Seite:Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. v. Schack.pdf/37

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junge Kräfte zu entdecken, oder auch solche zu beschäftigen, welche, der Gunst des grossen Publikums entbehrend, brach lagen. Ich dachte, meine Galerie würde so einen eigentümlichen Charakter erhalten, während sie sonst nur Bilder von Malern aufgewiesen hätte, von denen man schon überall Werke sehen konnte. Jedenfalls meinte ich, der Kunst und den Künstlern auf diese Art mehr nützen zu können. Eines war dabei freilich vor allem nötig: Urteilskraft. Wenn ich mir dieselbe nun auch einigermassen zutraute, so verhehlte ich mir doch nicht, dass ich dabei auch der Irrung und Täuschung ausgesetzt sein würde; aber ich wollte lieber selbständig und nach meinem eigenen Sinne irren, als mit der grossen Menge. Ich wusste bestimmt, dass, wenn ich mit dem wechselnden Windhauche des öffentlichen Urteils segelte, ich Schiffbruch leiden würde; der Kompass dagegen, den ich mir selbst aufstellte, konnte mich möglicherweise vielleicht doch in den Hafen führen. Ueberaus merkwürdig sind die steten Wandlungen des Geschmacks; selbst die grössten Geister sind oft in den Meinungen befangen gewesen, die ihre ganze Zeit beherrschten. Und dies findet nicht allein statt in Bezug auf die Leistungen ihrer eigenen Periode, sondern auch hinsichtlich der Kunstschöpfungen früherer Jahrhunderte. In Goethes Jugend wurden die Bolognesen, die Caracci, Guido Reni, Guercino vor allen hochgeschätzt und dicht neben Rafael gerückt. Wenn der grosse Dichter in seiner italienischen Reise sich für ein Gemälde begeistert, so ist es fast immer eines von diesen Meistern; er stellt eine Pilgerfahrt nach Cento an, um dem Guercino an dessen Geburtsort seine Huldigung darzubringen, erwähnt dagegen bei seinem Aufenthalt in Venedig nur selten der grossen Venezinaner und dann immer in einer Weise, dass erhellt, wie er diese weit geringer geschätzt hat, als die Bolognesen. Ganz ähnlich urteilt Stolberg in der noch immer lesenswerten Beschreibung seiner Reise durch Italien. In einem Briefe aus Florenz sagt er, die dortigen Gemäldegalerien hätten unmöglich einen grossen Eindruck auf ihn machen können, nachdem er alle die herrlichen Meisterwerke in Bologna gesehen. Jetzt hat sich dieses Urteil völlig umgekehrt. Die Kunstverständigen halten es gegenwärtig für genügend, dass sie einige Stunden in der Akademie zu Bologna weilen, um doch vorzugsweise nur Rafaels heilige Cäcilia zu betrachten. Wenn sie dagegen in Florenz Monate in Bewunderung der florentinischen, venezianischen und anderer Meister verbringen, so erscheint ihnen diese Zeit noch zu kurz. Die Ueberschätzung jener eklektischen Schule hat übrigens lange gewährt. Noch Schelling in seiner berühmten Rede über das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur, preist Guido Renis Himmelfahrt der Maria in der Münchener Pinakothek in so enthusiastischer Weise, als wäre sie neben Rafaels sistinischer Madonna das erste Bild der Welt. Heute werfen nur noch wenige einen flüchtigen Blick auf sie, und manche urteilen, sie sei selbst für Guido Reni zu schlecht und höchstens eine mittelmässige Kopie oder Nachahmung seiner Manier. In England hat die Bewunderung Guidos bis auf die jüngste Zeit fortgedauert; er war dort gewöhnlich als zweitgrösster Italiener neben Rafael genannt, und im Palast Barberini zu Rom konnte man immer Scharen von Britten sehen, die sich um das angebliche Porträt der Beatrice Cenci drängten und es als eines der wundervollsten der Welt feierten; nunmehr scheint auch bei ihnen ein Umschwung in dieser Hinsicht eingetreten zu sein. Von den meisten deutschen Kunstkritikern wird besagtes Bildnis seit lange für ganz wertlos erklärt. – Auf die Ueberschätzung der Bolognesen, die jetzt unter Verkennung ihrer Verdienste zu gering geachtet werden, folgte bei uns eine einseitige Verehrung, ja Anbetung der Vor-Rafaelischen Maler; fortan war Fra Angelico der Einzige, Göttliche; Filippo Lippi, Perugino, Francia und andere sicher hochachtbare Meister sollten den Gipfel der Kunst erklommen haben, und Rafael ward nur noch in seinen Jugendwerken anerkannt. An des letzteren späteren, d. h. vollendetsten Gemälden tadelte man die zu grosse Sinnlichkeit; ja einige nannten ihn sogar einen Verderber der Kunst. Von den Venezianern wurde damals behauptet, sie suchten nur die Augen durch äusserlichen Reiz zu bestricken, und Viele hatten für sie nichts als Verwünschungen. Auch diese Periode des Geschmacks ist vorübergegangen; die unsrige glaubt das richtige Kunsturteil gewonnen zu haben; dass aber auch dieses in der Folgezeit sich vielfach ändern werde, lässt sich nicht bezweifeln.

Noch weit auffallender tritt hervor, wie trügerisch das Urteil einer Periode über die in ihr selbst zu Tage geförderten Erscheinungen ist, und wie oft es sich in kurzem in sein Gegenteil verwandelt. Als Berninis kolossale Statuen auf der Engelsbrücke in Rom aufgestellt waren, erregten dieselben die Bewunderung von ganz Italien, eine höhere, als je dem Michel Angelo zu Teil geworden war. Man wallfahrtete aus der halben Welt dahin, um sie zu betrachten, und im Strombett des Tiber wurden eigene Gerüste für die Künstler aufgeschlagen, damit sie von dort aus die hohen Meisterwerke studiren und zeichnen könnten. Gegenwärtig geht die Meinung der Meisten dahin, diese Statuen seien horribel, und es werde zur Verschönerung von Rom beitragen, wenn man sie von der Brücke in den Fluss hinabstürzte. – Die ungemeine Wertschätzung, deren der Landschaftsmaler Hackert im vorigen Jahrhundert genoss, liefert ein anderes hierhergehöriges Beispiel. Dass er bei Solchen, die nichts wahrhaft Gutes erblickt, Beifall ernten konnte, begreift sich; ja man kann zugeben, dass er für seine Zeit Tüchtiges geleistet hat. Dass aber Goethe, der einen Claude Lorrain, einen Ruysdael, einen Poussin kannte, ihn in der Art hochstellen konnte, wie er es wirklich gethan, dass er ein Buch über ihn schreiben und ihn darin für einen der Ersten in seiner Kunst erklären konnte, bleibt unbegreiflich; ebenso, dass der grosse Winckelmann alles Ernstes Mengs über Rafael zu stellen vermochte. – Schon die erwähnten Fälle zeigen, wie sehr Diejenigen auf Irrwegen gehen, welche bei Bildung von Kunstsammlungen den Geschmack ihrer Zeit zur Richtschnur nehmen oder sich von gefeierten Namen imponiren lassen. Selbst die ausgezeichnetsten Museen tragen die Spuren hiervon zur Schau. In der Dresdener Galerie sind ganze Säle mit Gemälden der Bolognesen angefüllt, die vermutlich enorme Summen gekostet haben; jetzt würde man sie allgesammt für das kleine Bild der Töchter Palmas hingeben. In Neapel, aber auch in Deutschland, sind die Wände mancher Schlösser mit Landschaften von Hackert behängt, die man heute kaum anders betrachtet, als um ihre Mängel zu kritisiren, und die Erwägung daran zu knüpfen, wie die Ankäufer derselben ihr Geld besser als auf deren Erwerbung hätten verwenden können. Mit den Bildern Davids und seiner Schule, die zu Anfang unsres Jahrhunderts eifrig gesucht wurden, verhält es sich ebenso. Im Louvre und Luxembourg zu Paris kann man besonders lehrreiche Studien über die Unzuverlässigkeit des Kunsturteils einer Zeit anstellen. Hier werden die Gemälde aufgehängt, welche die Regierung als die hervorragendsten, von der zeitgenössischen Malerei produzirten, angekauft hat, damit sie den folgenden Perioden in leuchtenden Beispielen Zeugnis von der Kunsthöhe der vorhergehenden gäben. Nun aber erscheinen der nächsten schon fast immer die gepriesenen Meisterstücke der früheren als geringfügige Werke: man kann sich den Beifall, mit dem sie aufgenommen worden, nicht erklären, und nur sehr Weniges rettet sich aus diesem allgemeinen Schiffbruche in die Unsterblichkeit hinüber. Als Beispiel solcher Hinfälligkeit des Ruhmes führe ich nur Gerards Corinna, die Harfe auf dem Kap Misen spielend, an, welcher noch der feinsinnige A. W. Schlegel einen eigenen Aufsatz voll begeisterten Lobes gewidmet hat. Man vermag diese affektirte und preciöse Figur kaum noch ohne Lachen anzusehen. Ein Bild dagegen, das wohl Aussicht hat, auch von der Zukunft noch bewundert zu werden, möchte in demselben Saale des Louvre „der Schiffbruch der Medusa“ sein, auf dessen