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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Die Frau eines berühmten Mannes sein, in München wohnen, gewiß jedes Jahr große Reisen machen, auf den herrlichen Künstlerfesten glänzen, bewundert, beneidet, angestaunt werden, was ja natürlich geschehen würde – ja, es schien sehr, sehr verlockend! Ich schwärmte ja auch für Herrn Harrang, natürlich – aber stürmisch klopfte mein Herz doch nicht, wenn ich an ihn dachte.

Das freilich stellte ich mir herrlich vor, wenn er mich leidenschaftlich lieb hätte und vor mir auf den Knieen läge und mich anflehte, seine Frau zu werden, und wenn ich dies alles nachher zu Hause Reseda und den anderen erzählen könnte, denn auf eine Ansichtskarte konnte man natürlich so etwas nicht schreiben! Aber ob ich Ja sagen würde, das wußte ich doch noch nicht.

Irgendwo in nebelhafter Ferne schien ein Paar hübscher, junger Augen zu leuchten, die nicht sein waren. Und während ich dies empfand, schlief ich ein.

(Schluß folgt.)     


Mit dem Fuße.

Skizze aus der Völkerkunde. Von C. Falkenhorst.

Auf Jahrmärkten und Messen oder im Cirkus treten von Zeit zu Zeit Artisten auf, die mit ihren Füßen allerlei Hantierungen verrichten. Sie werden von dem Publikum angestaunt, denn der Fuß wetteifert bei ihnen in der Geschicklichkeit mit der Hand; mehr Befriedigung gewährt es uns allerdings, wenn wir sehen oder erfahren, wie Unglückliche, die ohne Arme geboren wurden oder im frühesten Alter die Hände verloren haben, sich durch einen geschickten Gebrauch der Füße fortzuhelfen wissen. Unter ihnen giebt es sogar nicht unbedeutende Künstler, wie z. B. Maler, deren mit dem Fuße gemalte Bilder selbst einer strengen Kunstkritik standhalten. Bei den Völkern der weißen Kulturrasse bilden die Fußkünstler eine Seltenheit; sie hat darauf verzichtet, den Fuß als Greiforgan auszubilden, und ihn lieber in ein beengendes, unpassendes Schuhzeug eingezwängt.

In anderen Weltteilen denkt man anders darüber. Von verschiedenen Jndianerstämmen Amerikas und einzelnen Negerstämmen Afrikas wird berichtet, daß sie sich zu verschiedenen Hantierungen auch der Füße bedienen. Vor allem aber ist diese Wertschätzung der Ausläufer der unteren Gliedmaßen seit jeher in dem fernen Osten Asiens gewürdigt worden. Dort arbeitet man in verschiedenster Weise mit dem Fuße.

Die vornehme Chinesin allerdings muß der tyrannischen Mode zuliebe ihre Füße verkrüppeln; die Japanerin aber kennt kaum die beengenden Fesseln des Stiefels und erfreut sich eines wohlgeformten und gelenkigen Fußes. Bei den Japanern zeichnet sich die große Zehe durch Beweglichkeit und Kraft aus, sie kann an die Nachbarzehen fest angedrückt werden und verschiedene Gegenstände greifen. So pflegt auch die Japanerin, wenn sie näht, den Stoff mit dem Fuße festzuhalten und zu spannen. Man erzählt auch von den japanischen Schönen, daß sie mit ihren Füßchen recht empfindlich zu kneipen vermögen.

Wandert man in Ostasien an den Ufern eines Stromes, so kann man hin und wieder sehen, wie die Fischer die Angelrute mit dem Fuße halten und mit den Händen irgend eine Arbeit verrichten. In den Werkstätten der Weber und Töpfer überrascht uns dasselbe Bild, der fleißigen Hand kommt behend und geschickt der Fuß zu Hilfe. Nach unserem Geschmacke ist es aber nicht, wenn wir in die Küche treten und sehen, wie der Koch aus der gelben Menschenrasse mit dem Fuß Teller auf den Tisch stellt. Die kleinen gelben Diener in den Hotels sind wahre Fußkünstler. Stühle und Sessel rücken sie zurecht, indem sie dieselben zwischen die Zehen packen; vom Fußboden und Teppich heben sie auch die kleinsten Gegenstände, selbst eine Stecknadel, mit dem Fuße auf. Viele Ostasiaten greifen, wenn sie zu Pferde sitzen, einen Arm des Steigbügels zwischen die Zehen und gewinnen auf diese Weise festeren Halt; von den Matrosen der japanischen Kriegsmarine wird erzählt, daß sie nach Affenart in die Rahen klettern, indem sie die Füße als Greiforgane benutzen. Ja es giebt in Japan Gelehrte und Künstler, die zur Bequemlichkeit und Abwechslung die Hand ruhen lassen und nun mit dem Fuße schreiben, malen oder musizieren.

Dieser eigenartige Gebrauch der unteren Extremitäten ist vor allem in Annam üblich. Schon in uralten Zeiten nannten die Chinesen jenes Land das Reich der Leute mit freibeweglichen Zehen, und die Annamiten bezeichnen sich häufig selbst als Giao-chi, was so viel wie „Freizeher“ bedeutet. Es giebt in China eine Legende über den Ursprung der Annamiten; in derselben wird unter anderem erzählt, daß einer der Stammväter dieses Volkes sich mit der Tochter eines Meerdrachens vermählt habe.

Von dieser Ahnfrau sollen nun seine Nachkommen als Erbteil den Greiffuß beibehalten haben, der an die Krallen des rätselhaften Seegeistes erinnert. In Ko-lau, in “der Landschaft Kham-Chau, befindet sich eine Säule, die im ersten Jahrhundert nach Chr. errichtet wurde, und eine Inschrift auf ihr lautet:

„Dong tru chiet
Giao-chi diet,“

d. h. wenn diese Säule fällt, wird das Volk der Freizeher zu Grunde gehen.

Diese und andere Thatsachen beweisen, daß die Annamiten schon in uralten Zeiten durch ihre Greiffüße in Ostasien Aufsehen erregten. Der französische Reisende Paul d’Enjoy hat neuerdings eine interessante Vermutung ausgesprochen. In dem großen Nationalepos der Inder, „Ramayana“, das in sagenhafter Vorzeit spielt, wird von Kämpfen mit Affenvölkern erzählt. Als König Rama seine Gemahlin Sita aus den Händen des Dämonenkönigs Rawana auf Ceylon befreien wollte, wurde er in den langwierigen Kämpfen von dem Affenkönig Sugriva und dessen Minister Hanumant unterstützt. d’Enjoy meint nun, in der indischen Sage handle es sich um eine dunkle Erinnerung an Begegnungen mit dem Volke der Freizeher, das den Indern als eine Art Vierhänder oder Affen vorgekommen wäre.

Man könnte den alten indischen Dichtern aus einem derartigen Gedankengange keinen Vorwurf machen, denn bis in die jüngste Gegenwart hielten Gelehrte nicht selten derartige mit dem Fuße arbeitende Rassen für Vierhänder unter den Menschen und meinten, daß man in ihnen niedrigstehende Wesen erblicken müsse, denen noch ein Affenerbteil anhafte. Diese Annahme ist jedoch durchaus nicht stichhaltig. Charakteristisch für die Hand ist die Eigenschaft, daß der Daumen den anderen Fingern gegenübergestellt werden kann, wodurch sich eben die Hand zu einem vollkommenen Zangenwerkzeug gestaltet. Bei dem Affenfuß ist diese Fähigkeit des Daumens in hohem Maße ausgebildet, und mit vollem Rechte wird darum der Fuß des Affen Hinterhand genannt. Einige Reisende behaupteten nun, daß bei den Ostasiaten Füße vorkämen, deren große Zehe den übrigen gleichfalls gegenübergestellt werden kann. Diese Beobachtungen beruhten jedoch auf Irrtum. Anatomisch geschulte Forscher konnten bei den betreffenden Volksstämmen eine gegenüberstellbare große Zehe nicht finden, sondern nur eine größere Beweglichkeit derselben im Abspreizen und Beugen feststellen. Der Fuß der Indianer, Neger und Annamiten ist ebenso wie der Fuß der Völker der weißen Rasse gebaut, und alle Kunststücke, welche die Ostasiaten mit ihren Greiffüßen vorführen, könnte nach gehöriger Uebung auch ein mit wohlgeformten Füßen versehener Europäer fertig bringen. So gehören denn „Vierhänder unter den Menschen“ ebenso wie geschwänzte Menschenrassen in das Reich der Fabel. Auch der „wildeste“ Mensch ist von den Affen durch eine ebenso weite Kluft getrennt wie der Europäer. Mit Recht erklärt der berühmte Anthropolog Ecker, „daß nur beim Menschen die Teilung der Arbeit zwischen Vorder- und Hinterextremitäten vollkommen durchgeführt ist: nur der Mensch hat Hand und Fuß*, ein Ausdruck, den der Deutsche bekanntlich zur Bezeichnung hoher oder höchster Vollkommenheit ganz im allgemeinen gebraucht.“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0859.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2023)