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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Diese Frage erhielt eine klare Antwort in der Nacht vom 27. zum 28. November 1872.

In dieser Nacht befand sich die Erde an jenem Punkte ihrer Bahn, welcher der Bahn des Bielaschcn Kometen außerordentlich nahe kommt, und nun ereignete sich ein ungeheurer Sternschnuppenfall, bei welchem Tausende von Meteoren aus dem Sternbilde der Andromeda wie Leuchtkugeln aufblitzten, unzählige auch gleich Raketen am Himmel dahinschossen. Es blieb kein Zweifel: die Erde war mit einem ungeheuren Schwarm von Sternschnuppen zusammengetroffen, der sich in der Bahn des Bielaschen Kometen bewegte. Klinkerfues, der sich zuerst und sogleich über die Verhältnisse klar war, schloß, der Bielasche Komet könne auch nicht weit von diesem Sternschnuppenschwarm entfernt sein und man müsse ihn an dem dem Sternbilde Andromeda gerade entgegengesetzten Punkte des Himmels sehen. Sogleich telegraphierte er an die Sternwarte zu Madras: „Bielas Komet hat die Erde berührt, suchen Sie ihn im Sternbilde des Centauren!“ In Madras herrschte leider schlechtes Wetter, und erst in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember konnte der dortige Astronom Pogson der Aufforderung nachkommen. Wirklich fand er nahe dem bezeichneten Orte einen kleinen Kometen, von dem es aber zweifelhaft geblieben ist, ob er einer der verschwundenen Bielas oder die aus großer Entfernung wie ein Kometennebel sich darstellende Sternschnuppenwolke war. Am 27. November 1885, als die Verhältnisse der Erde zu der Meteorwolke in der Bahn des Biela ähnlich lagen, ereignete sich abermals ein Sternschnuppenfall, noch großartiger als 1872, aber weder die sich entfernende Meteorwolke noch ein Komet ist auf der südlichen Erdhälfte wahrgenommen worden. In der Nacht des 23. November 1892 wiederholte sich der Sternschnuppenfall aus der Konstellation der Andromeda, doch war er dieses Mal nur in Nordamerika sichtbar (weil sein Erscheinen für uns in die Tagesstunden fiel) und auch nicht so großartig wie 1885. Im Jahre 1890 ist der Schwarm bei seinem Laufe durch den Himmelsraum dem Planeten Jupiter ziemlich nahe gekommen und durch dessen Einwirkung wahrscheinlich erheblich auseinandergerissen worden, seine Auflösung hat also zugenommen.

Im gegenwärtigen Jahre wird die Erde sich um den 23. November wieder an dem Punkte ihrer Bahn befinden, wo sie dem Meteorschwarm begegnete, und da nun außerdem um diese Zeit der Mondschein nicht eben hinderlich sein wird, so darf man einen ansehnlichen Sternschnuppenfall erwarten; möglicherweise gelingt es auch den Astronomen dieses Mal, ein Ueberbleibsel des Bielaschen Kometen zu entdecken, vielleicht auch nicht.

Jedenfalls wird die Erscheinung nicht großartiger als 1885, und daß dabei vollends von einer Gefahr für die Erde oder die Menschheit keine Rede sein kann, ist nach dem Vorhergehenden klar genug.

Aber im heurigen November tritt noch ein anderer Sternschnuppenschwarm in Aktion, der ebenfalls mit einem Kometen in Beziehung steht, nämlich mit dem ersten Kometen des Jahres 1866, der nach seinem Entdecker der Tempelsche Komet heißt.

Auch auf diesen haben die Weltuntergangspropheten ein Auge geworfen und ihn als verderblich für die Erde dargestellt. Nun ist es aber merkwürdig, daß auch bezüglich dieses Kometen die Astronomen nicht in der Lage sind, den Zeitpunkt seiner Rückkehr zur Sonne mit Sicherheit anzugeben. Man kennt nämlich seine Umlaufsdauer nicht genau, sondern die Rechnungen darüber schwanken zwischen 31⅔, und 34⅘ Jahren; sonach kann der Komet schon seit Herbst 1897 unbemerkt vorübergezogen sein, er kann aber auch noch bis zum Herbst 1900 erwartet werden.

Dieser Komet ist vor uralter Zeit durch die anziehende Wirkung der Planeten Uranus und Saturn in seine heutige Bahn geworfen worden. Wahrscheinlich hat sich auch damals ein Teil dieses Kometen abgelöst, der seitdem als Meteorwolke durch die Himmelsräume zieht und auf der Erde großartige Sternschnuppenfälle verursacht, die über 1000 Jahre in den Annalen der Völker verfolgt werden können. So sind die „grewliche Feuerzeichen am Himmel als ob zwei oder drei Heer gegeneinander zögen“, deren die Chronik Braunschweigs für das Jahr 979 gedenkt, nichts anderes als ein Sternschnuppenfall der in Rede stehenden kosmischen Wolke, ebenso das Ereignis von 1202, als die Sterne in Aegypten „wie Heuschrecken“ durch die Luft flogen. Am bekanntesten ist dieser Meteorschwarm durch den ungeheuren Sternschnuppenregen am 12. November 1799 geworden, den man auf der ganzen Nordhalbkugel der Erde sah. Ihm folgte das großartige Ereignis in der Nacht vom 12. zum 13. November 1833, welches in Nordamerika gesehen wurde und bei dem die Sternschnuppen zahlreich gleich Schneeflocken den Himmel durchzogen und viele darunter so groß und hell erschienen wie der Vollmond! Etwas Gleiches hatte die Welt bis dahin nicht gesehen; auch fand man damals, daß diese Meteore aus dem Sternbilde des großen Löwen gekommen schienen, weshalb man sie gegenwärtig als Schwarm der Leoniden bezeichnet. Der amerikanische Naturforscher Olmstedt bezeichnete den Vorgang ganz richtig als das Zusammentreffen der Erde mit einem Kometen und berechnete die Größe mehrerer Meteore des Schwarmes zu 170 m im Durchmesser. Aber keine der Millionen Sternschnuppen, welche damals hoch durch die Atmosphäre sausten, ist auf den Erdboden herabgekommen, und ebensowenig geschah dies, als der Vorgang sich im November 1866 in großartiger Weise wiederholte.


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Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0737.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2020)