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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Bildern schildert Konradin, der liebeglühende Sohn der hohen Berge, die Spiele der Jugend, die gehaltvollen Sitten und Bräuche des Volkes, seine Bursche und Mädchen, seine stolzen Männer, seine verschwiegenen Frauen, er singt vom jungen Inn, vom Heimatdörfchen über dem See, von den Gletschern und ihren Sagen, vom Schneelicht der Bernina, das in alle Kammern leuchtet, aber er findet auch heiße Worte der Mahnung, daß sein Völkchen sich aufraffe und im Thal selbst in Bescheidenheit ein thätiges Leben ergreife!

Ein Klang und Ton ist in den Liedern, der die Herzen des sonst so nüchternen Volkes erregt. Wie wenn die Flamme in dürres Laub fällt, zünden sie in das Leben des Engadins – sie sind, wie Pfarrer Taß sagt, ein „Trostbüchlein zur rechten Zeit.“

Nur einer behauptet mit Festigkeit, er habe die Phantastereien Konradins nicht gelesen.

Das ist der alte feine, strenge Herr Landammann.

„Das ist nicht väterlich,“ sagt ihm Cilgia. „Ihr solltet Euch doch überzeugen, daß die Traube reif geworden ist!“ Und mit dem alten Edelmanne durch den blühenden Garten schreitend, sagt sie ihm Lied um Lied Konradins aus freiem Gedächtnis her. Sie spricht sie mit warmer, silberklarer Stimme – und dann und wann lächelt der Alte und nimmt schmunzelnd eine Prise aus silberner Dose.

„Er setzt den Leuten die Fliegen gut hinters Ohr!“ sagt er einmal – aber bald darauf: „Eben, eben. – Da hat er in diesen Versen wieder an Melchers Aelteste gedacht – er soll in Neapel bleiben!“

Und ein verdrießlicher Schatten geht über sein feingefälteltes Gesicht. Cilgia aber legt ihren Arm in den des alten Herrn und bittet und bettelt für Konradin und Menja.

„Rührt sie Euch nicht, Eure blonde Nachbarin hinter den Blumen – wie ein Mütterchen hat sie die Schwestern aufgezogen und hat sie im Brautkranz gehen sehen. Sie aber wartet. Sie giebt gegen den Willen ihres Vaters ihre Jugend an ihre Treue – sie bleibt heiter dabei. Sie erfüllt ihr Tagewerk mit stillem Fleiß – sie pflegt ihre Blumen, und jede Knospe ist eine Hoffnung und jede, die abfällt, ein verlorner Tag.“

„Ich habe nichts gegen Melchers Aelteste,“ erwidert der alte Herr kühl. „Aber Konradin ist ein Narr!“

Da wird Cilgia eifrig. „Vergeßt nicht, Herr Landammann, die Lieder Herrn Konradins werden im Engadin zu Bibel und Chronik gelegt und im Schatzkämmerchen des Büffetts aufbewahrt – er lebt noch in seinen Liedern, wenn wir alle vergessen sind!“

„Ich sage nur, er ist ein Narr,“ lächelt der Landammann über ihren Eifer. „Hört, Cilgia – ich habe keine Freude an seiner Wahl. Aber ich sollte so jung sein wie Konradin und ich liebte ein Mädchen! – glaubt Ihr, ich würde danach fragen, ob sie meinem Vater gefällt oder nicht? Nein, ich führte die ich liebte, und wäre die ganze Welt dagegen, zum Altar – so thäte ich!“

„Und so soll Konradin thun,“ jubelt Cilgia. „Herr Landammann, Ihr verdient eine Rose ins Knopfloch!“

„Ich gebe ihm diesen Rat natürlich nicht,“ lächelt der alte Diplomat. „Man hätte ihn mir auch nicht geben müssen – aber ich hätte die Folgen auf mich genommen.“

„Ihr habt Konradin zu sehr in der Ehrfurcht vor Euch erzogen – er hängt ja an Euren Augen.“

„Er ist jetzt dreißig – er soll die Kraft zu einer Wahl haben – den Vater um des Weibes willen aufgeben – oder das Weib um des Vaters willen!“

Diese Anschauungen hat Cilgia hinter dem strengen Herrn Landammann nicht vermutet. Er grollt zwar wegen der unnützen Poeterei – er sagt, er mache sich noch alle Vorbehalte – aber sie hat doch den Eindruck, daß zwei treue Herzen glücklich werden können.

Das giebt Sonne in die trüben Tage.

Und dann und wann sendet sie aus ihrem Garten einen Strauß köstlichster Blumen an den alten Landammann.

Die kleine Schwäche, die der stolze, aufrechte Greis für sie hat, gefällt ihr über die Maßen gut.

Und eines Tages trägt sie keine Trauerkleider mehr um Sigismund. Sie geht im hellen Sommergewand – sie ist beinahe die ehemalige Cilgia Premont – etwas sinnend zwar – etwas ernster und vornehmer – aber voll glücklicher Einfälle und Pläne.

Am Tag, wo sie die Trauer ablegt, ist Melcher, der Händler, da, dessen kräftige Gestalt nun auch schon leicht ergraut.

Ein festlicher, sonntäglicher Hauch geht durch das Haus, neben den Gedecken des Tisches stehen frische Blumen – man spürt, daß das Leben in dem verödeten Haus wieder Einzug halten will.

„Warum so viele Umstände, Frau Cilgia?“ lacht Melcher trocken, „doch nicht, weil der Hauderer frei ist? – es hat ja genug gekostet!“

„Nein – obwohl ich auch das als ein großes Glück betrachte und wir darüber heute noch sprechen müssen – oder eigentlich jetzt! Also, ich danke Euch, Melcher, dafür, daß Ihr so unter der Hand die Angelegenheit ins reine gebracht habt – es ist mir wohler, seit Pejder Golzi nicht mehr zu Bormio sitzt.“

„Aber über Campocologno hinaus darf er nicht wieder – sonst stecken ihn die Gendarmen wieder ein. Das haben sie ihm bei Himmel und Hölle angedroht, und ich habe eine gewisse Bürgschaft übernommen – wenn er nur Wort hält, sonst komme ich selber in Verlegenheit!“ Und Melchers Gesicht ist ernst.

„Eben das ist’s,“ erwiderte Cilgia. „Darum will ich ihn binden. Nach allen Diensten, die Ihr mir schon erwiesen habt, bitte ich Euch nur noch um diesen: Kauft ihm eine Hütte zu Strada, stellt ihm ein Kühlein und zwei Geißen hinein, und nahe dabei erwerbt etwas Wiese und eine Scholle Acker!“

„Ihr glaubt doch nicht, daß ein Hauderer seßhaft werde?“ wandte Melcher ein.

„Seine Frau hat es mir versprochen,“ erwidert Cilgia schlicht, „ich traue ihr – ich möchte es versuchen.“

Während die beiden den Plan erwägen, schaut sie mit merkbarer Ungeduld aus dem Fenster. „Wen erwartet Ihr denn?“ fragt Melcher.

„Pfarrer Taß – und noch einen!“ Das letzte sagt sie mit einem geheimnisvollen Lächeln.

Sie plaudern eine Weile – sie plaudern von Menja – und Cilgias Wangen röten sich in verhaltener Spannung.

Da hört man Pferdegetrappel, und „Hoch Engadin!“ jauchzt eine Stimme.

Melcher kennt sie. „Das ist der junge Flugi – ich reite!“

Und die Ader des alten Familienhasses schwillt an der starken Bauernstirne.

„Ihr könnt nicht,“ lacht ihn Cilgia aus, „ich habe Thomas Euer Pferd vor den Flecken auf die Weide führen lassen.“

„Dann habt Ihr mir also eine Falle gestellt,“ knirscht er.

„Nein, Konradin nur eine Gelegenheit verschafft, sich mit Euch auszusprechen! Ich möchte zweie glücklich sehen!“

Da führt Pfarrer Taß auch schon Konradin von Flugi herein. „Da bringe ich den Dichter und Tröster des Engadins,“ lacht der Pfarrer gemütlich.

Groß war die Freude Cilgias und Konradins – Melcher aber hielt sich abseits, mißtrauisch betrachtete er den Ankömmling.

Die Züge Konradins von Flugi waren von männlicher Reife, die nachlässige Haltung von ehemals nicht mehr an ihm, seine Gestalt hatte sich aufgerichtet, das Gesicht verfeinert, aber was er auch in den diplomatischen Kanzleien von Paris und Neapel erlebt haben mochte – er war jeder Zoll ein Engadiner geblieben.

Etwas Gesundes, Braves, Treuherziges strömte aus Auge, Wesen und Wort des Mannes.

Das spürte Melcher mit wachsender Achtung. Er reichte ihm aber die Hand nur kühl und fragte fast gleichgültig: „So, Ihr kommt also wieder in unser menschenleeres St. Moritz?“

Es lag wie eine Anspielung, wie ein Vorwurf gegen den Landammann, darin. Im Gesicht Konradins zuckte es, und er hielt die Hand Melchers fest.

„Zwei Dinge haben mich heimgetrieben – die Sehnsucht nach den Augen Eurer Menja – und die Not des Engadins.“ sprach er ruhig. „Melcher, ich bitte um die Hand Eurer Menja!“

Das klang so warm und ehrlich – aber Welcher antwortete düster: „Damit der Landammann sie beleidigen kann!“

Eine dunkle Röte flog über das Gesicht Konradins – erst nach ein paar Augenblicken sagte er bewegt:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0778.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)