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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

(bis 1740 reichend) vorliegen. Von unterhaltend belehrenden neuen Büchern, die sich zu Christgeschenken eignen, schildern nicht weniger als drei: Reisen um die Erde. „Um die Erde. In Wort und Bild“ betitelt unser Mitarbeiter Paul Lindenberg seine anschaulichen frischen Schilderungen, welchen zahlreiche Illustrationen beigegeben sind (Berlin, F. Dümmlers Verlag). Wilhelm Brand, ein anderer geschätzter Mitarbeiter, berichtet nicht minder lebendig von seiner „Reise um die Welt“ (Leipzig, B. Elischer Nachf.). Nach Tagebüchern und mit 46 Illustrationen des Korvettenkapitäns E. Kohlhauer hat H. de Méville den Band „Um die Erde mit S. M. S. ‚Leipzig‘ zur Flaggenhissung in Angra-Pequena“ (Berlin, K. Siegismund) herausgegeben. Von den „Wanderungen durch die deutschen Gebirge“ bietet Karl Kollmann den 3. Band: „Von der Elbe bis zur Donau“ dar (Köln, P. Neubner). Die lebendigen Schilderungen sind durch 38 Vollbilder ergänzt. Von allen Freunden Italiens wird ein neues Werk gern begrüßt werden, das uns die Wunderwelt und die Wirklichkeit des alten viel gepriesenen Kulturlands jenseit der Alpen mit frischer Begeisterung und dabei gründlicher Sachkenntnis schildert: Friedrich NoacksItalienisches Skizzenbuch“ (Stuttgart, Cotta).

Von den uns vorliegenden größeren Illustrationswerken sind die „Illustrierte Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts“ (Stuttgart, Union Deutsche Verlagsgesellschaft), die in Lieferungen erscheint, und die Bildermappe „Deutschlands Ruhmestage zur See“ von Hans Petersen erst kürzlich in der „Gartenlaube“ besprochen worden. Die „Lichtbild-Studien“ von Alfred Enke, welche in eleganter Mappe 30 Heliogravüren umfassen (Stuttgart, Union), sind ein glänzender Beweis für die Vollkommenheit dessen, was die vorgeschrittene photographische Technik im Dienste einer wahrhaft künstlerischen Auffassung und Ausübung zu leisten vermag. Das Resultat der Lichtbild-Studien Alfred Enkes ist ein Prachtwerk von echtem Kunstwert; Anmut und Schönheit in reizvollem Wechsel labt das Auge beim Betrachten dieser Landschaften und Genrebilder. Sehr originell wirkt die von Heinrich Lefler im Rokokogeschmack und mit köstlichem Humor illustrierte Ausgabe von Andersens Märchen „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ (Wien, Gesellschaft für vervielfältigende Kunst). Gleichzeitig bietet der Verlag von Paul Neff in Stuttgart den zahllosen Verehrern von Andersens Märchen eine Prachtausgabe derselben, mit zahlreichen ganz reizenden Illustrationen von Hans Tegner, einem Landsmann des Dichters. Die Märchen sind neu übersetzt von Pauline Klaiber. „Sang und Klang im neunzehnten Jahrhundert“ ist der Titel eines schön ausgestatteten großen Bandes, welcher eine Auswahl der schönsten Kompositionen der hervorragendsten Meister unseres Jahrhunderts vereinigt, eine orientierende Einleitung von Hans Merian mit 18 Porträts ist denselben vorangestellt (Berlin, Verlagsanstalt Pallas). Echte Christfeststimmung atmet das zweiaktige Weihnachtsstück „Beerenlieschen“ von A. Danne (Weimar, J. Sernau), dessen ansprechende Musik von K. Goepfart gewiß gern überall, wo man gute Hausmusik pflegt, willkommen geheißen wird.

Das Weihnachtsfest der Wiener im Jahre 1227. (Zu dem Bilde S. 821.) Geschichtschreiber und Poeten haben das goldene Zeitalter Wiens unter der Regierung des glorreichen Babenberger Herzogs Leopold VII begeisterungsvoll gepriesen. Dieser edle Fürst, der „Vater des Vaterlandes“, der im Sängerkrieg auf der Wartburg „die Sonne deutscher Lande“ genannt und dessen Hofhaltung mit König Artus’ Hof verglichen wurde, erhob sein geliebtes Wien in einer dreißigjährigen Friedensepoche zu Macht und Ansehen. Er gab den Wienern weise Gesetze, war ihnen stets ein milder, wohlwollender Herr und beschützte die Künste des Friedens, sowie das Handwerk und den Warenaustausch mit fernen Ländern. Dadurch zog ein bisher ungekannter Wohlstand in die Donaustadt ein und mit dem Wohlstand die Freude, die der daseinsfrohe, sangeskundige Wiener gar bald zur höchsten, anmutigsten Lebenskunst auszubilden wußte. Die herrlichen Fruchtgelände ringsum spendeten dem emsigen Fleiße ihrer Bebauer reichlichen Segen; aus allen Teilen der Erde kamen Kaufleute, welche die Sicherheit des Verkehrs und die Gastfreundschaft der Stadt zu schätzen wußten, und brachten herrliche Gebilde der Kunst, schwere Brokatgewänder und zierlichen Schmuck unter die reiche Bürgerschaft. Dadurch wurde der Stolz und die Prachtliebe der Wiener noch gehoben, und die Reimchroniken wissen für die Festlust jener Tage nicht genug der preisenden Worte zu finden. Auf den gottbegnadeten Sänger Walther von der Vogelweide machte dies Leben voll verfeinerter Kultur einen so tiefen Eindruck, daß er gestand, am Herzogshof „ze Wienne“ erst „singen und sagen“ gelernt zu haben. Von Leopold dem Glorreichen sang er:

„Sein Lob ist nicht ein Loblein: er mag, er hat, er thut.“

Von diesem volksgeliebten Herrscher erzählen die Chroniken, daß ihn einstmals im Alter die Lust anwandelte, das schöne Christfest inmitten seiner Wiener zu begehen. Er kam aus seiner Burg, die erst jüngst an der Stelle hingebaut war, wo sie auch heute noch steht, und ritt auf seinem Zelter durch die verschneiten Straßen der Stadt. Die Fenster der Häuser strahlten in festlichem Lichterglanz und allenthalben war ein geschäftiges Drängen zu sehen. Und als sich mit Windeseile die frohe Nachricht verbreitete, daß der geliebte Herr in ihrer Mitte weile, da strömten die Wiener aus ihren Häusern und umringten ihn mit freudigem Gejauchze und drängten sich herzu, ihm Hände und Füße oder den Saum seines Kleides zu küssen. Bald hatten sich auch die Zünfte eingefunden und kamen in feierlichem Aufzug herbei, um dem Herrscher durch Ueberreichung von Christgeschenken aller Art zu huldigen. Der edle Fürst war tiefgerührt von all diesen herzlichen Zeichen der Liebe und Verehrung. Diesen Augenblick hat der Maler Heinrich Lefler in seinem Gemälde, das eines der Wandfresken des neuen Wiener Rathauskellers bildet, festgehalten. Die Komposition ist äußerst sorgfältig durchgeführt. Die eine Hälfte des Bildes nimmt die hoheitsvolle Gestalt des greisen Herzogs ein, der, in einen langen Hermelinmantel gehüllt, die Huldigung seiner treuen Wiener gerührt entgegennimmt. Er ist von seinem schlohweißen Zelter abgestiegen und richtet an den vor ihm knieenden Bürgermeister ernste Worte des Dankes, aber auch der Mahnung, welche die Umstehenden ernst und feierlich stimmen. Die weiße Schneedecke hebt die Farbenwirkung des schön gruppierten Bildes. B. Ch.     

Zum Jubiläum des Lieds von der Glocke. Von allen lyrischen Schöpfungen Schillers ist das „Lied von der Glocke“ wohl das volkstümlichste, großartigste und wirkungsreichste. Es wurde vom Dichter vor hundert Jahren im Jahrgang 1800 des Cottaschen Musenalmanachs zuerst veröffentlicht. Schiller war damals Redakteur dieses für die Blütezeit unserer klassischen Litteratur so bedeutsamen Unternehmens, in welchem auch seine schönsten Balladen gleich denen Goethes zuerst an die Oeffentlichkeit traten. Das Lied von der Glocke bildet den Schluß in dem Musenalmanach für 1800; gleich einem Gruß an das nahende neue Jahrhundert wirkte es damals auf die deutsche Welt. „mit der Freude Feierklange“ das Evangelium des Friedens verkündend. Als das Hohelied des deutschen Familienlebens hat es seitdem von Geschlecht zu Geschlecht seinen Segen entfaltet; für das süße Hoffen der ersten Liebe, für das Walten der Hausfrau im häuslichen Kreise, für das Ringen des Mannes mit dem feindlichen Leben hat in unzähligen jungen Seelen das Lied von der Glocke das erste ahnungsvolle Verständnis geweckt.

Diese Dichtung war nicht, wie Schillers Lied „An die Freude“, das Werk einer unmittelbaren Inspiration. Lange hat sich der Dichter mit dem Plan für sie herumgetragen. Wie seine Schwägerin Karoline v. Wolzogen erzählt hat, verdankte er die Idee zu dem Plan der Zeit, in welcher er der glückliche Bräutigam seiner Lotte war. Im Jahre 1788, das dem Dichter die Berufung zum Professor der Geschichte nach Jena brachte, wohnte er im Sommer in dem Dorf Volkstedt bei Rudolstadt in innigem Verkehr mit der Familie v. Lengefeld. Vor den Thoren von Rudolstadt lag eine Glockengießerei. Er besuchte sie öfter, „um von diesem Geschäft eine Anschauung zu gewinnen“. Der Weg führte über blühende Wiesen. „Das Schönste sucht er auf den Fluren, womit er seine Liebe schmückt“ – dieser Vers ist ein Nachhall jener Tage. Mehr als zehn Jahre dauerte es, bis der Plan zur Ausführung kam. Andere größere Aufgaben lenkten ihn von ihm ab. Im Sommer 1797 schrieb er an Goethe, er sei jetzt an sein Glockengießerlied gegangen. Er fügte hinzu, daß er in Krünitzens Encyklopädie einen Artikel über den Glockenguß gefunden habe, von dem er sehr viel profitiere. Dort fand er auch die Notiz, daß auf dem Münster der Stadt Schaffhausen sich eine große Glocke befinde, welche die Umschrift trage: „Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango“. Diese Worte „Ich rufe die Lebenden, ich beklage die Toten, ich breche die Blitze“ wirkten sehr anregend auf Schillers Phantasie – sie wurden zum Motto der Dichtung. Aber noch zwei Jahre dauerte es, bis die „Massen“ der poetische Vorstellungen, die das Thema in ihm geweckt hatte, „in Fluß“ gerieten. Die Arbeit am „Wallenstein“ nahm ihn zu sehr in Anspruch. Ein neuer Aufenthalt in Rudolstadt verhalf dann dem Plan zu seinem Recht. Am 30. September 1799 war das Gedicht vollendet. Als es im Musenalmanach erschien, begegnete es durchaus nicht allgemein der gebührenden Würdigung. Im romantisch gestimmten Kreis der Brüder Schlegel fand man diese Art lehrhafter Poesie zu prosaisch und machte sich lustig über sie.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0834.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2023)