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hier und da gehört, doch keines seiner Werke gesehen hätte. Wenngleich ich sonach gegen das überschwengliche Lob, das er Genelli zollte, einigermassen misstrauisch war, so wurde doch meine Neugier erregt, und ich folgte Ross willig in die bescheidene Wohnung seines Lieblings. Ein schon bejahrter Mann von stattlicher Figur und imposanten Gesichtszügen, welche um jene Zeit von Karl Rahl in einem trefflichen Porträt verewigt worden sind, empfing uns und öffnete uns bereitwillig seine übervollen Mappen. Schon die erste der Zeichnungen, welche sie enthielten, erregte mein Erstaunen, und dieses wuchs mit jedem neuen Blatte, das ich betrachtete. Jedem der Blätter war das Gepräge eines mächtigen Geistes unverkennbar aufgedrückt, und ich konnte nicht zweifeln, der Künstler, welcher so bescheiden und anspruchslos in ärmlicher Umgebung vor mir stand, sei einer jener grossen Genien, wie sie selten im Laufe der Jahrhunderte erscheinen, und denen man sich nur mit Ehrfurcht nahen darf. Aus seinen mythologischen Zeichnungen lachte mir ein ganzer Olymp von göttlichen Gestalten in himmlischer Lebensfülle entgegen, während seine biblischen Compositionen mich bald mit den Schauern göttlicher Erhabenheit durchdrangen, bald mit unwiderstehlichem Reize in die alttestamentliche Patriarchenwelt und unter die heiligen Gestalten des Hirtenlandes Canaan führten. Alles erschien mir als aus einem gewaltig schaffenden Naturgeist hervorgegangen, der sich durch keine berechnende Kunst ersetzen lässt, und die Pygmäenwerke der Gegenwart, vor denen die Menge gaffend steht, so weit überragt, wie der Riesentempel von Karnak einen modernen Backsteinbau.

Die Schöpfungen Genellis bemächtigten sich meiner in so wunderbarer Weise, dass ich, überwältigt von dem ersten grossen Eindruck, geblendet von dem Reichtum der in ihnen sich aussprechenden Erfindungskraft, erst einiger Zeit bedurfte, mich zu sammeln. Wohl kam mir, als die Mappen geschlossen waren und ich in den nächsten Tagen das Geschaute ruhig in meinem Geist zu verarbeiten suchte, der Gedanke, ich sei durch die erste Betrachtung zu einer Ueberschätzung fortgerissen worden; allein bald, wie ich zu dem Meister wiederkehrte und meine Besuche täglich erneuerte, bestätigte sich mir die erste Wahrnehmung nicht nur, sondern steigerte sich noch in hohem Grade. Je häufiger und länger ich die schon gesehenen Compositionen prüfte, desto mehr wuchs meine Bewunderung, und als mir dann in unerschöpflichem Reichtum immer neue herrliche Zeichnungen vor Augen traten, konnte ich für dieselben kaum noch ein Mass finden. Zunächst drängte sich mir nun die Erwägung auf, wie es doch möglich gewesen, dass von einem Manne, der so Ausserordentliches hervorzubringen vermocht, bisher keine Kunde zu mir gedrungen sei. Ich meinte, seine Produktionen, ja schon die jugendlichsten, unvollkommensten derselben, hätten Aufsehen in ganz Deutschland erregen, die Zuschauer auf den Ausstellungen hätten sich begierig um dieselben drängen, die Kunstfreunde um deren Besitz wetteifern müssen. Statt dessen erfuhr ich – aber nicht von dem Künstler selbst, denn er war zu stolz, um zu klagen – dass Genellis ganzes bisheriges Leben von Verkennung, Entbehrung und traurigen Erfahrungen aller Art getrübt gewesen sei. Kein Sonnenstrahl des Ruhms war auf dieses Haupt gefallen; das deutsche Volk hatte einen seiner edelsten und grössten Söhne, auf den es hätte stolz sein müssen, nicht nur darben lassen, sondern ihm in Spott und Verhöhnung den Schwamm mit bitterer Galle gereicht. In einem kleinen, sehr engen Kreise allein war seinen Kompositionen Anerkennung zu Teil geworden; jedoch der Ertrag hatte für ihn kaum ausgereicht, um die elementarsten Bedürfnisse des Lebens damit zu bestreiten. Ross erzählte mir, Genelli sei oft in solcher Armut gewesen, dass es ihm an Mitteln gefehlt habe, sich Papier und Bleistift zu kaufen. Ein grösserer Auftrag, den ihm noch vor dem Jahre 1830 ein kunstliebender Bewohner Leipzigs, Herr Härtel, gegeben hatte, war bald wieder zurückgezogen worden. Die nachteiligen Wirkungen hiervon erstreckten sich weit in sein späteres Leben hinein. Dass ein Zerwürfnis mit seinem Auftraggeber stattgefunden, ist unzweifelhaft; wodurch aber dasselbe herbeigeführt worden sei, habe ich nie zu ergründen vermocht. Die Freunde des Künstlers, von denen einige genau unterrichtet sein konnten, massen alle Schuld dem Besteller bei; Genellis Feinde hingegen verbreiteten eine zu dessen Ungunsten lautende Version und wurden noch Jahrzehnte nachher nicht müde, ihn als einen saumseligen unzuverlässigen Menschen zu schildern, dem man keine künstlerischen Arbeiten übertragen dürfe. Nach meiner eigenen Erfahrung, da ich ihn als einen durchaus gewissenhaften, im Schaffen sein höchstes Glück findenden Mann kennen gelernt habe, bin ich natürlich geneigt, der für ihn vorteilhaften Aussage seiner Freunde vollen Glauben zu schenken; indes auch angenommen, er hätte beim Freskomalen im Härtelschen Hause sich eines jugendlichen Leichtsinns schuldig gemacht, so konnte doch dieser Vorgang für Vernünftige keinen Grund abgeben, ihn fortan als einen Geächteten zu betrachten. Ein erneuerter Versuch, ihn in eine seinem hohen Talente entsprechende Thätigkeit zu versetzen, würde sicher den glänzendsten Erfolg gehabt haben, wie ihn später der meinige hatte. Allerdings besass Genelli bedeutenden Künstlerstolz und nicht die Geschmeidigkeit des Wesens, welche durch Schmeicheleien sich die Gunst der Mächtigen und Reichen zu erwerben weiss. Aber auch Michel Angelo war keine Höflingsnatur, und ein Julius II., ein Leo X. liessen sich doch, zu ihrem unsterblichen Ruhme und zum Segen der Welt, durch seine rauhe Aussenseite nicht hindern, ihn mit der Ausführung grosser Bauten, Bildwerke und Malereien zu beauftragen. Ein solcher Auftraggeber war aber für Genelli nötig, viel mehr noch im Interesse der Kunst, als im materiellen Sinne; denn seine Kompositionen, mit Bleistift gezeichnet, konnten doch nur für Embryonen gelten, aus denen die Phantasie wohl die herrliche Gestalt in ihrer Entfaltung hervorzuzaubern im Stande war, die sich aber zu dem ausgeführten Gemälde verhielten, wie etwa der Entwurf einer Tragödie, der auch schon Genuss gewährt, zu dem vollendeten Trauerspiele. Fast unbegreiflich muss es nun scheinen, dass Genelli mehr als zwanzig Jahre in München zu weilen vermochte, wo damals Kirchen, Paläste und Museen mit zahlreichen Fresken geschmückt wurden, und dass ihm auch nicht der kleinste derartige Auftrag erteilt ward. Gerade zu solchen monumentalen Gemälden im hohen Stile hatte dieser Künstler eine Begabung wie kein anderer, Cornelius ausgenommen, und hätte er deren zur Zeit seiner vollen Mannesreife in der bayerischen Residenz ausführen können, so würde diese in weit höherem Sinne den Namen einer Kunststadt verdienen, als ihr derselbe jetzt zukommt. Aber die Zeit, wo Genelli die Hallen unserer Paläste mit hohen Gebilden von unvergänglichem Werte hätte schmücken können, ist für immer dahin, und Deutschland hat – so schwer es mir auch wird, muss ich es doch aussprechen – durch die Missachtung, die es einem seiner grössten Männer gezeigt, ein Brandmal auf sich gedrückt, das nicht wieder erlöschen wird.

Als ich Genelli kennen lernte, hatte schon sein Lebensabend begonnen. Es konnte daher nicht mehr davon die Rede sein, dass er die fast unübersehbare Reihe seiner Entwürfe, selbst wenn sich dazu Besteller gefunden hätten, in Farben oder gar in den grossen Verhältnissen, auf welche sie eigentlich berechnet waren, ausführe. Zwar ist die in unserer Zeit oft geäusserte Meinung, als ob für den bildenden Künstler oder Dichter nur die Jugend die Zeit der vollen Produktionskraft sei, die letztere dagegen sich mit den Jahren mindern und im höhern Alter vertrocknen müsse, durchaus falsch und faktisch widerlegt. Cornelius hat seine grössten Werke, ebenso wie Gian Bellin, zwischen dem 70. und 80. Lebensjahre geschaffen; und wie Aeschylus, Sophokles, Calderon und andere ihre dichterische Vollkraft bis ins höchste