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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Dieses Mal kam die Erscheinung den Astronomen nicht mehr unerwartet, sondern dieselben hatten sich aufs beste zu deren Beobachtung vorbereitet, ja man kann wohl sagen, daß nur selten ein astronomisches Ereignis mit größerer Aufmerksamkeit erwartet worden ist. Die Sternschnuppen kamen fast sämtlich aus dem Sternbilde des großen Löwen, gegen welches hin die Bewegung der Erde gerichtet war, und stürzten in die Atmosphäre mit einer Geschwindigkeit von 60 km in der Sekunde, wodurch sie infolge der Hemmung dieser Bewegung in den obersten Luftschichten in Glut gerieten und völlig vergasten. Kein Meteor aus diesem ungeheuren Schwarm hat den Erdboden erreicht. Das Aufleuchten der Meteore fand den Beobachtungen zufolge in Höhen von durchschnittlich 150 km statt, und sie erloschen, nachdem sie sich etwa 50 km tiefer herabgesenkt hatten. Die Zahl dieser Sternschnuppen, welche zwischen 1 und 2 Uhr früh gesehen wurden, beziffert sich auf 75 000, während nach begründeten Rechnungen die Gesamtmenge der überhaupt in die Atmosphäre der Erde damals eingedrungenen Sternschnuppen auf 1000 Millionen anzunehmen ist. Diese ungeheure Anzahl macht es begreiflich, daß die Meteore dicht wie Schneeflocken die Lufthülle zu durchziehen schienen; aber sehr würde man irren, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Meteorwolke auch nur im entferntesten so dicht von Sternschnuppen erfüllt sei wie die Flocken in einer Schneewolke. Im Gegenteil war die Dichtigkeit der Meteorschwärme außerordentlich gering, ja so weit waren die einzelnen Körperchen voneinander entfernt, daß das Ergebnis der Berechnung derselben sogar den Fachmann überraschte. Es fand sich nämlich, daß zur Zeit der größten Häufigkeit der Sternschnuppen in jener Nacht (zwischen 1 und 2 Uhr morgens) in der Erdatmosphäre jede Sternschnuppe von der andern durchschnittlich 10–15 Meilen entfernt war, indem auf je 3000 Kubikmeilen Raum je 1 Sternschnuppe kam! Nur die große Entfernung und die ungeheure Ausdehnung, innerhalb deren der Raum um die Erde mit Sternschnuppen erfüllt war, verursachte den Beobachtern auf dem Erdboden den Eindruck, als seien die Sternschnuppen dicht geschart wie die Schneeflocken. Jetzt begreift man auch schon eher, weshalb die Meteore sämtlich in der Höhe sich auflösten und keins davon auf den Erdboden herabkam, besonders wenn man annimmt, daß das Gewicht jedes derselben, nach Schätzungen, die auf ihrer durch Erglühen verursachten Helligkeit beruhen, meist nur wenige Gramm betragen kann.

Ob die Erscheinung im kommenden November an Großartigkeit diejenige von 1866 erreichen wird, ist fraglich, vielleicht wird sie ihr kaum nahe kommen, denn die kürzeste Entfernung der Bahn des Schwarmes von der Erdbahn hat sich mittlerweile nicht unbedeutend vergrößert infolge der Einwirkung der Planeten Saturn und Jupiter. Auch der Zeitpunkt der Sichtbarkeit wird sich etwas verschieben, so daß man den Hauptschwarm erst in der Nacht vom 16. zum 17. November erwarten darf. Genaueres hierüber läßt sich zur Zeit nicht angeben, vielmehr müssen die Beobachtungen abgewartet werden. So viel nur ist unter allen Umständen gewiß, daß der Erde durch die Annäherung der Sternschnuppenwolke kein Unheil droht und ebensowenig dem Menschengeschlechte. Die aufleuchtenden Meteore werden in den höchsten Regionen der Atmosphäre zergehen, der Schwarm selbst aber wird durch die Anziehung der Erde noch mehr aufgelöst werden, als er ohnehin schon ist, denn die gewaltige Erdmasse wirkt auf ihn wie ein heftiger Sturm auf eine Rauchwolke.


Blätter und Blüten

Franz Reuleaux. (Zu dem Bildnis S. 709.) Seitdem die Maschinen zu den treuesten Gehilfinnen des Menschen bei der Verrichtung der verschiedensten Arbeiten geworden sind, nimmt die Maschinenbaukunde in der Technik eine überaus wichtige Stellung ein. Unter den Förderern dieser Wissenschaft ragt Franz Reuleaux als einer der bedeutendsten hervor. Er ist vor allem der Schöpfer der Maschinenkinematik, d. h. der Lehre „von den Mitteln zur Erzwingung der vorausbestimmten, gewollten Bewegung“, und sein Werk „Theoretische Kinematik“ hat ihm für immer einen Ehrenplatz in der Geschichte der Technik gesichert. – Franz Reuleaux hat vor kurzem seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert. In dem industriereichen Rheinlande erblickte er am 30. September 1829 zu Eschweiler bei Aachen das Licht der Welt. Er studierte zunächst auf dem Polytechnikum in Karlsruhe, wo er in dem berühmten Ingenieur Redtenbacher einen trefflichen Meister fand, dessen Werk er später fortführen sollte. Dann bezog er die Universitäten Bonn und Berlin und wurde 1855 Direktor einer Maschinenfabrik in Köln. Durch das Werk „Die Konstruktionslehre für den Maschinenbau“, das er im Verein mit Moll herausgab, lenkte er die Aufmerksamkeit der Fachgenossen auf sich; er erhielt im Jahre 1856 den Ruf nach Zürich als Professor der Maschinenbaukunde an dem dortigen Polytechnikum. Seit dem Jahre 1864 wirkte er in Berlin zunächst als Professor der Kinematik an dem königl. Gewerbeinstitut, das später in die Gewerbeakademie umgewandelt wurde. 1868 wurde er unter Ernennung zum Geh. Regierungsrat Direktor dieser Anstalt, die er im Laufe der Zeit zu einer wahrhaften technischen Hochschule entwickeln half. 1877–1887 war er Mitglied des kaiserl. Deutschen Patentamts. Eine überaus fruchtbringende Thätigkeit entfaltete Reuleaux auf verschiedenen Weltausstellungen, bei denen er als Sachverständiger oder Reichsvertreter wirkte. Die Berichte, die er über die Ausstellung in Philadelphia im Jahre 1876 in der „National-Zeitung“ veröffentlichte, machten seinen Namen in den weitesten Kreisen bekannt. Reuleaux unterzog damals die deutsche Industrie einer überaus scharfen Kritik, die in den Worten „billig und schlecht“ ihren prägnanten Ausdruck fand. Diese Kritik rief einen lebhaften Streit hervor, sie führte aber auch zu einer Reform der Produktion, und der Aufschwung Deutschlands nach dieser Richtung hin, besonders auch auf dem Gebiete des Kunstgewerbes, ist in gewissem Maße Reuleaux’ Mitwirkung zu verdanken.

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Heinrich der Löwe vor Kaiser Barbarossa. (Zu dem Bilde S. 712 u. 713.) In der deutschen Kaisergeschichte giebt es keinen bedeutsameren Kampf als denjenigen zwischen dem machtvollen Kaiser Friedrich dem Rotbart und seinem hochstrebenden Vasallen Heinrich dem Löwen. Zwei grobgeartete Naturen standen sich hier gegenüber, und dieser Zwiespalt drohte das ganze Deutsche Reich zu zerdrücken und aus den Fugen zu reißen. Heinrich der Löwe, der Sohn Heinrichs des Stolzen, Herzogs von Bayern und Sachsen, vereinigte beide Länder wieder unter seiner Herrschaft, nachdem er anfangs auf Bayern verzichtet hatte. Doch Kaiser Friedrich gab ihm Bayern zurück. Seitdem war Heinrich sein treuester Vasall, begleitete den Kaiser auf dessen Römerzügen, kämpfte mit ihm tapfer in Rom selbst und war im Kirchenstreit sein eifrigster Parteigänger. In Bayern gründete er München; Sachsen aber erweiterte er durch seine Siege über die Slaven, er eroberte Mecklenburg und Vorpommern.

Doch mit seiner Macht wuchs auch sein Selbstgefühl. Die Fürsten und Bischöfe des deutschen Nordens vereinigten sich wider ihn. Der Kaiser legte den Streit bei, zu Gunsten des Herzogs, dessen mächtige Hilfe er in Italien nicht entbehren wollte. Doch als der Kaiser sich durch einen Vertrag mit Welf III[.] die Erbfolge in den welfischen Gütern in Schwaben gesichert hatte, da wurde Heinrich gegen ihn verstimmt, und nach seiner zweiten Ehe, mit der englischen Prinzessin Mathilde, aus welcher er männliche Erben erhielt, erkaltete die Freundschaft zwischen den beiden Gewaltigen plötzlich. Heinrich war nur auf Vermehrung seiner Hausmacht bedacht und mußte so mit dem Kaiser, der des ganzen Reiches Wohlfahrt im Auge behielt, in stets wachsenden Zwiespalt geraten. Er beteiligte sich infolgedessen nicht an dem Römerzuge 1174, und als der Kaiser, nach vergeblicher Belagerung von Alessandria, ihn 1176 in Partenkirchen persönlich um seine bewaffnete Hilfe bat, verweigerte er dieselbe trotzigen Sinnes und wandte sich nach Norden, wo er in Pommern einfiel, um dort die Grenzen seiner Macht zu erweitern. Kaiser Friedrich wurde bei Legnano von dem lombardischen Städtebund geschlagen, schloß indes 1178 Frieden mit dem Papst und kehrte nach Deutschland zurück. Jetzt galt es, den übermütigen Vasallen zu beugen, der ihn treulos im Stich gelassen hatte, doch Heinrich leistete keiner Ladung auf die Reichstage Folge; er wurde in die Acht erklärt, kämpfte aber hartnäckig und oft siegreich mit den benachbarten Fürsten, die sie vollstrecken wollten. Erst als der Kaiser selbst in Sachsen einbrach, wurde Heinrich von seinen Getreuen verlassen; Lübeck sogar öffnete dem Barbarossa die Thore. Jetzt erst unterwarf sich der Welfe; auf dem Reichstage zu Erfurt 1181 that er einen Kniefall vor dem Kaiser; er erhielt Braunschweig und Lüneburg zurück, mußte aber drei Jahre nach England in die Verbannung gehen. – Peter Janssen zeigt uns auf seinem Gemälde den stolzen Herzog als Büßer, den der gewaltige Kaiser wieder in Gnaden aufnimmt, nachdem er eine harte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0738.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2018)