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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

die in den Neu-Englandstaaten geboren waren, wie die Söhne Bostons, gleichsam die Alma Mater frohen Lernens, freudigen Hoffens und Schaffens und der höchsten Ideale und Bestrebungen. In dieser Gesinnung kam auch der jetzige Gesandte der Vereinigten Staaten, Andrew D. White, im Jahre 1855 als Student nach Berlin. Die politischen Wogen von 1848, so erzählt er, fluteten noch, aber während man in seiner Heimat gerade jenes Gesetz betreffs der flüchtigen Sklaven in stürmischen Sitzungen durchzubringen sich mühte, welches die Sklaverei zu beschönigen suchte, fand er auf den deutschen Universitäten allgemein die Liebe zur Freiheit in allen Schattierungen und den freien Geistesflug im Lernen und Lehren. Gewaltig war der Kontrast. War das amerikanische ,college’ vom Sektengeiste angekränkelt, so fand der fremde Student auf der deutschen Hochschule die vollständigste Lehrfreiheit, ein unbegrenztes Forschungsgebiet, und kehrte er nach Amerika zurück, so war es sein Bestreben, mehr junge Landsleute für das Studium in unserer alten Heimat und für das veredelnde Leben der deutschen Universitäten zu begeistern. Hatten wir unseren neuen Freunden, welche bisher nicht über die kleinen egoistischen Interessen ihres Lebens hinausgekommen waren, mit Erfolg gezeigt, welche hohe begeisternde Freude es gewährt, das Leben mit idealem Inhalte zu erfüllen, so wurden uns dagegen – als wir das damalige Staatengewirr Deutschlands mit seinen vielen Grenzpfählen, seiner engherzigen Bevormundung und seinem Chaos drückender Gesetze vergleichen lernten mit dem freien Staatenbunde Amerikas und seiner freieren Auffassung menschlicher Rechte und Pflichten – die Vorteile vertraut, die sich aus einer freien Vereinigung zu einem bürgerlichen Staatswesen für den Bürger ergeben. Ihre Auffassung des Lebens trugen die Deutschen in die Politik ihrer neuen Heimat hinein zu einer Zeit, als dieselbe des begeisternden Einflusses erhebender Ideen und höherer Interessen am meisten bedurfte und der Geist Washingtons und seines glorreichen Zeitalters in der Alltäglichkeit des Parteihaders fast in Vergessenheit geriet. Sobald sie alsdann in dem Boden der Neuen Welt festere Wurzeln gefaßt hatten, da erwachte wieder in ihnen das alte deutsche Bedürfnis, sich für mehr hinzugeben als unsere engen persönlichen Interessen. Die Sehnsucht nach ,Einheit und Freiheit’, die in den Kämpfen Deutschlands ungestillt geblieben war, in der neuen Heimat befriedigen zu können, dafür gewährte ihnen der Ausbruch des Bürgerkrieges gegen Ende 1860 die Gelegenheit.

Welche Dienste die Eingewanderten von 1848 und 1849 und diejenigen, die ihnen bis 1860 nachfolgten, der Union für die siegreiche Entscheidung dieses Kampfes geleistet haben, lehrt die Geschichte. Die Begeisterung für die Freiheit, welche die Kämpen von 1848 und 1849 erfüllt hatte, trugen sie jetzt in den Kampf für die Befreiung der unterdrückten Rasse von Sklaven, für eine höhere Civilisation und eine festere Staatseinheit, wie wir sie in Deutschland vergebens erstrebt hatten. Wie die Deutschen hier das geistige Agens, die sittliche Kraft an der Seite Lincolns gewesen sind, ohne die der große Krieg wahrscheinlich nicht siegreich oder nicht in vier Jahren hätte zu Ende geführt werden können, gestehen die Amerikaner selbst zu.

,Woraus erklären sich die großen Erfolge im öffentlichen Leben, welche so viele Achtundvierziger, namentlich Karl Schurz, in Amerika erzielten?’ fragte Bismarck den Gesandten Andrew White. ,Aus den Reden,' antwortete White, ,die diese Männer vor Ausbruch des Krieges über die großen Ideen hielten, die unser Land bewegten, aus den hohen Gesichtspunkten, die sie in der Sklavenfrage und allen Streitpunkten unseres Bruderkrieges vertraten – alles neue, mächtige Ideen, von denen wir alle lernten, von den politischen und sozialverderblichen Einflüssen der Sklaverei auf das Land, seine Institutionen, die Sklavenhalter und die weiße Bevölkerung. Und ihre Argumente trugen sie mit einem Feuereifer der Ueberzeugung und einer Beredsamkeit vor, die alle Anhänger der Union mit fortriß und für die Gestaltung des Krieges und seinen Ausgang von größter Bedeutung war? – ,So bin ich stolz als Deutscher auf die Erfolge dieser Männer in Amerika,' bemerkte Bismarck. Waren es nicht dieselben Ideen, dieselbe begeisterte Hingabe an eine große Sache gewesen, die uns 1848 und 49 auf deutscher Erde in den Kampf trieben? Traten wir aber noch unsicher und unbehilflich den geschulten Armeen gegenüber wie der Jüngling, der aus der Schulstube ins reale Leben tritt, so war uns jetzt die Thatkraft geschult, der Mannesmut gehärtet, die politische Einsicht geschärft. Und wie viele aus der badischen und pfälzischen Heimat, aus Preußen und Oesterreich, aus den kleineren deutschen Staaten, die der Sturm von 1848 ,zum fernen Strande riß', zogen nicht mit uns in den Bürgerkrieg, die blutigen Lorbeeren zu erkämpfen, und trugen mit unermüdet treuem Arm die schwere Last des Krieges lange Jahre durch, im Osten, Westen und Süden des weiten Reiches? Sie waren unter den ersten Freiwilligen, welche für die Union die Waffen ergriffen, und zwar in allen nördlichen Staaten.

Es ist eine geschichtliche Thatsache, daß schon am 18. April 1861, drei Tage nach dem Bombardement und der Uebergabe von Fort Sumter, die Hauptstadt Washington in der höchsten Gefahr war, durch ein Komplott den Südstaaten in die Hände zu fallen, daß jedoch dieser Katastrophe vorgebeugt wurde durch die Ankunft eines Detachements von einigen hundert Mann Infanterie und Artilleristen von Pennsylvanien (im ganzen 530 Mann), die gerade noch im letzten Augenblicke ankamen und das Kapitol besetzten. Diese Truppen bestanden zum großen Teil aus ansässigen und eingewanderten Deutschen, wie aus der Liste der fünf Compagnien hervorgeht. Mit dem Besitze von Washington hätte der Süden einen ungeheuren Vorteil erlangt, denn auch Maryland war secessionistisch gesinnt, besonders die Stadt Baltimore, nur die Minderheit und darunter der deutsche Turnverein, blieb treu unionistisch und hatte deshalb eine schwere Zeit durchzumachen bis die Stadt durch Unionstruppen befreit und besetzt wurde.

Wie Maryland, als Grenzstaat des Nordens und Südens, so war auch der Grenzstaat im fernen Westen, Missouri, mit der wichtigen Stadt St. Louis in höchster Gefahr, den Secessionisten vollständig in die Hände zu fallen, denn schon hatten etwa 1000 Mann secessionistischer Truppen ein Lager am äußeren Teile der Stadt bezogen und ihm den Namen Camp Jackson, nach dem secessionistischen Gouverneur Jackson, gegeben. Dort waren es vier Regimenter Freiwillige, Deutsche, mit Ausnahme von vier Compagnien, welche unter dem tapferen Kapitän Nathaniel Lyon der regulären Armee, den die genannten vier Regimenter, darunter auch das von mir kommandierte, zu ihrem Brigadegeneral wählten, am 10. Mai 1861 das feindliche Lager umzingelten und die secessionistischen Truppen nebst ihrem Kommandanten, Brigadegeneral Frost, gefangen nahmen. Die Stadt St. Louis mit dem dortigen Arsenal war gerettet und damit die Rettung des ganzen Staates angebahnt! Mit dem Verluste von Maryland und Missouri wäre die Unterwerfung des Südens wenigstens viel schwerer geworden. Die deutschen Freiwilligen haben dazu beigetragen, die Lage der Dinge besser zu gestalten, nach dem Spruche ,Bis dat qui cito dat' –,Doppelt giebt, wer sogleich giebt.'

Von den 2'213'167 Eingemusterten der Unionsarmee der Vereinigten Staaten, die Marine und Schiffsmannschaft nicht gerechnet, waren 1'532'267 als Bürger der Vereinigten Staaten geboren, 186'017 Farbige (Neger), 176'767 Deutsche, die meisten eingewanderte, 144'221 Irländer, 53'532 britische Amerikaner, 45'508 Engländer, 48'410 andere Ausländer (Ungarn, Polen, Italiener, Franzosen etc.) und 26'445 Fremde mit unbekannter Nationalität. In dem deutschen Kontingent dienten über 5'000 Offiziere aller Waffengattungen, ein Teil davon, besonders im Stabe, waren Amerikaner von Geburt; außerdem waren unter den von der Nationalregierung direkt ernannten Stabsoffizieren (Aides-de-Camp, Quartier-und Proviantmeistern, Chirurgen etc.) 69 Deutsche. Unter den Männern, welche in den Jahren 1848 und 1849 für ihre patriotischen Ideale in Deutschland zur Waffe griffen und später als Offiziere in der amerikanischen Unionsarmee dienten, haben viele durch ihre Tapferkeit und Intelligenz viel Verdienste und Ehren erworben.

Friedrich Hecker, der badische Volksmann, der beim Ausbruch der Märzbewegung so hohe Hoffnungen weckte und dann so bald den Boden des Vaterlandes meiden mußte, führte beim Ausbruch des Kriegs in Missouri dem General Fremont ein Freiwilligenregiment zu, nahm an dem ersten Feldzug nach dem Südwesten von Missouri und an dem Treffen von Carthage teil und wurde dann zum Obersten erst des 24., bald darauf des damals 82. Illinoisregimentes ernannt. In der Schlacht bei Chancellorsville

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0722.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)