Seite:Die Gartenlaube (1899) 0854.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Besuchsrunde sehr erleichterten, denn natürlich hatte ich mich doch ein wenig davor gefürchtet, zu den fremden Menschen hinzugehen. Ich war das nicht gewohnt. Bei uns zu Hause kamen die fremden Leute zuerst zu uns, da war es leichter, unbefangen zu sein. Die jungen Mädchen waren aber alle so lustig, freundlich und gar nicht steif, daß ich meine eigne Verlegenheit schnell vergaß. Sie freuten sich sämtlich sehr auf das Picknick und sagten, es würden auch viele nette Herren dabei sein, auch glaubten sie, es würde zuletzt getanzt werden.

Tanzen – himmlischer Gedanke!

Nur etwas war beinahe komisch. Alle der Reihe nach fragten: „Ist es nicht entzückend, bei Fräulein Karstadt zu Besuch sein? Ist sie nicht eine reizende Dame? Bei der wäre ich auch gern einmal Logiergast!“ Es wurde zuletzt fast ein wenig langweilig, immer dasselbe zu hören. Denn Tante Renate war ja reizend in ihrer Art, aber davon braucht man doch nicht immer zu sprechen.

Besonders ein junges Mädchen, ganz in meinem Alter, nicht hübsch, aber sehr nett, gefiel mir. Sie hieß Anna Elisabeth Rösingk und wurde von der Familie Anneliese genannt. Ich will hier nur gleich hinzufügen, daß wir uns schon am dritten Tage bei den Vornamen und Du nannten, und daß Anneliese dann meine zweitbeste Freundin, die gleich nach Reseda kommt, geworden ist.

Rösingks waren sehr reich. Jetzt im Sommer, vor und nach der Reisezeit, bewohnten sie eine wunderhübsche Villa am Strande mit einer Veranda und einem Garten; im Winter hatten sie eine Stadtwohnung.

Bei Rösingks war Tante auch zum nächsten Tage eingeladen, und Frau Rösingk wiederholte noch ganz besonders, sie würde sich sehr freuen, wenn ich mitkäme. Es schien ihr wirklich viel daran zu liegen, und ich hatte natürlich nichts einzuwenden.

Es war eine Nachmittagsgesellschaft, so eine Art Fünfuhrthee für Herren und Damen. Alles war eigentlich ganz wie in einer Kaffeegesellschaft, nur daß wir Thee bekamen und daß Herren zugegen waren. Diese letzteren waren alle nicht mehr ganz jung; es waren etwa fünf oder sechs, und drei von ihnen hatten ziemlich kahle Köpfe. Offen gesagt, fand ich es zuerst ein bißchen langweilig. Es wurde über neue Bücher, die ich nicht gelesen, und über Bilder, die ich nicht gesehen hatte, gesprochen, und niemand kümmerte sich um Anneliese und mich, die wir die beiden einzigen jungen Mädchen waren.

Als von den Bildern die Rede war, schienen sich alle dem Urteil eines Herrn unterzuordnen, der sich neben Tante gesetzt hatte und sie besonders oft anredete. Auch er war nicht mehr jung. Er sah aus, als könnte er schon gegen vierzig Jahre alt sein, aber sein Kopf war nicht kahl, sondern ganz voll ziemlich kurz geschorener, dunkler Haare. Auch sein kurz gehaltener dunkler Vollbart war erst ein klein wenig grau, und in seinen braunen Augen blitzte es manchmal ganz jung. Er hatte eine rasche Art, den Kopf zu wenden und einen plötzlich scharf anzusehen, die gar keinen ältlichen Eindruck machte, und seine Figur war schlank und stattlich. Von allen Herren gefiel er mir am besten. Natürlich war mir sein Name bei der Vorstellung genannt worden, doch hatte ich nicht weiter darauf geachtet.

Merkwürdigerweise schienen er und Tante immer einer Meinung zu sein, das heißt: Tante, die ja selbst sagte, daß sie von Malerei nichts verstände, fragte ihn immer um sein Urteil, und das schien sie dann ohne weiteres jedesmal für maßgebend zu halten, jedoch nur, wenn von Bildern die Rede war, bei anderen Dingen merkte man wohl, daß Tante Renate auch ihre eigne Meinung hatte. Er nahm es ihr auch gar nicht übel, und alt genug war sie ja dazu!

Uebrigens wußte ich immer noch nicht, wie alt Tante Renate eigentlich war. Zwar hatte ich auf meiner illustrierten Postkarte mich bei Mutter danach erkundigt, sie hatte aber gar keine Notiz von meiner Frage genommen, als sie antwortete.

Endlich sah wohl Frau Rösingk, wie schmählich Anneliese und ich uns langweilten; sie fühlte ein menschliches Rühren und schickte uns hinunter in den Garten, wo wir sehr bald ganz bekannt und vertraut miteinander wurden und uns sehr, sehr viel erzählten. Nur von Wulf Hegewisch sagte ich noch nichts, dazu war Anneliese mir doch noch zu fremd.

„Aber wer ist eigentlich der Herr, der so viel mit meiner Tante spricht?“ fragte ich so nebenbei.

„Der?“ rief Anneliese und machte begeisterte Augen – „wissen Sie nicht? Der ist ein berühmter Maler – wirklich berühmt! – Harrang heißt er. O, er malt himmlische Bilder! Noch vor kurzem ist hier eine Sonderausstellung von seinen Sachen veranstaltet gewesen – zu schön! Haben Sie von dem noch nicht gehört? Eigentlich wohnt er in München. Was er hier will, weiß ich nicht recht; seit vierzehn Tagen ist er hier. Wir haben ihn durch Ihre Tante kennengelernt, ich glaube, die kannte er ein wenig von früher her. Sonst ist er schwer zu haben, er liebt Gesellschaften nicht. Finden Sie ihn nicht reizend? Berühmte Leute sind doch immer zu interessant! Unverheiratet ist er außerdem auch.“

Ja, wenn er berühmt war! – Vorher wäre ich eigentlich nicht gerade darauf verfallen, ihn „reizend“ zu finden, sondern höchstens war er mir ganz nett vorgekommen, aber wenn er berühmt war –! Nun, da Anneliese es sagte, fand ich allerdings auch, daß er wirklich einen unbeschreiblich genialen und anziehenden Eindruck machte. Ich hatte immer so sehr gewünscht, einmal einen berühmten Künstler kennenzulernen, und ich empfand sofort den brennenden Wunsch, von ihm beachtet zu werden.

Vielleicht konnte ich ihn um einen Beitrag für meine Autographensammlung bitten, die gar nicht recht über die ersten Anfänge hinaus gedeihen wollte, obgleich ich schon an viele Schriftsteller und Künstler heimlich deswegen geschrieben und ihnen sogar Ansichtspostkarten übersandt hatte.

Nun thaten sich mir durch den Besuch bei Tante Renate ja allerhand ungeahnte Perspektiven auf! Was würden zu Hause meine Freundinnen sagen, wenn sie hörten, daß ich hier mit berühmten Malern verkehre!

Nach längerer Zeit, während welcher wir bald in dieser, bald in jener Laube gesessen oder uns in dem Boot, das unten am Strande angekettet lag und Rösingks gehörte, geschaukelt hatten – loslösen durften wir es nicht! – sagte Anneliese, jetzt würde wohl gleich das Eis gereicht werden, und wenn wir nicht leer ausgehen wollten, müßten wir nun auf die Veranda zurückkehren. Auch hatten wir uns jetzt so viel erzählt, daß es vielleicht uns beiden schien, als wäre es vorläufig nun genug.

Jedoch war es noch nicht spät genug für das Eis. Als wir wieder zu den übrigen zurückkehrten, schien gerade eine Pause im Gespräch eingetreten zu sein, und Frau Rösingk sagte: „Jetzt wäre ein bißchen Musik sehr angenehm,“ und dann so halb beiläufig zu mir: „Sind Sie musikalisch, Fräulein Lafrenz?“

Ich sagte Ja, ich spielte und sänge, und Frau Rösingk meinte, dann machte ich der Gesellschaft vielleicht die Freude, etwas vorzutragen. Nachher würden wir hoffentlich auch Tante Renate noch zu hören bekommen!

Tante Renate erhob einen Augenblick die Augen von ihrer Handarbeit, und fast sah es aus, als wenn sie, indem sie mich ansah, ganz leise den Kopf schüttelte, ich weiß nicht, warum. Doch mußte ich mich darin wohl getäuscht haben, denn sie sagte nichts und ließ mich ruhig mit Anneliese in das an die Veranda grenzende Zimmer gehen, zu dem die Thür offen stand, und in welchem sich das Klavier befand.

Ein Weilchen kramten wir in Anneliesens Noten, und ich entdeckte mehreres darunter, was ich kannte und singen konnte. So sang ich denn drei Lieder, von denen ich selbst fand, daß sie mir recht gut gelangen. Dann dachte ich, es möchte unbescheiden sein, unaufgefordert noch mehr zu singen, und ging auf die Veranda zurück, wo ich alle in lebhafter Unterhaltung begriffen fand.

Zu mir sagte niemand etwas, nur Frau Rösingk nickte mir freundlich zu und meinte: „Sehr hübsch, Fräulein Lafrenz, besten Dank! Sie haben wirklich eine niedliche, frische Stimme.“

„Ich hoffe, Helmi kommt vielleicht später einmal für längere Zeit her,“ sagte Tante Renate, „dann will ich ihr hier Stunden

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0854.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2023)