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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

keinen Augenblick, den Herrn von Heidekamm, den Residenten Lehmann und den Sekretär Bube preiszugeben. Genossen im Unglück zu haben, ist ja eine stille Genugthuung. Doch diese Bereitwilligkeit des Delinquenten hatte zur Folge, daß über Berlin eine Schreckensherrschaft heraufbeschworen wurde.

Der König geriet in hochlodernden Zorn über die Untreue seiner Beamten; morsch und angefressen erschien ihm der ganze Staat, alle, die höchsten wie die geringsten, verdächtig. Heidekamm und Lehmann hatten Angaben gemacht, durch welche viele angesehene Würdenträger, Hofherren und Edelleute schwer beschuldigt wurden. Jetzt ging der König ans Werk, das ganze Nest auszuheben. Wie der Sturmwind, der an den Dächern und Fenstern rüttelt, fegte des Königs Zorn durch Berlin. Es war einer der unheimlichsten Tage, die Berlin je erlebte; der König ließ alle Thore schließen; selbst die Bauern, die in die Stadt gekommen waren, um ihr Getreide zu verkaufen, durften nicht wieder hinaus.

Patrouillen durchzogen bei Tag und Nacht die Straßen; einmal stellte sich der König selbst an die Spitze und leitete eine Haussuchung und Verhaftung. Personen, die bis vor kurzem noch an des Königs Tafel gespeist hatten, mußten nach Spandau wandern, wo die Kasematten sich überfüllten.

Ein Tag des Zorns! Nur wenn er mit durch die Straßen patrouillierte, konnte der König dem Ingrimm, der ihn zu ersticken drohte, Luft machen; jedes Opfer, das seine Soldaten packten, war ihm wie eine Herzenserleichterung.

Indessen wirkten auch die stillen, staatsrettenden Mächte mit besonderem Eifer: die Geheimräte des schwarzen Kabinetts, das unter Herrn von Katsch stand, waren in fieberhafter Thätigkeit; alle Briefe, die ins Ausland gingen, wurden erbrochen, so auch ein Brief der Frau von Blasspiel an den sächsischen Minister Flemming. Das war ein köstlicher Fund für den Dessauer; damit konnte er seine Feindin vernichten. Er verabredete mit Katsch, daß dieser den Brief dem Könige überbringen solle, während der Fürst zugegen war. Und so geschah’s! Der Brief mit den energischen Schriftzügen der schönen Dame hatte einen ebenso energischen Inhalt: sie beschwerte sich über das grausame und tyrannische Verfahren gegenüber Clement und beklagte das Geschick derjenigen, welche jetzt leben mußten, wo die Zeiten Neros und Caligulas zurückgekehrt seien. Der König fuhr auf wie von einer Natter gestochen.

„Ruft mir das Weib her, sogleich! Sie soll nicht erst Toilette machen, ich werde schon dafür sorgen, daß sie ordentlich angekleidet wird, wie die Gevatterinnen im Spinnhaus!“

Und Frau von Blasspiel erschien, stolz und hoheitsvoll wie immer, und sah mit verächtlichem Blick auf den Dessauer und Grumbkow.

„Habt Ihr das geschrieben?“ rief der König, indem er ihr den Brief an Flemming zeigte.

„Ja, Majestät!“

„Ich wundere mich, daß man in den Gemächern der Königin das Erröten verlernt hat!“

„Ich erröte nicht, die Wahrheit zu sagen. Ihr Verfahren gegen Clement, Majestät, ist grausam und despotisch, würdig der Ratgeber an Ihrer Seite. Fürchten Sie die Verräter, die Ihnen und dem Kronprinzen nach dem Leben trachten; man will Sie beide während der Vorstellung der Seiltänzergesellschaft, deren Leistungen so oft den künstlerischen Sinn Eurer Majestät entzückte, aus dem Wege räumen; im Theater und im Schloß soll gleichzeitig eine Feuersbrunst angelegt, der Markgraf von Schwedt auf den Thron gesetzt werden. Der Fürst Leopold behauptet, der Armee sicher zu sein.“

Der König erblaßte – wiederum das alte Märchen, und diese gefährliche Schlange umzüngelte ihn jetzt, nachdem er die andere kaum abgeschüttelt! Fürst Leopold ballte die Faust gegen das Weib, aller Galanterie vergessend. Doch Katsch trat vor mit strenger Miene: „Beweise, Beweise!“

„Für so schändliche Verleumdung!“ rief Grumbkow.

„Juristische Beweise verlange ich,“ sagte Katsch, „sonst sollen Sie Ihre Lügen eingestehen! Sie sind reif für die Folter, Madame!“

„Gewiß, Nero und Caligula hatten ihre Henkersknechte stets zur Hand!“

Da schoß das Blut dem Könige ins Gesicht – purpurrot, ein fast schreckhafter Anblick. Er erhob die Hand wie zum Schlag – langsam ließ er sie sinken.

Frau von Blasspiel wurde sogleich nach Spandau abgeführt.

Und doch war des Königs Glaube an Clements Schuld durch ihre Mitteilungen wiederum erschüttert worden. Er wollte um jeden Preis Klarheit haben. Er hatte schon früher ein Kabinettsschreiben an den Prinzen Eugen geschickt, in welchem er ihn von den Beschuldigungen unterrichtete, die gegen ihn vorgebracht worden waren. Zwar wurde erklärt, daß man denselben nicht glaube, doch schien dies mehr eine Höflichkeitswendung zu sein; der Ton des Schreibens war sehr herausfordernd. Auch an den König August von Sachsen-Polen war ein solches Schreiben ergangen und ihm bedeutet worden, daß er sich anderer Organe als der bisherigen bedienen müsse, wenn er mit dem König von Preußen verhandeln wolle. Jetzt schickte Friedrich Wilhelm seinen Adjutanten von Brock nach Dresden und Wien, um Klarheit in diese unselig verwirrte Angelegenheit zu bringen. An beiden Orten wurde die Anklage entschieden zurückgewiesen.

Prinz Eugen erklärte, er stehe an der Spitze des kaiserlichen Kriegsheeres, doch mit Banditen habe er nichts zu schaffen. Es sei wahr, Clement habe eine Zeitlang in seinen Diensten gestanden, aber er habe nie einen Brief an ihn geschrieben, die Handschrift sei gefälscht. Und ähnlich lautete der Dresdner Bescheid. Der König mußte begütigende Schreiben an beide Höfe richten, in denen allerdings wiederum auch nur zu seiner Entschuldigung die Wahrscheinlichkeit der ihm gemachten Mitteilungen hervorgehoben wurde.

Doch merkwürdigerweise war er selber noch immer nicht überzeugt: er verfiel bisweilen wieder in seine früheren Zweifel. Da griff der ungerechte Richter aufs neue zu seinem Gewaltmittel, der Folter, mit welcher er auch so galant gewesen war, die Frau von Blasspiel zu bedrohen: Clement sollte in Gegenwart des Königs dessen Handschrift kopieren, und wenn er dabei nicht seine ganze Kunst aufbot, so sollten die Henker ihm etwas zu Hilfe kommen. Doch Clement zögerte nicht, von seiner Geschicklichkeit eine glänzende Probe zu geben. Der König war aufs äußerste überrascht, als er die Handschrift Clements von der seinigen gar nicht zu unterscheiden vermochte. –

Die Untersuchung nahm ihren Fortgang. Das Gericht mußte den ungarischen Edelmann nach seinem eigenen Geständnis als Staatsverbrecher zum Tode verurteilen. Der König wollte ihn begnadigen; er sei ein Ausländer, nicht wie die anderen in seinen Diensten gewesen. Der Fürst Leopold und Grumbkow erklärten, daß der Kaiser von Oesterreich und der König von Polen mit Recht eine volle Satisfaktion verlangten, und so stand der König ab von seinem Vorhaben.

Doch eine unerklärliche Sympathie zog ihn immer wieder zu dem nunmehr verurteilten Verbrecher. Und so begab sich das merkwürdige Schauspiel, daß er alle Tage nach Spandau zu einem Plauderstündchen mit ihm fuhr und sich von ihm allerlei aus seinem bewegten Leben erzählen ließ. Clement, obschon dicht vor einem schmachvollen Tode stehend, hatte nichts von seiner bestrickenden Liebenswürdigkeit verloren und wie einem guten Kameraden teilte er dem König aus dem Schatze seiner Erinnerungen allerlei Wichtiges und Ergötzliches mit.

Der König war dankbar dafür und sagte ihm mit aufrichtigem Bedauern: „Könnte ich Euch retten, so machte ich Euch zum Geheimen Rat; so aber muß ich Euch rädern lassen!“

Doch er milderte das Urteil und ließ es beim Galgen bewenden. Lange schob er die Vollstreckung hinaus, als könnte noch irgend etwas dazwischen kommen, was dem Delinquenten Rettung brächte, doch er mußte dem Drängen seiner Umgebung nachgeben, und so wurde am 18. April 1720 das Urteil an Clement vollzogen.

Heidekamm wurde auf dem Neumarkt schimpflich des Adels entsetzt, Lehmann vor dem Spandauer Thore hingerichtet. Bube hatte sich im Gefängnis selbst ums Leben gebracht und die Blasspiel saß im Spinnhause. Clement wurde auf dem Armensünderkarren an das Spandauer Thor gefahren und unterwegs mit glühenden Zangen gezwickt, eine Verschärfung der Strafe, welche des Königs Gnade nicht beseitigt hatte. Doch kein Schrei des Schmerzes kam von seinen Lippen bei diesen zerfleischenden Brandwunden; er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0828.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)