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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

gewandert und habe auf einem Schiff eine Anstellung gefunden. Den Brief hielt das Mädchen, das kaum lesen konnte, unter dem Kopfkissen geborgen, sie durchging seine paar Zeilen täglich wohl zehnmal und schöpfte daraus die Gewißheit, daß sich alles so ereignen würde, wie es die Alte prophezeit hatte.

„Dann aber, wenn mein Bruder einmal reich und geachtet ist, will ich ihn besuchen und sein Glück sehen. Wie wird er sich freuen, wenn ich komme!“

Das war der Anfang und das Ende ihrer Träume.

In der Ueberzeugung, daß sie nicht mit einer schlechten Schulter vor ihren Bruder treten dürfe, fügte sie sich in die Behandlung, obgleich sie in ihrer seltsamen Verstocktheit, mit der Wut ihres Eigensinns dabei blieb, daß niemand als Markus Paltram die Schuld an ihrem unglücklichen Sturze trage.

„Du häßliche Ratte,“ zürnte Cilgia, „wie kannst du nur so denken! Willst du wirklich auch mich einmal beißen, wie du zu Samaden gesagt hast?“

„Natürlich werde ich Euch einmal beißen,“ versetzte Pia und ließ ihre Augen, die Worte bekräftigend, funkeln.

Cilgia wußte nicht, sollte sie lachen oder zornig sein. „Was habe ich dir denn zuleide gethan, Pia?“ Und mit guter Laune streichelte sie das schwarze, glänzende Haar der Bösartigen.

„Nichts. – Ihr tragt aber schöne Kleider und ich Lumpen, und wenn ich gesund bin, muß ich auf die Alpe steigen, Ihr aber könnt daheim sitzen und Euch fallen keine Geißen zu Tode.“

So grollte das wilde Kind.

„Du Heidin!“ Aber umsonst mühte sich Cilgia, Pia etwas vom milden Sinne des Christentums beizubringen, die hohen Gedanken gingen nicht in die niedere Stirn, und als sie ihr erzählte, wie Katharina Dianti ihrem unmenschlichen Peiniger mit übermenschlicher Liebe gelohnt habe, erwiderte Pia, die scheinbar mit aufmerksamem Verständnis zugehört hatte, kaltblütig:

„Das hat die schon gekonnt, die war ja reich.“

Die Anhänglichkeit an ihren Bruder war der einzige holdselige Gedanke, der hinter dem reizvollen Lärvchen Pias wohnte.

Cilgia aber lebte in dem Glücksgefühl, daß vom Lager Pias ein verklärender Strahl auf ihre Liebe falle.

„Was sollte vom Waldteufel Gutes kommen?“ antwortete zwar Markus lachend, als sie ihm eines Tages ihre Gedanken verriet; aber er selbst versäumte nichts, was Pia diente. Und der Erfolg kam – nicht von Tag zu Tag, aber von Woche zu Woche, wie es Markus vorausgesagt hatte.

„Pia, die blutrünstigen, bunten Flecke sind fast ganz verblaßt und vergangen,“ jubelte Cilgia, „und die mißliche Schulter, das sieht man, wird wieder so schön wie die andere – freust du dich nicht, Pia?“

„Ich habe schon im voraus gewußt, daß Paltram das kann – wozu ist er ein Camogasker? – wozu habe ich die vielen Dummheiten machen müssen?“

Sie war unverbesserlich, die braune Hornisse.

Pfarrer Taß kam ein paarmal an das Krankenbett Pias, und zur Freude Cilgias setzte er großes Vertrauen in die Kunst Paltrams. Mit ihm das Dorf – nur wenige rümpften die Nase – es war, wie der Pfarrer sagte: „Das ganze Oberengadin spannt auf den Ausgang. Man wußte bis jetzt nichts anderes, als daß, wer die Schulter brach, ein armer Tropf geblieben ist.“ –

Cilgia führte die Kranke, die den Arm in einer breiten Schlinge trug, schon seit manchen Tagen zur Bank am Thor von Santa Maria empor.

„Denn auch die Sonne ist ein Arzt,“ sagte Markus.

Eines Abends aber, als Cilgia Pia durch das Gelände heimwärts begleitete, stand Markus wohl wie sonst im Lederschurz unter der Werkstattthüre, aber nicht mit dem glücklichen Gesicht, mit dem er jetzt die Entgegenkommende oft begrüßte.

„Was ist geschehen, Markus?“ fragte Cilgia.

„Der junge Gruber war da und hat das Gewehr geholt, das der Alte bestellt hat,“ versetzte er gedrückt, „und er ist dann nach dem Pfarrhaus gegangen.“

Da errötete Cilgia und nahm mit einem guten Ausdruck der Vertraulichkeit seine Hand.

„Thorheiten, Markus, deswegen brauchst du doch nicht eifersüchtig zu sein – Markus, höre!“

Ihre Augen strahlten ihn an.

„Es sind jetzt so herrlich reine Tage und ich möchte, ehe Schnee fällt, noch einmal hinüber nach Puschlav gehen, um am Grabe meines Vaters zu beten und nach unserem Haus zu sehen. Nun meine ich, es wäre sehr schön, wenn du mich bis auf die Berninahöhe begleiten würdest. Wir würden früh von Pontresina weggehen und hätten dort oben, wo die kleinen Seen liegen, schöne Rast, denn ich würde unsern alten treuen Knecht Thomas, der das Haus zu Puschlav hütet, erst für abends vier Uhr auf den Paß bestellen. Markus, komm’ mit mir in die große, weite Einsamkeit des Gebirges, dort können wir so recht von Herz zu Herzen miteinander reden!“

Er antwortete nicht.

„Gelt, du schenkst mir den Tag von deiner Arbeit weg?“ bettelte sie.

„Ja, mit tausend Freuden!“ kam es endlich und verspätet von seinen Lippen, und wie von einem Wunder überströmt, stand er in seinem Lederschurz.

Markus Paltram empfand nur in dunkeln, stürmischen Wallungen das Glück des unendlichen Vertrauens, das in ihren Worten und Augen lag, er spürte es wie Erlösung und Erhöhung: denn daß sie bei dem Liebesgeständnis von Santa Maria die Stirne seinem Kuß entzogen, hatte ihn später doch wie eine demütigende Erinnerung ans Rosegthal beschwert.

Jetzt wußte er, daß Cilgia nur aus Mädchenstolz zurückhaltend gewesen war.

„Also, Markus, ein fröhliches Gesicht – eben so ein glückliches wie jetzt – wir wandern!“

Mit schlichter Güte sagte sie es, und nun schritt das herrliche Mädchen dem Dorfe zu. Markus Paltram aber machte für diesen Tag Feierabend.

Denn das Glück ist ein Fest.

*  *  *

„Cilgi“ – so kürzte der Pfarrer ihren Namen gemütlich – „ich habe dem jungen Gruber das Geleite nach Samaden gegeben; es thut mir leid um den jungen Mann! Er hat so eine hübsche männliche Art, gute blaue Augen, und ich glaube, wenn du ihn jetzt gesehen hättest, hätte er dir besser gefallen als zu Fetan. Der kurzgeschnittene blonde Bart steht ihm wohl an, und wenn er auch im Reden etwas trocken ist, so klingt doch sein Lachen gut.“

„Und eben die Trockenen mag ich nicht leiden,“ versetzte Cilgia mit leichtem Spott, „aber sagt, wie hat Euch das Gewehr gefallen, das ihm Paltram geliefert hat?“

Der Pfarrer lächelte über den Seitensprung ein wenig hinter den Stockzähnen.

„Es ist ein Prachtstück,“ antwortete er indes eifrig. „Paltram wird diesen Winter eine Menge Arbeiten erhalten.“

„Daß wir kaum mehr Zeit haben, die Schulter der Pia zu flicken,“ fiel Cilgia lustig ein.

„Er geht seinen Weg gut,“ versetzte der Pfarrer. „Euer Handel von Fetan – das neue Gewehrschloß – seine Heilkunst – alles hat ihn bekannt gemacht und empfiehlt ihn, und seine Bubenstreiche von Madulein geraten darüber in Vergessenheit.“

„Und daß er jetzt jeden Sonntag zur Kirche kommt, ist hübsch von ihm,“ folgte Cilgia übermütig dem Tonfall des Pfarrers.

„Du Schelm, du!“ Und wie um sie zu strafen, fuhr er fort: „Ich würde an deiner Stelle den jungen Gruber gar nicht so leicht nehmen; es hat mir leid gethan, daß ich ihn, wenn auch mit gutem Wort, in deinem Namen hoffnungslos abweisen mußte.“

Etwas in der Stimme des Pfarrers ließ Cilgia ernst aufhorchen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0710.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)