac de Leman, die Bezeichnung Leman gebraucht. Daß die einzelnen Teile des großen Seebeckens noch besondere Bezeichnungen haben, ist selbstverständlich; die wichtigste Unterscheidung ist die Trennung des Sees in Ober- und Untersee, welch letztere Bezeichnung bekanntlich dem südwestlichen Ausläufer des Sees zukommt, den der Rhein von Konstanz aus durchströmt und in dem die Insel Reichenau liegt. Sehr häufig wird der Untersee gar nicht mehr zum Bodensee gerechnet und unter Bodensee nur der sogenannte Obersee verstanden, der in seinem westlichsten Ende in den sogenannten Ueberlingersee, an dessen Ende Bodman liegt, ausläuft.

Es ist eine gewaltige Wassermasse, welche dieses Becken erfüllt; bei Mittelwasser mißt die Oberfläche des gesamten Sees nach den neuesten Berechnungen 538,46 Quadratkilometer, wovon auf den Obersee 475,48 entfallen. Wie bedeutend aber da die normalen jährlichen Schwankungen sind, besonders Hochwasser diese Zahlen ändern können, beweist z. B. das Hochwasser vom 17. Juni 1876, welches weitere 38,86 Quadratkilometer unter Wasser setzte. Sehr schwankend sind auch natürlich die Wassermengen, die dem See durch seine Zuflüsse, besonders den Rhein, zugeführt werden. Bei niederem Wasserstande ergießt der Rhein in den See nur 50 Kubikmeter Wasser in der Sekunde; wie anders aber, wenn der Föhn über die Alpen braust, den letzten Winterschnee mitsamt dem spätgefallenen Neuschnee schmelzt und zugleich endlose Regengüsse bringt: dann kann die sekundliche Wassermasse des Rheins bis 2100 Kubikmeter steigen, ja sie ist sogar auf 3000 berechnet worden. Diese bedeutenden Differenzen äußern sich im Niveauunterschied des Sees in beträchtlicher Weise. Nach einer 60jährigen Beobachtungsweite betrug die durchschnittliche Jahresschwankung 2,12 m. Bei Mittelstand beträgt die Meereshöhe 395 m über Berliner Normalnull.

Abweichend von diesen durch die verschiedene Menge der Zuflüsse bedingten Schwankungen sind die eigenartigen periodischen Niveauveränderungen des Bodensees, deren Spiel wir schon eingangs in Bodman gelauscht haben. Die Anwohner des Genfer Sees kennen die Erscheinung seit Jahrhunderten unter dem Namen „seiches“ und verstehen hierunter gewisse eigentümliche Aenderungen im Stande des Seespiegels. Sie sehen, wie das Seewasser ohne erkennbare Ursache am Ufer um mehrere Centimeter, ja um mehrere Decimeter in langsamer Bewegung, die vielleicht fünf Minuten, eine viertel oder eine halbe Stunde währt, sich hebt und sodann mit derselben Langsamkeit unter seinen ursprünglichen Stand zurückfällt, um in gleicher Weise neuerdings zu steigen und wieder zu fallen. Auch am Bodan lassen sich dergleichen Erscheinungen nachweisen, ja nach Forel würde jeder See, jeder Weiher dieses Ebbe und Flut vergleichbare Spiel zeigen; allein im Bodensee vermögen nur empfindliche Apparate uns das geheimnisvolle Leben der Wassermasse zu verraten, da die Niveauveränderungen nur ganz unbedeutende sind. So erklärt es sich auch, daß den Fischern des Bodensees, denen ihr Element so vertraut ist, die für alle Erscheinungen ihre eignen Bezeichnungen haben, dieses Phänomen entgangen ist und ein den „seiches“ entsprechender charakteristischer und volksgebräuchlicher Ausdruck für diese „Seeschwankungen“ fehlt.

Die Ursache dieser Schwankungen liegt nach Forel wahrscheinlich in einem dem Seespiegel gegebenen äußeren Anstoß hauptsächlich durch rasche Störung des atmosphärischen Drucks, so daß der ganze Wasserspiegel längere Zeit horizontal schwingt, bis er wieder seine Gleichgewichtslage erlangt. Doch bedarf die ganze Erscheinung noch sehr einer weiteren Erklärung.

Nicht zu verwechseln mit diesen „seiches“ sind andere Erscheinungen der Wasserfläche des Bodan, wofür die Anwohner ihre eigenen Bezeichnungen haben. So sprechen sie von „Rus“, oder „Ruuß“, wenn ein leichter Wind, eine Brise den ruhigen Seespiegel eben nur kräuselt, ohne daß die eigentliche schwingende Wellenbewegung eintritt; „Grund-Gewell“ ist, wie wir Graf Zeppelins treffender Definition entnehmen, die Fortpflanzung eines auf einem bestimmten Teile des Sees durch das Einfallen eines Sturmes erzeugten Gewells auf andere entferntere Seegebiete, an welchen die Ursache des Gewells, der Sturm, sich nicht oder höchstens in ganz untergeordnetem Maße geltend gemacht hatte. Oft auch bemerken wir an der Oberfläche des Sees Strömungen, die, ohne irgendwie durch Wind getrieben zu sein, flußähnlich mit ziemlicher Geschwindigkeit dahinziehen. Es ist das „Rinnen“ des Sees. Von all diesen oberflächlichen Bewegungen des Sees unterscheiden sich die „seiches“ durch das Rhythmische des Vorganges und durch dessen Ausdehnung auf die gesamte Wassermasse des Sees bis auf den tiefsten Grund. –

Wie tief ist das Schwäbische Meer? Fast ausnahmslos werden die Tiefen der Seen bedeutend überschätzt; wie gern und häufig spricht man besonders bei Gebirgsseen von unergründlicher Tiefe, und es ist fast wie eine Enttäuschung zu hören, daß das Senkblei vielleicht nur 50 m abläuft, bis es auf den Grund stößt; auch die Tiefe des Bodensees ist immerhin bescheiden. Auf der Kreuzung der Linien Utwyl-Immenstaad und Keßwyl-Fischbach liegt die tiefste Stelle des Obersees mit 252 m, während die größte Tiefe des Untersees gar nur 46,4 m beträgt. Die Spitze des Pfänders ist, wie Graf Zeppelin als anschauliches Beispiel erwähnt, nahezu dreimal so hoch über dem Spiegel des Sees, als dessen tiefste Stelle unter ihm.

Die Gestaltung des Seebodens mit eigenen Augen zu sehen, ist uns verwehrt; wir können uns trotzdem ein Bild von ihm machen; die Sonde, das Lot, muß uns zu Hilfe kommen. Aus Tausenden von Lotungen entwirft der Hydrograph ein Bild von den Unebenheiten des Bodens, den Untiefen, wo der Seeboden beinahe an die Oberfläche des Wassers reicht, oder den großen Einsenkungen, über welchen eine viele Meter hohe Wassersäule steht.

Am Bodensee ist eine Reihe von Lokalbezeichnungen für die einzelnen Teile des Seebodens gebräuchlich, die nun auch in die wissenschaftliche Fachlitteratur übergegangen sind. Im allgemeinen kann man bei jedem See zwei Hauptteile unterscheiden, die Uferzone und den Kessel des Sees. Die Uferzone kann wieder verschiedenartig eingeteilt werden. Ihr oberster Streifen ist der „Strand“; von ihm aus zieht sich etwa bis 2 m unter dem Wasserspiegel in Form einer leicht geneigten schiefen Ebene der mit gröberem oder feinerem Geröll bedeckte „Hang“ hin, der entweder ständig von Wasser bedeckt ist („untergetauchter Hang“) oder nur bei Hochwasser unter Wasser steht („überschwemmbarer Hang“) oder als „auftauchender Hang“ nur von den größten Sturmwellen erreicht wird.

Der Hang ist der Tummelplatz der Wellen; leise, träumerisch plätschern sie zu unseren Füßen, wenn kaum ein Hauch den blanken Spiegel rührt; brausend stürmen sie mit weißer Sturmhaube einher, wenn der Föhn die Fluten aufwühlt, und schlagen donnernd auf den Hang. Dieser ist fortwährendem Wechsel unterworfen. In rückläufiger Bewegung nehmen die Wellen Material mit in den See, um es bald wieder abzulagern. So bildet sich an den Hang anschließend eine nahezu horizontale Ebene, die der Sprachgebrauch des Bodensees die „Wyße“ heißt und die von wechselnder Breite ist. Immer mehr nähern wir uns dem Seekessel. Sein Beginn ist an das Ende der Wyße zu setzen; mehr oder weniger steil fällt hier der Rand des eigentlichen Seebeckens ab; der oberste Teil dieser Böschung wird noch überlagert von der Wyße, deren Abfall treffend als „Halde“ bezeichnet wird.

Auch für die Sohle des Seekessels hat der Volksmund einen Ausdruck geschaffen, der ebenfalls in die wissenschaftliche Sprache aufgenommen wurde, nämlich der „Schweb“. Daß die Bodenfläche des großen Kessels keine einfache Ebene ist, sondern ihre Erhöhungen und Vertiefungen hat, haben wir schon angedeutet.

In der Gestaltung der Sohle des Bodensees ist die auffallendste Erscheinung die von Ingenieur Hörnlimann bei den Sondierungsarbeiten gemachte Entdeckung, daß der Rhein auch in der Tiefe des Sees noch längere Zeit sein Bett beibehält; in ähnlichen Windungen wie ein oberirdischer Flußlauf läßt es sich in Form einer 400 bis 600 m breiten Rinne nicht weniger als 11,75 km lang verfolgen; die Sohle des Rinnsals ist bis 75 m tief zwischen die sie begleitenden Seitendämme eingeschnitten.

Eine Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinung findet Forel darin, daß die während des größten Teils des Jahres kälteren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0703.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)