Seite:Die Gartenlaube (1899) 0817.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

In der Christnacht.

Novellette von Anna Ritter. Mit Illustrationen von Werner Behme.

Achtung …!“ Der kleine, verwachsene Postbote schob keuchend den schweren Kastenwagen vor sich her. Jetzt um die Weihnachtszeit war’s kein Vergnügen, in Berlin bei der Post zu sein! Das ging von früh bis in die Nacht hinein, Trepp auf, Trepp ab, kaum, daß man mittags sein bißchen Essen hinunterschlingen konnte; dazu die kranke Frau daheim und keinen, der sie ordentlich versorgte.

Mit plötzlichem Ruck klappte er den Deckel zurück und belud sich mit Paketen.

Berger … Berger … Berger! Drei Stück! Der konnte lachen, dem hatte Mutter ordentlich ’was eingepackt, um ihm die einsame Junggesellenweihnacht zu versüßen. Schwer atmend stieg der Mann mit seiner Last die drei teppichbelegten Treppen des feinen Hauses hinauf und klingelte.

„Für – Herrn Assessor.“

„Klopfen Sie nur dort an, der Herr Assessor sind zu Hause,“ sagte Dorchen, das Hausmädchen, und trat zurück, um den Alten vorbei zu lassen.

Ja, der Herr Assessor „waren“ zu Hause. Er hatte sich seinen bequemen Hausrock angezogen, eine feine Havanna angesteckt und schritt, mit einem brennenden Tannenzweige wedelnd, im Zimmer auf und ab.

Das riecht so weihnachtlich, meinte er, beinahe wie bei Muttern.

Bei dieser Beschäftigung überraschte ihn der kleine Postbote, der ihn schon von früheren Gelegenheiten her kannte.

„Hier bring’ ich die Bescherung für den Herrn Assessor,“ sagte er, mit pfiffigen Augen umherblickend. „Drei große Pakete von zu Haus! Ja, wer’s so haben kann!“

Und dann strich er schmunzelnd das außergewöhnliche Trinkgeld ein und nahm mit spitzen Fingern eine Cigarre aus dem Kasten, der ihm freundlich hingehalten wurde.

„Na, dank’ auch schön und vergnügte Feiertage!“ –

Herr Assessor Adolf Berger schob die Pakete einstweilen beiseite. Erst mußte das ganze Zimmer einen festtägigen Anstrich haben, dann wollte er „aufbauen“.

Ueber den Sofatisch hatte er eine weiße Serviette gebreitet, und darauf stand, mit ein paar bunten Glaskugeln behängt, eine kleine Fichte. Ziemlich kümmerlich, wenn er an den Lichterbaum daheim dachte, aber immerhin ein Christbaum, ohne den es für ihn nun einmal kein Weihnachtsfest gab.

Neben dem Bäumchen stand ein weißer Wachsstock, von dem der Assessor mit dem Taschenmesser regelmäßige Endchen abschnitt, denn die Antipathie gegen die gefärbten Paraffinkerzchen war vom Vater auf ihn übergegangen. Wachs mußte es sein, echtes Bienenwachs, das gab dann mit Pfefferkuchen, Punsch und Tannennadeln zusammen jenen unbeschreiblich wundervollen Weihnachtsduft, der die Erinnerung an – ja, an vierundzwanzig selige Weihnachtsfeste in ihm weckte, denn auf die ersten vier seines Lebens konnte er sich beim besten Willen nicht mehr besinnen.

Jetzt waren die Lichtchen alle befestigt. Was noch herumlag, wurde mit schnellem Griff in eine Schublade geworfen, in der schon allerlei bunter Kram friedlich nebeneinander hauste. Dann rückte der Herr Assessor den großen Sorgenstuhl vom Fenster neben den Christbaum, steckte die Flamme unter dem Wasserkesselchen an, stellte den Punschextract daneben, und nun konnte die Geschichte losgehn! –

Es ist ein eignes Ding um eine einsame Weihnacht. Und wenn es einem das ganze Jahr über noch so wohl unter Fremden ist, am Heiligabend will das Herz etwas Liebes, Vertrautes haben, irgend ein altes Gesicht, das auf die Frage „Weißt du noch?“ mit stillem Nicken antworten, oder ein junges, das von künftigen Christfesten mitträumen kann.

Assessor Berger war eine frische, fröhliche Natur, jeder Sentimentalität abhold, und so hatte er, ohne sich lang’ zu besinnen, die Vertretung eines verheirateten Kollegen übernommen, der kürzlich herversetzt war und für die Festtage gern zu seiner Familie reisen wollte. Nun, da er sich in seinem stillen Zimmer umsah, verwünschte er fast die unzeitige Gutmütigkeit, und er hob mit einem kleinen Stoßseufzer das erste der Pakete auf, das sie ihm daheim eingepackt hatten.

„Flach und lang …“ meinte er mit Kennerblick, „werden wohl die gewünschten Oberhemden sein! Wenn sie nur nicht wieder aus der Weste herausrutschen wie die vorigen, ‚selbstgenähten‘, die mich fast zur Verzweiflung gebracht haben …“

Kurz entschlossen schnitt er den Bindfaden entzwei und hob den Pappdeckel ab.

„Nanu?“ Ziemlich betreten starrte er auf den Inhalt der Schachtel: zwei Paar derbe, handgestrickte Strümpfe von einer unheimlichen Länge und abnorm kleinen Füßen, sechs mit „K“ gezeichnete Taschentücher … „Ich heiße doch Adolf!“ – und dann –

Er war ganz rot geworden und deckte etwas Weißes, Spitzenbesetztes diskret wieder zu – „das waren doch bei Leibe keine Oberhemden!“

Neben den Taschentüchern lag ein verschlossener Brief. „Für mein liebes Kind“ stand darauf geschrieben. Es mußten alte Hände und Augen gewesen sein, die diesen Brief zustande gebracht hatten, denn die Schrift war zitterig und die Linien schief.

Noch immer hielt er den fremden Brief in den Händen und sah gerührt die einfachen Worte an: „Für mein liebes Kind.“ Dann legte er die bescheidenen Herrlichkeiten sorgsam wieder zurecht und griff nach der Paketadresse.

„Fräulein Klara Berger.“

„Mein Gott, wie unangenehm! Wie ist solche Verwechslung

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 817. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0817.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)