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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Daß er bei seiner Werke Feuerschein
Ein Buch voll Grausen und voll Schrecken schreibe,
Daß er die blinde, angstverstörte Masse

80
Zermarternd mit den Teufelsfäusten fasse!


Ihn hieß ich tief im heißen Kohlenschacht
Erstickend seine gift’gen Dämpfe schlagen,
Ich hieß ihn mitten in der Städte Pracht
Die Häuser brechen und den Brand hintragen,

85
Ich hieß ihn – und er that’s – in Sturmesnacht

Die Riesendampfer auf die Klippen jagen,
Ich hieß ihn Berge stürzen, hieß ihn Brücken
Und Wagenzüge mitleidslos zerstücken!“

So spricht der Herr des Uebels zu den Seinen;

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Die Schatten stöhnen; doch auf einmal fällt

Von Sonnenaufgang her mit lichtem Scheinen
Ein sternenklarer Glanzstrom in die Welt.
Ein Götterbild mit einem milden, reinen
Gesichte schwingt sich niederwärts, das hält

95
Die Hände segnend über diese Erde

Und spricht mit hehrer, schirmender Gebärde:

„Will sich zum Hingang das Jahrhundert neigen.
So sei ein Segensspruch noch sein Geleit!
Was das Verderben sprach: heut’ soll es schweigen!

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Den Gang nach aufwärts ging auch diese Zeit!

Und gegenüber dem gespenst’gen Reigen
Des Unheils steh’n in lichter Herrlichkeit
Errungenschaften da, die nicht vergehen,
Die siegreich mit der Nacht den Kampf bestehen!

105
War auch der Krieg nicht aus der Welt zu schaffen,

Gemildert hat ihn doch die Menschlichkeit,
Es folgt das Rote Kreuz dem Weh der Waffen,
Das heiße Mitgefühl dem blut’gen Streit.
Es regt sich alles, Recht und Schutz zu schaffen;

110
Fürsorge ist für jede Not bereit;

In immer eng’ren Bann zwingt man das Schlechte.
Und immer stärk’re Form gewinnt das Rechte!

Aus allen Winkeln will der Reichtum sprossen,
Dem Völkerwillen wich die Tyrannei,

115
Im Frieden sammeln sich die Werkgenossen

Und jedem steht das Wort zur Rede frei.
Ein Schatz von Allgemeingut ward erschlossen,
Der immer wachse, jedem dienstbar sei;
Rings um den Erdball braust in frohem Streben

120
Von Jahr zu Jahr verstärktes Völkerleben.


Wohl, ruhmreich ist, was dies Jahrhundert that!
Gespalt’ne Berge können das verkünden!
Die Schöpfung warf man in ein Feuerbad,
Um neuen Stoff und neue Kraft zu finden;

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Um Gletscher schlang man luft’gen Eisenpfad

Und schöpfte Licht aus Nacht und Felsengründen;
Nie flogen so wie heute die Gedanken
Wie Blitze über längstverjährte Schranken.

Und machtvoll kämpft mit ihren reinen Händen

130
Für alles Herrliche die Wissenschaft;

Ihr gilt es, helfen, retten, Schmerzen enden,
Dem Weltverderben nimmt sie seine Kraft;
Zum Heil und Segen will sie Krankes wenden;
Nie rückwärts weicht sie, sondern prüft und schafft.

135
Indessen ihr zur Seite, stets begeistert,

Die Kunst des Lebens rohe Stoffe meistert.“

So spricht der Geist des Lichts. Und segnend breitet
Er seine Flügel, wie ein Lenzhauch weht
Es von ihm her; der andre aber gleitet

140
Fort in die Winternacht, wo er zergeht.

Die Wetuhr schlägt. Ihr großer Zeiger schreitet
Voran, sein Gang ist schicksalsreich und stät;
Der Menschheit Hoffnung aber und ihr Segen,
Sie geh’n mit ihm der Zukunft froh entgegen!
 Max Haushofer.


Der König der Bernina.

Roman von J. C. Heer.
(Schluß.)


19.

Eine alte Stadt an einem blauen Fluß und am Ufer ein großes buntes Fest – überall wogende Wimpel.

Ein Taumel durchbraust die Straßen, aber so vielen Bannern man zujauchzt, keinem doch mehr als dem des fernen Engadins, seinen drei Wagen voll Wild, seinem Bären, der auf Tannenreisern liegt. „Hoch, Engadin – hoch!“ – überall läuft der Ruf vor den starken Männern des Gebirgs, die, von schönen Frauen und lieblichen Mädchen begleitet, in so stattlichen Scharen niedergestiegen sind.

Und vor ihnen schreitet einer hoch und breit und gewaltig wie ein Held der Vorzeit, wie der lebendig gewordene Fels des Gebirgs. Er trägt sein Banner, das Steinbockbanner, mit unvergleichlicher Würde und Vornehmheit. Und obgleich er kein Jüngling mehr ist, fliegen ihm von den Erkern herab die Blumen der Mädchen und Frauen zu und die Tücher winken. Und überall ertönt der Ruf: „Der König der Bernina! Der König der Bernina, der so viele Menschen aus den Lawinen gerettet hat!“ Wer kannte ihn nicht aus Bildern und Kalendern!

Eine Art Ehrfurcht breitet sich um den stolzen, freien Mann, der in der Reife der Kraft dahinschreitet.

Der Ehrung der Bündner war ein besonderer Tag gewidmet. Da verkündete der Herold von der Tribüne: „Adam Näf von Aarau hat das Wort.“ Und der Redner steht. Fast trocken, doch mit weittragender Stimme spricht er: „Es ist ein Mann unter uns, unter euch, ihr Bündner, der ist verleumdet worden! Die, die Uebles wider ihn redeten, haben nicht einen Zeugen, hier aber steht einer, der es erlebt hat, wie Markus Paltram ein Held ist. Und zweiunddreißig Zeugen aus weiter Welt will ich euch noch melden. Folgende Personen hat er aus den Lawinen gezogen.“

Er entfaltet ein Papier – in der reichgeschmückten Hütte, wo viele Hunderte tafeln, ist es so still, daß man die Wasser des blauen Flusses vorüberrauschen hört.

Und Name folgt auf Name.

Jeder ruft dröhnenden Jubel hervor, wie aber der Ludwig Georgys durch den Raum dahinschwebt, erheben sich Stimmen: „Er ist hier!“ und hundert tragen den überraschten, zappelnden Maler auf die Tribüne, zu Adam Näf.

Gewaltiger Jubel erbraust an allen Ecken und Enden.

Endlich, endlich ist die lange Liste gelesen – auf den Schultern trägt man Markus Paltram auf die Tribüne.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0870.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)