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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Denn also steht geschrieben: „Ich bin ein eifriger Gott, der da heimsuchet der Väter Missethat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied!“

So denkt er.

Da dröhnt der Gletscher. Mit Donnergewalt zischen, rollen und kugeln die Blitze über die schwefelgelben Wände der Bernina herunter. Das Wetter bricht los.

Er wendet sich.

Ein unerhörtes Gewitter geht durch die Berge. Da und dort flammen, vom Blitz entzündet, alte Arven wie Fackeln auf.

Die Bergamasker und Sennen erzählen noch heute beim Kienspan von dieser Nacht. Wie nie sei der Camogasker losgebrochen, Gerippe und blutende Tiere vor und hinter sich, bis zu den höchsten Kämmen und Gipfeln sei er aufgestiegen. Siebenmal habe er den Piz auf falbem Pferd erreiten wollen, habe aber, durch eine geheimnisvolle Macht abgeschlagen, immer wieder umkehren müssen. Am Morgen habe man in allen Thälern erschlagene Gemsen gefunden, Adler seien vom Blitz im Nest, Vieh unter den Schirmtannen getötet worden, eine Bergamaskerhütte in Brand aufgegangen und von Sassal Masone sei ein Schuß über Puschlav gelaufen. Und eine Stimme habe gerufen: „Wehe Tirol!“

Müde und abgeschlagen kam Markus Paltram im Lauf des Vormittages von der Jagd.

Er hatte nichts erbeutet als ein armseliges Grattier. Aber er brachte einen jungen Wolfshund mit sich. Er habe ihn von einem Bergamasker gekauft.

„Malepart“ nannte er ihn. Denn er fand, er habe in dieser Nacht den schlechtern Teil erwählt.

Und er beerdigte Märklein, das Kind.

Jene Nacht ist deswegen mit allen ihren Schauern im Gedächtnis des Volkes geblieben, weil das Engadin darin seinen berühmtesten Büchsenmacher, vielleicht den einzigen, den es je besessen hat, verlor und dem Bündnerland der größte Jäger erstand, den seine Geschichtsblätter nennen, ein schon zu seinen Lebzeiten von der Volkssage wie von Wetterleuchten umspielter Held, der groß im Guten und Bösen, ein Mann von seltsamsten Thaten gewesen ist.

Markus Paltram – ein König in der Republik der Jäger – der König der Bernina!


11.

Fünf Jahre nun schon ist Markus Paltram der Jäger, Cilgia Premont die Frau des Saumhalters Gruber zu Puschlav.

Da steht, wenn man von der Bernina herniedersteigt, links am Eingang des Dorfes ein im italienischen Stil gehaltenes palastähnliches Haus. Ueber offenen Loggien prangen die Worte „Saumhalterei von Sigismund Gruber“, auf Balkonen blühen die Oleanderstauden, vor blitzenden Fenstern die Nelken, Rosen und Geranien und ein wohlgepflegter Garten dehnt sich mit einem Anhauch südlicher Ueppigkeit auf der Sonnenseite des Gebäudes.

Die Morgensonne rötet noch die dem Veltlin zugewendeten Gipfel der Bernina, noch ist ihr rosiger Schein erst bis zum Palügletscher hinuntergesunken und der grüne Thalkessel von Puschlav mit seinem kleinen See, in dem sich die reinen Gipfel spiegeln, liegt noch im Schatten, da herrscht vor dem Haus Grubers schon reges Leben.

Die Pferde wiehern und scharren, braune Knechte schirren die zähen, langmähnigen Bergrosse in die Stäbe, sie schnallen die Saumballen zu beiden Seiten der langen flachen Sättel, in denen die Tiere wie in den Dauben eines Fasses stecken, sie laden über die Ballen einen Sack mit Heu- oder Hafervorrat, sie decken die Lasten mit Wachstüchern ein, und nach einer Weile ist Stab hinter Stab, ein langer malerischer Zug in der Richtung gegen Tirano zum Aufbruch bereit.

Unter den Knechten befindet sich der lange Hitz, der, obwohl über vierzig, sich immer noch das Ansehen eines jungen Burschen giebt.

Nebenan steht, vom alten mit dem Haus verbundenen Diener Thomas gehalten, ein edles, ungeduldiges Tier und wartet auf den Herrn der Säume.

Eben fährt der Hauderer Pejder Golzi, der mit den Seinen von der Berninahöhe heruntergekommen ist und in den Stauden am See übernachtet hat, seinen Blachenwagen an den gerüsteten Säumen vorbei – das Bild der Armut und das des Reichtums grüßen sich. Da tritt gestiefelt und gespornt Sigismund Gruber, der Saumherr, aus dem Thor. Er ist ein stattlicher Dreißiger mit hübschen blauen Augen, kurzgeschornem Vollbart, mit einem Gesicht voll blühender Gesundheit und dem Gehaben eines Herrenbauern oder reichen Händlers.

Mit prüfendem Blick mustert er die Stäbe und jedes der Tiere, spricht mit ihnen, klopft ihnen auf den Hals, untersucht, wie ihre Ladungen sitzen, die Schnallen angezogen sind – und giebt da und dort noch Winke und Befehle.

Seine Hantierungen verraten Sicherheit und Gelassenheit; in die Festigkeit aber, mit der er spricht, mischt sich ein leutseliger Ton, und der tirolische Klang seiner Redeweise steht ihm wohl. „Es stimmt – ab!“ sagt er nach einem letzten prüfenden Blick mit einer leichten Handbewegung. Die Knechte schwingen sich auf die Vorrosse, die Glocken am Hals der Tiere erheben ihr Spiel in die Morgenluft und verhallen nach einer Weile zwischen den Waldhalden, an denen sich Bach und Straße gegen das Veltlin hinabwinden.

Sigismund Gruber hat sich zu seinem Reitpferd gewandt und tätschelt es, indem er Mantel und Geldkatze an den Sattel des Tieres schnürt.

Da tritt seine junge schöne Frau unter das Thor, sie führt einen Kleinen an der Hand, der von ihr zum Vater springt und fragt: „Darf ich einmal reiten?“ Und bittend patscht er in die Händchen, und seine munteren blauen Augen betteln.

Er hebt ihn auf den Rücken des Tieres empor – überglücklich jubelt der dreijährige Knabe: „Sieh, Mutter!“ und der Vater hält ihn, während der alte Knecht das Pferd ein paarmal in der Runde führt. Dann lacht Gruber: „So, Lorenzlein,“ und er hebt ihn scherzend vom Pferd und giebt ihn nach einer raschen Liebkosung der Frau, die an dem übermütig strampelnden Jungen genug zu tragen hat, auf den Arm.

Wie blickt Cilgia hell und froh! Der junge Mann und die junge Frau schauen sich verständnisvoll und glücklich an und die Aermchen und Händchen des Kindes langen nach beiden. „Vater – Mutter!“ Und die Blumen in den Fenstern sehen auf ein glückliches Familienbild herab.

Eine Weile plaudert das Ehepaar noch, dann sagt Gruber mit einem Lächeln, das den Ernst seiner Worte verdecken soll: „Also, Cilgi, bei dem Hallo von heute streckst du den Kopf nicht zu weit vor. Uns geht die Hetze nichts an!“

Ein Schatten fliegt über ihr feines Gesicht.

„Thorheit, Sigismund!“ erwidert sie fast erschrocken. Er lacht gutmütig und schwingt sich in den Sattel. „Also, Cilgi und Lorenzlein,“ ruft er noch, „auf Wiedersehen morgen abend!“

Und in raschem Trab reitet er thalwärts, um seine Säume einzuholen.

Die einfach gekleidete Frau und der Knabe grüßen ihm nach.

Doch kränkt sich Cilgia ein wenig; sie kränkt sich, daß er geglaubt hat, ihr wenigstens mit einem Wort andeuten zu müssen, was sie am Tage, da Markus Paltram in Puschlav ist, zu thun und zu lassen habe. Als ob sie nicht wüßte, was sie nach den Geschehnissen der Vergangenheit ihrem Manne und sich selber schuldet!

Was ist da weiter dabei, daß Markus Paltram in Puschlav ist? Für sie ist er tot! Sie wird sich um die Bärenjagd nicht kümmern, die heute den ganzen Flecken in Aufruhr versetzt, sie wird sich den Festzug nicht ansehen, der Markus Paltram, dem Bärentöter, bereitet wird! Nur für die armen Bergamasken wird sie sich freuen, wenn es ihm, der als bester Schütze und Jäger vom Gemeinderat herbeigerufen worden ist, gelingt, die bösartige Bestie zu erlegen, die aus den Zernetzerbergen herübergekommen ist und unter dem Alpvieh unendlichen Schaden anrichtet.

Sie tritt mit ihrem Buben in den großen schönen Garten, wo sich Blüten und anreifende Früchte mengen. Sie fährt mit der Hand verträumt durch den Lockenkopf des Knaben, lächelt ihm zu und sucht seine lebhaften, schönen Augen, als müßten sein Blick, sein Name einen quälenden Gedanken bannen.

Wie lieb ist ihr das Büblein, sein trostreiches Gesichtchen! Welch unendlichen heimlichen Kampf hat sein Lächeln und Lallen, hat sein werdendes munteres Geplauder und jetzt sein Spiel in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0747.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)