Seite:Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. v. Schack.pdf/39

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hielt. Ein Hirt, der seine Herde durch das Gebirg getrieben hat, sieht einen im Hintergrunde befindlichen Felsblock, welcher in den zitternden Sonnenstrahlen eine phantastische Gestalt anzunehmen scheint, für den Gott an und stürzt entsetzt davon. –

Als ich 1864 Rom besuchte, fand ich Böcklin in einem geräumigen Atelier, das er gemeinsam mit dem bald noch zu nennenden L. von Hagn und Franz Lenbach gemietet hatte, mit der Ausführung einer grossen Landschaft für mich beschäftigt. Diese hatte mich schon in der Skizze entzückt. Es ist eine Villa am Meeresufer, auf welcher eben noch die Strahlen der untergegangenen Sonne liegen. Vor dem Gebäude wiegen sich die Wipfel riesiger Cypressen im Winde, Luft und Himmel sind, wie es beim Wehen des Sirocco zu sein pflegt, mit dichten, grauen Dünsten erfüllt. Als Verkörperung der schwermütigen Stimmung, welche über dem Ganzen ruht, schreitet nach dem Meeresufer zu eine mit schwarzem Schleier verhüllte Gestalt. Das übrigens ganz frei behandelte Motiv ist wohl von dem an der Küste, unfern von Ostia, so melancholisch gelegenen Kastel Fusano entlehnt. Dieses Bild ist von zauberhaftem Reiz und wurde nach seiner Vollendung von Allen, die es sahen, bewundert. Leider hatte der Künstler, der das Experimentiren liebt, dasselbe mit unsolider Technik gemalt. Als es in München anlangte, bemerkte ich, dass die Farben sich nicht gehörig mit der Leinwand verbunden hatten; es waren, glücklicherweise an Stellen, die leicht ausgebessert werden konnten, ganze Stücke derselben herausgefallen. So bestellte ich, da ich die Vergänglichkeit des einen Exemplars erkannte, das Gemälde noch einmal, und beide hängen nun als Gegenstücke in meiner Galerie. Das zweite hat manche Schönheiten vor dem ersten voraus und zeigt eine sorgfältigere Behandlung des Details, entbehrt aber der wunderbaren Wirkung, welche auf jenem der letzte Sonnenblick hervorbringt. Wie es jedesmal bei Gegenstücken geht, ziehen die Einen dieses, die Andern jenes vor; ich selbst schwanke in meinem Urteil darüber und neige mich bald auf die eine, bald auf die andere Seite. Aber kann nicht jedes der beiden Exemplare seine eigenen Vorzüge haben?

Böcklin ist wohl hauptsächlich Landschaftsmaler im höheren Stil und hat dieses Fach am meisten kultivirt. Indessen verdankt man ihm auch einzelne, höchst treffliche Figurenbilder. Das erste derartige, das ich von ihm erhielt, war die 1865 vollendete Klage des Hirten. Der Künstler, der eine ungewöhnliche litterarische Bildung besitzt, hegt eine grosse Vorliebe für die Idyllendichter der Griechen, ebenso für Theokrit und Bion, wie für den Hirtenroman des Longos, und man erkennt die aus ihnen entnommenen Motive in verschiedenen seiner Werke. Nach der „Amaryllis“ des Theokrit hat er hier dargestellt, wie der junge Hirt der Nymphe vor der Grotte sein Liebesleid klagt. Die Gestalt des kaum noch dem Knabenalter entwachsenen Liebhabers und seine Züge sind von ausserordentlicher Anmut; die im Hintergrunde befindliche Nymphe möchte man anders wünschen; wer aber, ausser Böcklin, hätte den Blumenkranz über der Grotte, die vor ihr niedergelegten Früchte und sonstigen Spenden, so malen können? Das sind nicht Blumen und Früchte von dieser Erde: sie sind in einem Wunderlande der Phantasie erblüht und gereift. Ueber dem Ganzen liegt ein unsagbarer Reiz, wie ihn nur der Genius über ein Bild verbreiten kann. Wer dies nicht empfindet, es dem demonstriren zu wollen, wäre freilich vergeblich. Vor diesem, wie vor so manchem anderen Gemälde ist mir oft klar geworden, wie das Letzte, Wesentliche, worauf der Wert eines Kunstwerkes beruht, doch etwas Geheimnisvolles, Unfassbares ist, was nur gefühlt, geahnt werden kann, aber sich nicht in Worten aussprechen lässt. Darum sind mir auch alle ästhetischen Theorien und Erörterungen, alle Versuche, die Schönheit durch Analyse darthun zu wollen, so verhasst. Wie thöricht wäre es nicht, einen Begriff von dem Liebreize der medizäischen Venus dadurch geben zu wollen, dass man alle Teile ihres Körpers auseinander nimmt und zeigt, dass sie richtig sind! Nichts ist mir daher unerträglicher, als das Gerede Solcher, welche sich uns in den Museen oft als Kommentatoren der Gemälde aufdrängen. In Bezug auf Werke der Dichter denke ich ebenso und stimme völlig mit einer geistvollen Frau überein, die mir einst sagte: wenn ihr etwas den Genuss Shakespeares verleiden könne, so