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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Tante trug ein hellgraues Sommerkleid und einen kleinen Kapotthut mit Rosen, und jeder, der mir ein Kompliment machte – und es thaten mehrere – fügte immer gleich hinzu: „Und Ihr Fräulein Tante sieht ja so jung und reizend aus, als wäre sie eine ältere Schwester von Ihnen.“

Ich kann nicht leugnen, das verdroß mich! Tante hatte doch ihre Zeit gehabt, jung und hübsch zu sein; jetzt war sie aber eine ältere Dame, selbst wenn sie nur ein- oder zweiunddreißig Jahre zählen sollte, und brauchte keine Komplimente mehr herauszufordern. Ich sagte so etwas zu Anneliese, mit der ich mich schon duzte, aber sie verstand mich gar nicht, sondern sagte ganz verwundert:

„Das kann uns doch einerlei sein, Helmi, wenn wir uns nur amüsieren!“

Nun ja – meinetwegen! Es ließ sich ja auch nicht leugnen: wir amüsierten uns. Alles, was jung war – wirklich jung, meine ich – rottete sich zusammen, sowohl zuerst bei der Bootfahrt, wie nachher im Walde. Wir bildeten eine eigene Kolonie, als sich alle zum gemeinsamen Mahl auf dem grünen Moose lagerten, und jeder Herr wählte sich eine Dame, deren Dienst er sich ganz weihte, um sie mit allem Nötigen zu versorgen.

Mich bediente ein hübscher junger Student, der Wulf Hegewisch ein wenig ähnlich sah. Er hatte solches Haar und ebenso weiße Zähne, aber nicht so hübsche Augen, war jedoch sehr nett und aufmerksam und sagte, ich wäre „wie eine Blume, so hold, so schön, so rein“, worüber ich natürlich lachte, obgleich ich glaube, daß er es so meinte.

Anneliesens Ritter war gerade der Herr, welchen sie sich heimlich gewünscht hatte, und sie strahlte deshalb vor Glückseligkeit.

In der Kolonie der Alten hatte sich Herr Harrang freundlich meiner Tante Renate angenommen, war aber ein ziemlich träger Ritter und saß gewöhnlich nur plaudernd auf einem abgehauenen Baumstamm neben ihr. Manchmal blickte er zu uns herüber mit seinen schnellen, lebhaften braunen Augen, und ich dachte mir, er wünschte sich vielleicht heimlich, unter der jungen Gesellschaft zu sein, in der so viele niedliche Mädchen waren.

Ich glaube, bei solchen Picknicks verläuft immer alles ziemlich gleichmäßig: Laufspiele, Gesang, Waldpromenade und so weiter. Wir Jungen waren sehr vergnügt, und um die anderen kümmerten wir uns nicht viel. Endlich wanderten wir alle miteinander bis zu einer Försterei, wo man auf Gäste eingerichtet war, und wo nach einem Klavier und einer Harmonika getanzt werden sollte.

Und da geschah etwas, um das mich hoffentlich alle jungen Mädchen beneidet haben.

Als der erste Tanz beginnen sollte, standen Tante Renate und ich plaudernd nebeneinander; Tante heftete mir eine meiner Schleifen ein wenig fester. Da trat Herr Harrang auf uns zu und verbeugte sich vor Tante.

„Tanzen – ich?“ fagte Tante und sah ihn sehr verwundert an. „Nein, da möchte ich doch lieber verzichten! Die Tanzschuhe habe ich längst ausgezogen, Herr Harrang.“ Und das war vernünftig gesprochen.

„Aber dieses eine Mal könnten Sie sie wohl wieder anziehen. Sie werden schon noch passen!“

„Nein, nein,“ sagte Tante und schüttelte ganz energisch den Kopf, „sie kleiden mich nicht mehr. Wenn Sie aber den unbezwinglichen Drang fühlen, zu tanzen – hier steht mein Nichtchen in voller siebzehnjähriger Lebensgröße; es wird sicher nicht Nein sagen.“

Herr Harrang verbeugte sich tief vor mir, tiefer als vorher vor Tante. „Aber mit dem größten Vergnügen, wenn Fräulein Lafrenz mir die Ehre erweisen will. Ich hätte natürlich ohnehin noch darum gebeten.“ Und dann wandte er sich wieder zu Tante: „Aber einen Plaudertanz werden Sie mir nachher doch schenken?“

„Den können Sie bekommen, der verträgt sich mit meiner Tantenwürde,“ sagte Tante lachend, und dann führte Herr Harrang mich fort.

Ich fühlte mich sehr stolz, denn er hatte ja gesagt, er würde mich ohnehin darum gebeten haben, mit ihm zu tanzen, und mit einem berühmten Manne hatte ich noch nie getanzt. Ich wurde ordentlich rot vor Vergnügen. Und wie tanzte er! Gar nicht, als wenn er gegen vierzig Jahre alt sein könnte, sondern so flott und schwungvoll – ganz wie ein berühmter Mensch muß. Wulf Hegewisch tanzte vielleicht noch etwas besser, wenn ich genau vergleichen wollte, aber viel gewiß nicht.

Als er mich dann zu einem Sitz führte, wollte ich schon mit meiner Bitte um ein Autogramm herausrücken, denn nun kannte ich ihn doch gewiß gut genug dazu; da kam von selbst etwas viel, viel Besseres. Er beugte sich nämlich ein wenig zu mir nieder und sagte: „Fräulein Lafrenz, würden Sie sich wohl freundlich erbitten lassen, mir für ein Bild zu sitzen?“

Wie? – was? – was sagte er? – er wollte mich malen – mich, Wilhelmine Lafrenz? – Ich sollte auf eines seiner berühmten Bilder kommen? Mein Herz klopfte auf einmal ganz schnell.

„Ich sollte –“ sagte ich und mochte nicht vollenden. Ich konnte mich ja verhört haben.

„Ich male an einem Bilde, welches ,Frühling‘ heißen soll und in welches Sie mit Ihrer ganzen Erscheinung vorzüglich hineinpassen würden. Es wäre freilich eine sehr, sehr große Freundlichkeit von Ihnen.“

„Aber ich würde ja stolz darauf sein!“ sagte ich eifrig und glücklich.

„Nun, das ist hübsch von Ihnen; ich danke Ihnen bestens. Da hätte ich also nur noch Ihr Fräulein Tante zu bitten, ob ich zu den Sitzungen in ihr Haus kommen darf, und ob sie überhaupt die ganze Sache billigt.“

Nicht erlauben? Das konnte Tante mir nicht anthun! Wir gingen gleich, als der Tanz zu Ende war, zu ihr hin, und nach einigem Zögern sagte sie Ja. Es wurde gleich für den nächsten Morgen die erste Sitzung verabredet.

Herr Harrang blieb dann bei Tante zurück, und ich eilte zu Anneliese und ihren Freundinnen.

O, wie war ich glücklich und stolz, und wie beneideten mich alle, auch die, welche sagten, sie würden nicht eingewilligt haben an meiner Stelle, ja, die gewiß gerade am allermeisten! Und etwas muß ich noch erwähnen. Wir brachen überhaupt bald auf, aber Herr Harrang tanzte den ganzen Abend nicht mehr, nicht ein einziges Mal, nur mich allein hatte er gewählt, sowohl zum Tanz, wie auch für sein Bild! O, wie war ich stolz! Natürlich zeigte ich es nicht, das thut man ja nicht, aber darum empfand ich es nicht weniger. Auch schrieb ich es gleich am nächsten Morgen früh auf Ansichtskarten nach Hause und an Reseda.

Uebrigens kam es mir halb und halb so vor, als wenn der guten Tante die ganze Sache nicht eigentlich recht wäre, und dafür fehlte mir eine ausreichende Erklärung, denn um neidisch zu sein, dachte sie doch gewiß zu vornehm, das traute ich ihr nicht zu. Freilich, sie paßte in ein Frühlingsbild nun einmal nicht hinein, daran ließ sich nichts drehen und deuteln! Jung ist man nur einmal, und ich war es – Hallelujah!

Mein elegantestes Kleid wollte ich am nächsten Morgen anziehen; aber Tante wollte es nicht gestatten, sondern verlangte, daß ich in meinem gewöhnlichen Anzuge bleiben sollte, bis Herr Harrang in Bezug darauf besondere Wünsche geäußert hätte. Auch konnte sie – ach, wie altjüngferlich! – es nicht unterlassen, anzudeuten, daß es besser wäre, wenn ich mir den Kopf durch diese Angelegenheit nicht gar zu sehr verdrehen ließe. Sie sagte es freundlich und lächelnd, aber sie sagte es doch. Als ob ich überhaupt eitel wäre! Aber doch gar nicht!

Als Herr Harrang kam, bat er, im Garten malen zu dürfen. Tante hatte nämlich ein niedliches Gartenfleckchen. Denn, sagte er, auf dem Bilde würde die Mädchenfigur auch im Freien stehen. Vorläufig sei es nur eine Studie, die er später in passender Weise verwenden würde, und da es ihm vor allem auf den Kopf ankam, brauchte ich auch keine besondere Haltung anzunehmen oder ein anderes Kleid anzuziehen. Nur an meiner Frisur wollte er etwas geändert haben, und ich glaube, eigentlich wollte er das selbst machen; Tante führte es dann aber zu seiner Zufriedenheit aus.

Also gingen wir in den Garten hinunter, damit es ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0856.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2023)