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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Veltliner Wein. Der lange Hitz schlägt die Maultrommel und ein paar lustige Weibsbilder sind bald zum Tanze da.“

Cilgia zaudert. Dann sagt sie: „Thomas, wie ich ein Kind war, habt Ihr mich auf den Armen getragen. Darum eine Gewissensfrage, die ich an niemand stellen würde als an Euch: Weiß mein Mann davon?“

In ihren goldbraunen Augen steht das Wasser. – Hilflos stammelt der Alte: „Ich denke es. – Er ist ja als kluger Herr immer da an den Straßen, wo ihn die Leute am wenigsten erwarten. – Man glaubt ihn zu Cleven, dann ist er auf dem Stilfserjoch – ich sage nichts gegen den Herrn, aber er schaut dem langen Hitz viel zu viel durch die Finger, und der freche Strick ist unverschämt vertraulich mit dem Herrn. – Die anderen Knechte murren. – Der Herr sollte es sich nicht so zu Herzen nehmen, daß ihm die Bündner das Jagdrecht verweigert haben – er sollte das Bürgerrecht kaufen. Dann hindert ihn niemand an der Jagd.“

So beichtet die alte treue Haut. – Cilgia schickt ihn mit Brief und Paket zu ihrem Manne – dann bricht sie zusammen.

Unergründlich ist das Frauenherz. Sie hat Gruber einen schönen Brief geschrieben: „Sigismund! – Nimm die Sachen zu dir und kehre heim. Ich halte auch in dieser schweren Stunde das am Altar versprochene Wort – ich werde dich ohne Vorwürfe empfangen. Retten wir um Lorenzleins willen, was zu retten ist – den langen Hitz aber schicke noch in Tirano von dir. Gieb ihm Geld und lasse ihn vor einem Priester schwören, daß er fürder wenigstens acht Tagereisen weit von unserm Berglande bleibe und schweige. Deine trauernde Cilgia.“

In der Nacht schleicht ein Unglücklicher in sein stolzes Heim – und ein Verführter weint auf den Knieen vor seinem Weib: „Es war erst das zweite Mal, daß ich mit ihm ging.“

Sie hebt ihn auf – und das junge Paar versucht ein neues Glück zu bauen. – Der lange Hitz ist fort – die rechtschaffenen Knechte freuen sich – aber der erste, der einsieht, daß es kein Glück mehr giebt, ist diesmal Gruber. Die Güte seines Weibes ist, wie sie es verberge, ohne Achtung, ihr freundliches Wort bleibt auf halbem Weg stecken. Sie kann nicht heucheln – auf ihren Wangen stehen schlecht getrocknete Thränen und ihr heimlicher Kampf ist Feuer auf sein Haupt. Und die Plauderworte Lorenzleins verlassen ihn nicht – sie hat Markus Paltram wiedergesehen.

„Sie liebt ihn – tief unter der Hülle ihres Stolzes liebt sie ihn – und für mich hat sie nur Güte!“ Das quält Gruber.

Im Volk aber wütet der Groll wegen des Hauderers, der zu drei Jahren Kerker in Bormio verurteilt ist.

Da beherrscht den unglücklichen Mann nur noch ein Gedanke – – – Rache an dem, der ihn entehrt hat vor seinem Weib!

Und die Geschicke erfüllen sich! (Fortsetzung folgt.)     


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Schwarzwälder Flößer auf dem Neckar bei Tübingen.

(Mit dem nebenstehenden Bilde.)

Immer mehr hat sich die Poesie des deutschen Studentenlebens aus den großen Mittelpunkten des Geisteslebens zurückgezogen und in den kleinen Universitäten des Reiches festgesetzt, aber auch hier verschwindet ein Stück der alten Sitten nach dem anderen vor den Anforderungen des modernen Lebens.

Nach dem Musensitz der schwäbischen Alma mater am Neckarstrande, Tübingen, führen wir dich, lieber Leser.

Stelle dir vor, du bist als krasser Fuchs, zur schönen Frühlingszeit, wenn die Lerche singt und der Kirschbaum blüht, in dem alten Studentenstädtchen angekommen und sofort von der „Verbindung“ oder dem „Korps“, dem du „annonciert“ warst, in Empfang genommen worden. Der erste Abend wurde mit Einführung des Neulings in die Geheimnisse des „Bierkomments“ auf der Kneipe verbracht, aber da du einen guten Humor und ebensolchen Magen hast, so bestandest du die Probe mit Ehren und auch dein „Kater“ am anderen Morgen ist nicht so gewaltig, daß er dir verböte, dich nun einmal, der Aufsicht des gestrengen Leibburschen entrückt, bei Tage in der Stadt umzusehen, deren akademischer Bürger du geworden bist. Hell scheint die Frühlingssonne in dein Stübchen, das du, so viel du dich erinnerst, am Abend vorher zu ebener Erde betreten hattest und das du nun, bei einem Blick durchs Fenster, als hoch im vierten Stock befindlich erkennst, was sich aus der Bauart Tübingens am Rande der Hügel erklärt. Du verläßt dasselbe, wirfst einen Blick auf die trotzige Pfalzgrafenburg, deren Türme neugierig in die engen Gassen heruntersehen, schlenderst an der ehrwürdigen St. Georgskirche vorbei, über den altertümlichen Marktplatz hinunter nach der berühmten „Gôgerei“ und bist eben im Begriff, den wundersamen Dialekt zweier Ureinwohner dieses Stadtteils zu ergründen, als du plötzlich durch ein fernes Rennen und Summen – den Beginn eines Aufruhrs, könntest du meinen – aus deinen Betrachtungen aufgestört wirst.

Barfüßige Buben rennen vorbei und rufen sich, mit dem Ausdruck höchster Lust, Worte zu, die du nicht verstehst. Bald siehst du auch Studenten aller Farben aus den Häusern eilen, „Philister“ und andere Personen schließen sich an, und auch du folgst in gespannter Erwartung, ob sich hier wirklich eine gewaltsame Aenderung der Stadtverfassung oder doch mindestens ein akademischer Tumult, von dem du aus Wilhelm Hauffs „Memoiren des Satans“ so romantische Begriffe hast, vorbereitet. Alles nimmt die Richtung nach der Neckarbrücke, und bald dringt ein eigentümliches, in Absätzen sich fortpflanzendes Geschrei an deine Ohren. Jetzt ist die Brücke erreicht! Wieder erschallen die wunderlichen Worte, die dir schon vorhin aufgefallen sind, diesmal aber aus Hunderten von stimmkräftigen Kehlen, deren Besitzer nicht nur die ganze Brücke in dichten Scharen erfüllen, sondern auch sämtliche Fenster der am Neckar gelegenen Häuser, überhaupt jeden zugänglichen Punkt, von dem dieser zu sehen ist, besetzt halten. Gespannt schaust du den im Morgenlicht glänzenden Strom hinauf, und jetzt wird es dir klar, um was es sich handelt: Flößer sind es, „Jockele“ genannt, die auf ihrem im Schwarzwald aus gewaltigen Tannenstämmen gebundenen Floß durch den Neckar dem Rhein und dem fernen Weltmeer zusteuern. Jetzt verstehst du auch den Ruf, und als das erste Floßglied um die weidenbewachsene Stromecke biegt, rufst du selber kräftig mit: „Jockele sperr, spe – err, spe – err!“ und „Jockele spe – err, spe – err, spe – eeerr!“ tönt es von der Brücke, aus den Fenstern, von den Alleen und Spazierwegen am Neckar, von Zeit zu Zeit schreckhaft unterbrochen durch den brüllenden Ton eines großen Sprachrohrs, dessen Eigentümer den Lärm vom Turm eines der anliegenden studentischen Verbindungshäuser aus zu vergrößern sucht. Mannigfaltig sind die Modulationen des Geschreis, unendlich wird die letzte Silbe in die Länge gezogen – „Spe – e – err!“ – eine Kunst, in der es wahre Virtuosen giebt. Unbeirrt um den ringsum tosenden Lärm lenken unterdessen die herkulischen Gestalten, in hohen Flößerstiefeln, roter Weste und weißen Hemdsärmeln, mit riesenhaften Stangen das endlos zusammengekoppelte Floß, und wie sie ganz nahe kommen, erkennst du auch den Sinn des Geschreis: es ist ein Hohnruf, denn mit den Worten „Jockele sperr!“, den sich die Flößer selber gegenseitig zurufen, soll der Lauf des Flosses gelenkt werden. „Jockele“ ist die schwäbische Verkleinerung von Jakob (Jakobele, Jockele), und „sperren“ heißt so viel als hemmen, was mittels des am Ende jedes Floßglieds angebrachten Sperrpfahls geschieht. Das Sperren erfordert viel Kraft und Umsicht; es gilt, zu bewirken, daß die Glieder des Flosses, gerade gerichtet, nur in leiser Krümmung den Flußwindungen folgend, hintereinander schwimmen. Sonst stoßen sie sich, bilden Winkel gegeneinander, es entsteht – in der Flößersprache ausgedrückt – ein „Ellenbogen“. Das Floß klemmt sich zwischen den Ufern fest und kann nur durch harte, oft langwierige Arbeit wieder flott gemacht werden. Dies Schauspiel und die urwüchsige Grobheit, welche die starkknochigen Flößer gegen die Zuschauer am Ufer entfalten, hat von alters her den Witz der Tübinger Studenten herausgefordert. Daher die Neckrufe: „Jockele sperr!“ oder „Jockele, ’s geit en Elleboge!“ („es giebt einen ,Ellenbogen‘“).

Die Herren Studenten thaten übrigens allzeit gut, durch ihre Neckerei den Mutterwitz der Jockele nur aus gesicherter Ferne zu reizen, denn gar mancher hat wenig schmeichelhafte Anspielungen auf seine Persönlichkeit zu hören bekommen, wenn ihn der Fürwitz trieb, seinen Ruf aus zu großer Nähe auszustoßen.

Doch seit kurzem gehört auch dieses Stückchen deutschen Studentenhumors, das, wie oben geschildert, soeben noch sehr lebendig war, der Vergangenheit an: die Flößerei auf dem Neckar ist, nachdem sie infolge der Konkurrenz des bequemen Schienenwegs spärlicher und spärlicher geworden, neuestens, auf Andringen der vielfach durch sie belästigten Mühlen und Fabriken, gesetzlich aufgehoben worden. Im Herbst dieses Jahres ist das letzte Schwarzwaldfloß auf dem Neckar zum Rhein hinabgeglitten. C.      


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0752.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)