Seite:Die Gartenlaube (1899) 0768.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

großen Lettern tragend: Oratius Falconerius. Auch durch dieses Thor ritt ich; und erst jetzt war ich angelangt.

Aber was bedeutete das? Nirgends war ein Laut zu hören, nirgends eine Menschenseele zu erblicken! Nur die Wipfel der Steineichen rauschten über meinem Haupte; nur der schrille Sommergesang der Grillen tönte aus den Oliveten zu mir herüber; nur das Sonnenvölklein der Lacerten und große smaragdgrüne Eidechsen, wie Strahlen funkelnd, glitten raschelnd durch das hohe Gras und das blühende Unkraut der Wege. Ich stieg vom Pferd, ließ mein Tier frei weiden, schritt langsam vor, ward mehr und mehr wie von einem Traum umfangen, geriet mehr und mehr in den Bann des wundersamen Ortes, dessen Genius eine Gestalt von hinreißender Schönheit und zugleich von namenloser Melancholie sein mußte. Ich hatte mir das „leuchtende Haus“ schön gedacht; aber die Wirklichkeit überstieg meine fabulierende Einbildungskraft.

Aus dem nächtlichen Schatten des Steineichenhains tretend – denn wie ein Hain war es, so voller Schauer, daß unter seinen Wipfeln Jphigenia „widerwillig“ ihrer hohen Göttin hätte dienen können – lag das Haus vor mir, wirklich ein Fürstensitz! Der weitvorspringende imposante Mittelbau, dessen schon von mir gekannte säulengetragene Halle dem Eintretenden weit sich öffnete, die langen schlanken Seitenflügel mit einer köstlichen Pilasterarchitektur – das Ganze von solcher heiteren, solcher festlichen Schönheit, als hätte ein großer Künstler der Renaissancezeit der strahlenden Lebenswonne des Südens in diesem Hause eine bleibende Stätte bereiten wollen.

Im Gegensatz zu der einstmaligen daseinsfreudigen Bestimmung des schönen Gebäudes wirkte die gegenwärtige Verlassenheit und Oede um so trostloser: die Wege und Terrassen grasbewachsen, die Brunnenbecken zerbröckelnd und wasserleer, die sämtlichen Fensterläden des ganzen großen Hauses fest verschlossen. Es herrschte eine Stille, daß das leise Rauschen der Baumkronen wie ersticktes Seufzen klang.

Ich ging weiter. Ueber eine Wiese voll blühender Cyclamen gelangte ich vor den Palast und in einen kleinen, von einem Glycinienzaun umsponnenen Garten. Rosen wuchsen hier, nichts als Rosen! Sie waren vollständig ungepflegt und wucherten in fröhlichster Verwilderung. Ein Strauch weißer Bansiarosen prangte in solcher Herrlichkeit, daß es wie Schnee erglänzte, mitten in den Rosenfrühling gefallen.

Und noch immer keine Seele! … Ich stand auf der großen Terrasse, die nicht über natürlichem Felsboden, wie ich immer geglaubt hatte, sich erhob, sondern über den gewaltigen Substruktionen einer antiken Villa; lehnte am Mauerrand und blickte um mich. Unter mir lag Frascati mit seinen Oelwäldern und Rebengefilden, lag die sommerliche sonnenheiße Campagna und, mir gerade gegenüber, die etrurische Hochebene, eine unübersehbare Landschaft! Ich sah feine, zarte Berglinien, umschleiert von dem Silberduft des Mittags: die toskanischen Waldberge! Ich überschaute eine ganze mächtige Bergkette, Felsengipfel an Felsengipfel: die wilde, herrliche Sabina! Die Meeresküste erblickte ich mit der Tibermündung von Civita vecchia bis Ostia und weiter: den altehrwürdigen Schauplatz der Aeneide! Jetzt dehnte sich dort eine undurchdringliche Wildnis von Buschwald, erstreckten sich die seuchenschwangeren, unheilvollen römischen Moräste. Das Landschaftsbild unter mir, von der Terrasse der Villa Falconieri aus gesehen, war von solcher majestätischen Weite, daß darin das große Rom als ein unscheinbarer schimmernder Streifen erschien. Aber gleich einem Felsengipfcl ragte darüber die Peterskuppel empor.

Und weiter ging ich, vorüber an der Säulenhalle, in welcher Büsten römischer Cäsaren aufgestellt, Inschriftstafeln, den Aufenthalt von Päpsten verherrlichend, eingemauert waren. Es folgte ein drittes, ein viertes Thor: antike Marmorsäulen, steinerne Löwen tragend, in einen Hof führend, an den ein Oelwald stieß. Menschenleer, still und öde auch hier alles; und auch hier alles traumhafte Schönheit! Aus der Olivete gelangte ich in eine Pinienallee und aus dieser in die ehemaligen Parkanlagen der Villa, die zu keiner Zeit so reizvoll gewesen sein konnten, wie sie es jetzt waren, wo Mutter Natur die einzige Gärtnerin war und frei als große Künstlerin waltete. Sie ließ keine Axt an die Stämme rühren, ließ Lorbeer und Laurustinus, Arbutus und Stechpalmen zu Bäumen aufwachsen; sie wob gelben Ginster und Goldregen, weiße Erika und wilde Schneeballen durch die Gehölze; sie verflocht die Dickichte mit blassen Heckenrosen und buntem Geißblatt, mit blauen Winden und violetten Wicken; sie streute aus ihrem Füllhorn tausend und aber tausend Blumen in das grüne Labyrinth der Wege, daß diese ein schimmernder Ariadnefaden durchzog, von dem auch ich mich leiten ließ und der zu einer neuen wundersamen Stätte mich führte. Es war ein Wiesenrondell, eingefaßt von baumhohem Buchs, dem in der brennenden Junisonne ein eigentümliches starkes Arom entströmte. Zum Ueberfluß stand die Wiese voller Thymian, Menthe und Salbei, daß von ihr ein Duft wie aus einem Weihrauchbecken ausging. Eine hohe Rampe führte von dem Rasengrund zu beiden Seiten einer rotgetünchten Nische, darin auf altrömischem Altar eine antike Gewandstatue aufgestellt war, zu einem Cypressenhain, der wie ein schwarzer hängender Garten über mir lag. Mein erster Gedanke war: „Dort oben ist ja ein Kirchhof!“ mein zweiter: „Böcklin!“ Den Namen des Meisters im Gemüt, stieg ich die verwachsenen Wege empor, statt zu dem erwarteten campo santo, zu einem Weiher gelangend, den auf allen Seiten in dichten Reihen die düsteren Bäume des Todes umstanden und dessen regungslose Flut dunkel war wie die starren Cypressenzweige. Ein kleines künstliches Eiland lag in der Mitte des schwermütigen Gewässers, über und über mit wilden Rosen bewachsen, daß es der finsteren Flut wie eine glühende Klippe entstieg.

Ich warf mich unter einem der alten Bäume auf den duftenden Grund, blickte durch die wie Säulen aus grauem Granit dastehenden Cypressenstämme auf die glanzvolle Landschaft, auf das Sabinergebirge, auf die Campagna mit dem Felsenberg Soracte und der Peterskuppel über dem Häusermeer Roms; blickte auf das tyrrhenische Meeresgestade mit seinem schwarzen Saum von Wildnis längs der weit in den Horizont aufsteigenden Salzflut. Unter dem Raunen des Mittagswindes in den Cypressen gestaltete sich mir das Bild der Stätte, wo ich mich in stiller Verzauberung befand, wie es wechselte im Kreislauf der Zeiten.

Erhob ich den Kopf, so sah ich den Gipfel des lang sich hinstreckenden schönen Höhenzuges, an den einstmals Tusculum sich lehnte, dieses von gütigen Göttern zur Freude der Menschen geschaffenen Erdenflecks. Denn schon im grauen Altertum waren die Landhäuser um Tusculum weltberühmt. Sie bedeckten ringsum das Hügelland mit ihren Gärten und Hainen, ihren Tempeln und Portiken, ihren Akademien, Nymphäen und Thermen, ihren Rosen- und Veilchenfeldern. Vom Gipfel der Hügel zogen sie sich bis tief in die römische Ebene hinab, bis vor die Thore der Weltstadt, alles Land in einen einzigen, von Marmor glänzenden, von Blüten schimmernden gewaltigen Festplatz verwandelnd. Mein Haupt nur ein Weniges erhebend, sah ich über mir den Platz, wo Marcus Tullius Cicero sein Tusculanum besaß; sah ich unter mir die weiten Gründe, wo Lucullus, aus Asien heimgekehrt, in Europa die ersten Kirschbäume pflanzte, wo er Orgien feierte, die den Neid der Olympier erregen konnten, wo er sich sein Grab baute. Denn der große Schwelger und Lebenskünstler liebte, wie der große Redner und Weise Cicero, seinen tusculanischen Landsitz so glühend, daß er nur dort begraben sein wollte: unter einem Koloß von Marmor, umblüht von tusculanischen Rosen, umgeben von einer Heerschar griechischer Statuen, noch seine Asche aufbewahrt in einer Welt unsterblicher Schönheit.

An der Stelle, wo ich ruhte und träumte, lag das Landhaus des Konsuls Gabinus. Es war von einer solchen Herrlichkeit, daß selbst die Villa Luculls dagegen ärmlich erschien.

Aber selbst das Herrlichste hat ein vergängliches Dasein, und die Villa des mächtigen Gabinus sank in Trümmer. Als im frühen Mittelalter Tusculum von den wütenden Römern zerstört ward, daß kein Stein auf dem anderen blieb, bemächtigte sich die Natur auch dieser verlassenen Stätte. Sie begrub die Säulen, die Mauern; sie begrub Hallen und Terrassen, begrub ein ganzes Volk von Statuen, begrub die Tempel – wie eine neue Zeit und neue Götter längst die alten begraben hatten. Aber die große Gruft, in der so viel Schönheit eingesargt lag, wurde von der nämlichen Hand, die das Grab schaufelte, mit tiefschattigen Hainen und köstlichen Gärten geschmückt, so daß

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0768.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)