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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Halbheft 27.   1899.


Der König der Bernina.

Roman von J. C. Heer.
(8. Fortsetzung.)
17.

Bescheiden wie erster Frühling begann nach der Gründung des Bades, als der engadinische Sommer wieder kam, etwas Kurleben in St. Moritz.

Der Sammelpunkt desselben war das Gasthaus des Dichters Konradin von Flugi und seiner sonnigen Hauswirtin Menja. „Mütterchen Menja“ nannten die Gäste die junge blonde Frau.

Die ersten Gäste waren der Seidenhändler Näf von Aarau, seine Frau, seine Tochter und seine zwei Söhne, eine wohlhabende Familie, die gekommen war, den Retter des Vaters zu begrüßen. Dazu gesellten sich einige Bürger von Chur, die der alte Ruhm der Wasser und die Neugier, das Bad von St. Moritz zu sehen, angelockt hatte, und etliche Tiroler Bauern, die die alte Sitte, nach der Heuernte eine Reise zum Brunnen von St. Moritz zu machen, nicht vergessen hatten. Weitab von den Ereignissen der Welt, oft wochenlang ohne jede Nachricht, was in den Ländern der Tiefe geschah, lebte der kleine Kreis, auf sich selber angewiesen, wie eine einzige Familie, bei Veltlinerwein, luftgedörrtem Fleisch oder dem Gemsbraten, den Markus Paltram, das Pfund um wenige Kreuzer, lieferte.

Eine reizende Kleine begleitete manchmal die alte Frau, die das Fleisch brachte – Jolande! Sie glich, das sagten alle Einheimischen der wilden Pia, sie war schmal und kraftvoll wie eine Gemse; aber es war doch nicht sie. Unter dem schönen Ansatz des dunklen weichen Haars glänzte eine freie reine Stirn und in den leuchtenden kirschschwarzen Augen war nichts Raubtierartiges.

Ein herbinniges, verschlossenes Kind war Jolande, schon mit ihren wenigen Jahren eine Schweigerin. Aber ihre Augen prüften und ihre Ohren horchten, sie horchten, was man von ihrem Vater spreche.

Sie hatte einen brennenden, ja krankhaften Stolz auf ihn, sie erbebte, wenn man von ihm redete.

Diese heiße, leidenschaftliche Art des Kindes, das sich doch schon selber zügelte, war das reizvollste an ihr.

Sie widersprach nicht, wenn sie etwas, was ihr nicht gefiel, von ihrem Vater hörte, aber die feinen schmalen Lippen spitzten sich – zuerst rührend schmerzlich – und dann zu einer Verächtlichkeit, wie man sie selten an einem Kinde gesehen. Wenn sie aber sprach, geschah es mit einem lieblichen Zauber der Stimme.

Und immer ging sie den Gästen Konradins zu früh.

„Jolande, willst du mit dem Vater auch einmal zur Jagd gehen?“ fragte der Wirt.

„Gewiß, an meinem zwölften Geburtstag darf ich die erste Gemse schießen!“

Junges Mädchen von Samoa.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 837. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0837.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)