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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

fühlte nach seinem Puls. Wenige Minuten später schlummerte er ohne Kampf, ohne Seufzer in die Ewigkeit hinüber.

In dem heute noch unverändert erhaltenen Sterbezimmer auf Mount Vernon hängt an der Wand ein unscheinbares Zeitungsblättchen, eine Nummer des New Yorker „Mercantile Advertiser“ vom 21. Dezember 1799, welcher den Tod Washingtons mit folgenden erschütternden Worten beklagt: „Wir empfinden eine Trauer, die unsere Sprache nicht beschreiben kann, wenn wir auf die bedrückende Nachricht zurückblicken, daß am Sonnabend, dem 14. dieses Monats, auf seinem Sitze Mount Vernon in Virginien plötzlich starb

George Washington
Generalleutnant und Oberbefehlshaber der Armeen der Vereinigten
Staaten von Amerika.
Eine korinthische Säule im Tempel der Unsterblichkeit.
Reif an Jahren, bedeckt mit Ruhm, reich an Zuneigung des amerikanischen Volkes.

Leser, wo immer du bist, in welchem Teile der Erde du wohnst, beweine mit uns den Tod des Freundes der Freiheit, des Erlösers unseres Landes, des Verteidigers unserer Rechte, des Kriegers, des Staatsmannes und des bescheidenen Bürgers, welcher niemals in seiner Pflicht abwich vom Pfade der Wahrheit, niemals sich ungebührende Macht anmaßte in den Stellungen, die ihm gegeben waren; dessen Handlungen stets zum allgemeinen Wohle beabsichtigt waren von seinen frühesten Tagen bis zum Ende seiner Zeit …. Im Felde, im Kabinett, als einfaches Glied der Gemeinde – überall gebot er Achtung und Bewunderung; in jedem Sinne des Wortes war er ein Mann, wie ihn ähnlich wieder zu sehen uns niemals erlaubt sein wird; ein Mann, dessen Tugenden in immerwährender Erinnerung bleiben werden.“

Mit diesen letzten Worten hat die Zeitung nicht zu viel gesagt. Mit seinem Namen wurden die Bundeshauptstadt, sowie einer der herrlichsten Staaten der Union und zahlreiche Grafschaften benannt. Washingtons Geburtstag ist der erste der vier nationalen Feiertage. Zu seinen Ehren wurden die stolzesten Denkmäler errichtet und mit einem Motto geschmückt, wie es schöner nie ein König empfing: „First in war, first in peace, and first in the hearts of his countrymen“ – „Der Erste im Kriege, der Erste im Frieden und der Erste im Herzen seiner Landsleute“.


Gefälschte Briefe.

Ein Bild aus deutscher Geschichte.
Von Rudolf von Gottschall.

In dem roten Zimmer, dicht beim weißen Saal des Berliner Schlosses waren die Mitglieder des Tabakskollegiums versammelt. König Friedrich Wilhelm I hatte die Sitzung verlassen, um bei der Königin das Abendessen einzunehmen. Das dauerte nicht lange – Schinken und Grünkohl, sein Lieblingsgericht, war rasch verspeist, und wenn die Königin Sophie Dorothea ihre hoffärtige Laune hatte, so flüchtete der König bald vor den Nadelstichen, mit denen dann die Hannoveranerin ihrem ehelichen Tyrannen zuzusetzen pflegte.

Im Tabakskollegium herrschte aber nicht die übliche Lustigkeit, wenn auch die große silberne Bierkanne, aus welcher das Bier mittels eines Hahns in die Krüge und Deckelbecher eingelassen wurde, heute wie immer ihre Schuldigkeit gethan hatte.

Der Generalleutnant von Grumbkow stand nachdenklich und musterte die blauen Teller, die auf hohem Gestell in holländischer Sauberkeit blinkten, dann sagte er zu seinem am Tische sitzenden Nachbar, dem Herrn von Blankensee:

„Der König ist heute sehr verstimmt, was mag vorgefallen sein?“

„Er ist’s schon seit mehreren Tagen,“ erwiderte dieser; „Kammerdiener Eversmann, den ich darüber befragte, natürlich mit dem nötigen Nachdruck, meint, er hätte einen sehr unangenehmen Brief erhalten, und dabei thue er so geheim, man könne nichts ausspionieren!“

„Ei, der Blitz, wenn schon Eversmann nichts weiß, dann ist’s ein Staatsgeheimnis, das keiner von uns herausgraben wird.“

„Ist auch nicht nötig, Blitzpeter,“ sagte mit rauher Stimme der riesige Obrist und Hofjägermeister von Haake, „man muß seine Nase nicht in alles stecken!“

„Wer aber vom Wetter abhängig ist,“ versetzte Buddenbrock, ein freundlicher Herr mit sanften Zügen, „der sieht doch nach, wo die Laubfrösche sitzen. Das ist sicher, der König ist in diesen Tagen sehr streng und verdrossen, und es ist nicht ratsam, ihm in den Weg zu kommen. Heute schon hat er in aller Frühe den verschlafenen Thorschreiber des Potsdamer Thors aus dem Bett geprügelt, weil dieser die Bauern vor dem Thore lange warten ließ. Wenn er so früh aufsteht, da hat er keine Ruhe, da ist’s nicht geheuer! Und später hat er, wie Eversmann erzählt, einen Juden auf der Straße durchgeprügelt, der vor ihm Reißaus genommen hatte, weil er gar so grimmig aussah. Der König setzte ihm nach, holte ihn ein, und als der Handelsmann erklärte, er habe sich vor dem König gefürchtet, erhielt er die Stockschläge und zu diesem Rezept zugleich die Gebrauchsanweisung: ,Lieben, lieben sollt ihr mich, nicht fürchten!‘ Uns hier in der Tabagie ist es ja leicht gemacht, ihn zu lieben. Doch draußen auf der Straße geht er umher wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge.“

„Sie sprechen sich um den Kopf,“ sagte Derschau mit seiner lauten, soldatischen Kommandostimme. „Sie haben zuviel in der Bibel gelesen; dergleichen liebt der König nur, wenn er in die Kirche geht.“

Jetzt trat zu Grumbkow ein stattlicher Kriegsmann mit feurigem Blick und Wesen, zu dem die anderen mit einem gewissen Respekt aufsahen: es war der Feldmarschall Fürst Leopold von Dessau, der sich in den Franzosenkriegen reiche Lorbeeren geholt hatte, ein Held wie Prinz Eugen, mit dem er zusammen die großen Schlachten geschlagen, ein Heeresmeister wie kein zweiter, Erfinder des eisernen Ladestockes und des Gleichschritts der Kolonnen, doch nicht allzu beliebt in diesem Kreise.

Sein barscher, soldatischer Ton übertrumpfte noch die rauhe Kasernensprache eines Derschau und Haake, und außerdem konnten es ihm viele nicht verzeihen, daß er als Fürst eine Bürgerliche, eine Apothekerstochter, geheiratet hatte.

„Schwere Not,“ sagte der Dessauer zu Grumbkow, dem treuherzig dreinblickenden, schlauen Berater des Königs, „ich möchte nur wissen, wer meinem Vetter das Konzept verrückt hat! Vorgegangen ist da etwas; doch wenn man anklopft – er muckt gar nicht auf! Bin doch ein alter, lustiger Kamerad von ihm; haben manche tollen Streiche zusammen gemacht in früheren Tagen! Heut’ möcht’ ich ihn nicht daran erinnern; doch hab’ ich mir einen Spaß ausgedacht! Wenn der Gundling kommt, um aus den Zeitungen vorzulesen, da wollen wir dem einen Streich spielen, der die üble Laune des Königs verscheuchen soll – oder – er ist unheilbar!“

Laut schwirrten die Gespräche durch das Zimmer, doch als der König eintrat, verstummten sie. Das war sonst nicht der Brauch; im Gelärme und in dem Tabaksqualm fühlte sich der König wohl, wie ein Soldat im Pulverdampf und Kanonendonner der Schlacht. Das wußte seine Umgebung, und die Herren ließen sich vor ihm gehen! In der That beunruhigte das ungewohnte, ehrfurchtsvolle Schweigen den König und er warf, ehe er sich setzte, einen mißtrauischen Blick auf seine Tischgenossen.

König Friedrich Wilhelm I war damals dreißig Jahre alt; er hatte noch nicht die unförmige Dicke, wie in seinen letzten Lebensjahren; er war ein stämmiger Herr, sein Kopf steckte etwas in den Schultern, seine Züge zeigten oft einen raschen Farbenwechsel; vorherrschend war die dunkle Röte, das Zeichen eines zornigen Temperaments. Das Bambusrohr in seiner Hand war

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0784.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2023)