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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

erweckten den Verdacht der Polizei, und er ward als Anarchist verdächtigt und verhaftet und seine Apparate wurden mit Beschlag belegt.

Schon im Garten seines Vaters, wo Marconi seine ersten Versuche anstellte, hatte er wahrgenommen, daß die Strecke, über welche man zu telegraphieren vermag, sich sehr erweitern läßt, wenn sowohl der Sender wie der Empfangsapparat mit der Erde, beziehentlich mit einem möglichst langen, vertikal aufgerichteten Drahte, verbunden sind.

Dementsprechend muß am Oscillator die eine Kugel mit der Erde, die andere mit einem vertikalen Leiter verknüpft werden. Gleiches geschieht mit den beiden Enden des Kohärers. Je länger die Luftleiter sind, je weiter ist auch die Strecke, über die man telegraphieren kann. Ein 6 m langer Luftleiter z. B. genügt für eine Entfernung von 1,6 km. Bei sehr großen Strecken hat Marconi die Luftleitung an Masten befestigt. Slaby knüpfte sie an Luftballons an und erhielt auch auf diese Weise vorzügliche Ergebnisse.

Das sind die wesentlichsten Einrichtungen, welche in der Wellentelegraphie Verwendung finden. Wir wollen nun die Marconischen großen Versuche selbst vorführen.

Den ersten Anlaß zur praktischen Ausübung der Wellentelegraphie fand Marconi im Sommer vorigen Jahres gelegentlich der Erkrankung des Prinzen von Wales. Der englische Thronfolger befand sich auf der königlichen Jacht „Osborne“. Die Residenz der Königin war in Osborne-House auf der Insel Wight. Die Entfernung der Schiffs- und Landstation betrug 2,8 km und beide waren für einander durch dazwischen liegende Hügel verdeckt. Sechzehn Tage hindurch dauerte der telegraphische Verkehr, während welcher Zeit hundertundfünfzig Depeschen, mit einer mittleren Geschwindigkeit von 15 Wörtern in der Minute, gewechselt wurden. –

Die Hochburg der modernen Wellentelegraphie liegt auf South-Foreland, dem wogenumbrandeten Kap an der Südostküste Englands (vergl. Fig. 4). Es trägt zwei berühmte Leuchttürme von 15 und 21 m Höhe, die ihr schützendes Licht weit über den Kanal werfen. Von South-Foreland aus hat Marconi zuerst das bis dahin vergebens umworbene Problem gelöst, zu einem sehr weit draußen im Meere liegenden Leuchtschiffe zu sprechen. Das Leuchtschiff „East-Goodwin“ befand sich 191/2 km weit von der Küste entfernt. Trotz heftigen Unwetters und gewaltiger Stürme, die einmal sogar die Takelage des Schiffes über Bord warfen, wurde die telegraphische Verbindung niemals gestört. Dabei gestaltete sich der Verkehr so einfach, daß bereits nach zwei Tagen die Seeleute die Uebermittelung der Depeschen selbst ausführen konnten.

Durch solche Erfahrungen angeregt, hat die britische Regierung der westindischen Inseln beschlossen, die Wellentelegraphie zwischen den Inselgruppen in den täglichen Dienst zu stellen.

Die erste größere Strecke, über die Marconi mit Hertz’schen Wellen telegraphierte, beträgt fast 52 km. Es ward hierbei South-Foreland mit Boulogne an der französischen Küste verbunden. Unsere Bilder Fig. 4 und 5 zeigen die Strandpartie vor den Stationen mit den Riesenmasten von fast 50 m Höhe, welche die vertikalen Luftdrähte tragen. Die Abbildung in Fig. 1 gestattet einen Einblick in das Innere der Station zu Boulogne. Sie hält den Augenblick fest, wo ein Gehilfe Marconis am Oscillator arbeitet, um eine Wellendepesche aufzugeben.

Der deutsche Ingenieur Schäfer hatte Marconis Leistung im Sommer dieses Jahres noch übertroffen. Er sandte seine Wellensignale sogar über eine Strecke von 62 km. Statt des Kohärers bediente er sich einer anderen Einrichtung, der sogenannten „Schäferschen Platte“. Sonst gleichen seine Anordnungen den oben geschilderten.

Aber wiederum gelang es Marconi, seinen Rivalen, während der letzten Manöver der englischen Marine an der Südwestspitze von Wales, zu schlagen. Die Kriegsschiffe waren imstande, sich über 80 bis 100 km mit seinen Einrichtungen leicht zu verständigen.

Nach neuesten Berichten konnte Marconi seine Stationen sogar auf 125 km mit gutem Erfolge auseinander rücken.

Auch die Militärbehörden haben sich eingehend mit der Wellentelegraphie beschäftigt und versucht, mit Hilfe von Fesselballons sich die Signale zuzusenden. In künftigen Kriegen dürfte denn auch unzweifelhaft der Wellentelegraphie eine bedeutende Rolle zufallen.

Nach so viel Licht mögen nun auch die Schattenseiten der Wellentelegraphie hervorgehoben werden. Die elektrischen Wellen wandern nach allen Richtungen der Windrose und jedermann kann sie auffangen und ihre Geheimnisse enthüllen. Den einzigen einwurfsfreien Schutz bieten dagegen nur verabredete Ziffernsysteme, wie sie ja auch sonst häufig in der Telegraphie für diplomatische Nachrichten im Gebrauch sind. Vielleicht könnten auch, wie Slaby meint, im Kriege feindliche Oscillatoren dauernde Störungen der Zeichen hervorrufen und die Verständigung unmöglich machen. Das gäbe dann einen interessanten Kampf in den Wellen des Aethers!

Jedenfalls können unsere Ingenieure stolz sein, daß es ihnen gelungen ist, die Technik sogar vom Körperlichen zu befreien und zu ermöglichen, daß die Kräfte sich frei im Aether bethätigen. Wer dürfte einem phantastischen Kopfe z. B. jetzt Einhalt gebieten, der in den elektrischen Wellen die Mittel zu sehen glaubt, welche die enge Erdsphäre sprengen und dem Könige der Schöpfung die Welt der Sterne öffnen?


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Haus- und Wanderratte.

Von Prof. Dr. Kurt Lampert.

Nächstverwandte Arten kommen fast immer am wenigsten friedlich miteinander aus. Die meist gleichen Lebensbedingungen bringen es mit sich, daß sie im Ringen um die Existenz am härtesten aufeinander stoßen. Der schwächere Teil unterliegt; es ist nicht einmal nötig, daß derselbe von seinem stärkeren Vetter in direktem Kampf durch die brutale Gewalt besiegt und vernichtet wird; auch der indirekte Weg kann zum gleichen Ziele führen. Der Stärkere nimmt dem Schwächeren die Existenzbedingungen vorweg, in stillem Kampf drängt er ihn immer weiter zurück, bis dieser die Segel streicht und das Feld räumt.

Wir begegnen diesem harten Gesetz bei Pflanzen und Tieren. Wo die verschiedensten Arten in der Ausdehnung ihrer geographischen Verbreitung eine neue Heimat sich gründen, da verdrängen sie, sofern sie überhaupt die nötigen Bedingungen zur Ansiedelung vorfinden, nächst verwandte heimische Formen. Australien bietet uns aus Pflanzen- und Tierwelt hiefür mancherlei Beispiele, und nichts anderes ist es, wenn wir sehen, wie die verschiedensten Menschenrassen, die Indianer Amerikas, die Ureinwohner Australiens, alle die „Wilden“ in den verschiedensten Teilen der Erde bei der Berührung mit der weißen Rasse allmählich dahinschwinden; es ist nicht Platz für beide an der Sonne.

Eines der bekanntesten Beispiele ist das Verhältnis der beiden in Europa vorkommenden Ratten, der Hausratte und der Wanderratte.

Bis zum vorigen Jahrhundert ist aus Europa nur eine Ratte bekannt gewesen, welche die Zoologie Mus rattus nennt. Sie ist von rußschwarzer Färbung, und zwar tragen Rücken und Bauchseite die gleiche Farbe. Ob sie von je in Europa vorgekommen ist, oder ob sie, wie vielfach angenommen wird, auch zu den Einwanderern gehört, ist noch nicht entschieden; in der alten Litteratur wird sie nicht erwähnt, zum erstenmal für Deutschland von Albertus Magnus im 12. Jahrhundert. Hausratte und Dachratte sind die deutschen Bezeichnungen dieses Nagers, beide Namen geben zugleich einen Hinweis auf seine Lebensart. Wie die Hausmaus, so bewohnt die Hausratte menschliche Ansiedelungen und folgt dem Menschen überall hin; mit Vorliebe aber bezieht sie die höheren Stockwerke; Bodenräume, Dachsparren sind der Lieblingsaufenthalt der ungemein gewandt kletternden Tiere. In Schraubengängen eilen sie bei Überraschung rasch die Pfosten und Balken hinauf. Steht etwa am Hause ein Weinstock, so dient ihnen dieser dazu, bequem und rasch von ihren Raubzügen wieder in die oberen Gemächer zu gelangen. In den Dachsparren nisten sie auch, nur wenn kältere Witterung eintritt, ziehen sie sich mehr ins Innere der Gebäude zurück.

Bis in das vorige Jahrhundert hinein erfreute sich die erwähnte Hausratte eines behaglichen Daseins. Da kam ein Stärkerer über sie. Plötzlich erschien eine neue Rattenart in Europa und in Deutschland. Der russische Naturforscher Pallas berichtet, daß im Jahre 1727 nach einem Erdbeben Ratten in ungeheurer Schar über die Wolga schwammen und, von den kaspischen Ländern her eindringend, zunächst Astrachan besetzten. Von hier aus führten sie ihren Eroberungszug in Europa aus. Der Mensch war ihnen hierbei wider seinen Willen behilflich. Die Ratten folgten den Verkehrsstraßen; besonders die vielfachen Kriegszüge um die Wende des Jahrhunderts waren ihrer Verbreitung förderlich, hauptsächlich aber ist die Besiedelung ferner Länder durch sie dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0766.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2023)