Seite:Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. v. Schack.pdf/62

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blendenden und berauschenden Schönheit, wie nur die Venezianer sie zu schildern vermocht haben; es ist eine fast dämonische Gewalt des sinnlichen Reizes, auf welcher hier die Wirkung beruht. Ob Pordenone wirklich der Urheber des Bildes, lässt sich nicht gewiss sagen; es scheint mir höher zu stehen, als Alles, war sonst unter seinem Namen geht. Doch muss ich gleich hinzufügen, dass in jener grossen Zeit bisweilen selbst geringere Maler in einzelnen Werken sich zu ganz ungeahnter Höhe erhoben haben. – Die Perle der Galerie Corsini in Rom ist unstreitig Die Mutter mit dem Kinde von Murillo, vermutlich das einzige in Italien befindliche Werk dieses grossen Spaniers, da die beiden Madonnen im Palaste Pitti, die sich mit seinem Namen schmücken, entschieden seiner nicht würdig sind, und auch die als Murillo bezeichneten Stücke im Vatikan kaum Ansprüche auf Echtheit haben. Man kann dem Gemälde der Galerie Corsini nichts Schlimmeres anthun, als wenn man es ein Madonnenbild nennt; der berühmte Sevillaner entfaltete sein Talent nach zwei Richtungen mit gleicher Meisterschaft. Wie er Heilige in himmlischer Glorie und Verklärung auf seinen Altarbildern vorzuführen wusste, so verstand er auch, Scenen und Erscheinungen des untersten Volkslebens durch die Kunst zu adeln, wie seine Betteljungen und Marktscenen in der Münchener Pinakothek dieses auf das glänzendste bewähren. Nicht so ganz in den niedersten Schichten bewegt er sich auf unserem, von Lenbach recht con amore reproduzirten Bilde. Die Mutter mit dem Kinde ist eine junge Frau aus dem Bürgerstande, mit etwas zigeunerischem Typus, wie man deren täglich auf den Strassen Sevillas sehen kann. Es ist bei diesem, wie auch bei so manchem anderen Kunstwerke, unerklärlich und mit Worten nicht auszusprechen, worauf seine Anziehungskraft beruht; und doch besteht sie und bannt jeden Empfänglichen in ihren Zauberkreis, um ihn auf lange nicht wieder loszulassen.

Zu den schönsten Erzeugnissen der Maler des 16. Jahrhunderts, zu denen, welche die tiefste und nachhaltigste Befriedigung gewähren, gehören die Porträts. Sei es, dass die Menschen jener grossen Zeit des Wiederauflebens der Wissenschaften – einer Periode, welche neben dem Zeitalter des Perikles die grösste der ganzen Weltgeschichte ist – edlere und kraftvoller ausgeprägte Züge trugen als die anderer Epochen, sei es, dass die damaligen Künstler Charaktere und Physiognomien besser aufzunehmen wussten, als ihre Vorgänger und Nachfolger: es hat mir immer geschienen, als ob sich in den Bildnissen die Ueberlegenheit eines Rafael, Tizian und anderer ihrer Zeitgenossen am auffallendsten zeige. Wenn wir die Porträts dieser Meister beschauen und uns in sie versenken, fühlen wir uns in ein höheres Dasein erhoben: wir leben mit einem Geschlecht von hochstrebenden, den edelsten Interessen der Menschheit zugewendeten Männern, von kühnen, energischen Feldherren und thatkräftigen Fürsten, im Kreise himmlisch schöner, das Leben der Männer veredelnder Frauen. Sie treten in diesen Bildern aus der Vergangenheit von drei Jahrhunderten so leibhaftig vor uns hin, offenbaren uns so vollständig ihr innerstes Wesen, dass wir wirklich ihres intimsten Umganges uns zu erfreuen glauben; und doch fühlen wir, es sind höhere Menschen, als sie in der Wirklichkeit waren: denn die Kunst hat sie geadelt und alles Niedere von ihnen abgestreift. Einige solcher Musterbildnisse zu besitzen, war mein lebhaftes Verlangen, und Lenbach, durch sein nachher so glänzend entwickeltes Talent besonders zum Porträtmaler berufen, war in seltener Weise befähigt, meinen Wunsch zu befriedigen. Er kopirte im Palast Pitti zu Florenz ein Gemälde Tizians, das einen jungen blonden Mann in schwarzer Tracht mit einer goldenen Kette, vorstellt. Dasselbe gehört zu dem Allervortrefflichsten, was der unerreichbare Meister in diesem Fache geleistet. Er hat in dem jungen Manne, von dem wir nichts, nicht einmal den Namen wissen, (nur die Tradition behauptet, er sei ein Engländer) uns eine unwiderstehlich anziehende Erscheinung vorgeführt. Dieses offene und doch sinnende Antlitz, diese unergründlich tiefen Augen lenken immer von neuem unsere Blicke auf ihn hin; wir werden zu Vertrauten seiner Geheimnisse und lernen ihn lieben, wie einen Bruder. Einem Manne, dessen Staubeskleid seit so lange im Grabe modert, von dem sonst kein Gedächtnis unter den Menschen geblieben ist, hat der grosse Künstler auch auf Erden die Unsterblichkeit geschenkt. Und wie gewiss Jeder, der einen Dichter oder Schriftsteller recht innig verehrt, einmal gewünscht hat, ihm in einem jenseitigen Dasein zu begegnen, so ist dieser blonde Mann in schwarzer Tracht auch durch das, was er mich in seinen Zügen hat lesen lassen, ein Gegenstand der Verehrung für mich geworden; und es hat sich oft der Wunsch in mir geregt, ihn in einem anderen Leben einmal treffen zu können. – Ein höchst ausgezeichnetes, von Lenbach für mich kopirtes Porträt ist auch das, welches Andrea del Sarto von sich selbst entworfen hat. Den besten Werken dieses Malers, der nahezu in der vordersten Reihe der italienischen Künstler steht, ist, bei fast weiblicher Anmut, etwas Weiches, Träumerisches, ein Zug leiser Melancholie eigen, und gerade so, wie wir uns ihren Schöpfer denken, erscheint derselbe uns hier; nur Wenige werden sein gemütvolles Antlitz betrachten können, ohne sich von ihm gefesselt und in den Kreis seines Empfindens hineingezogen zu fühlen. – Einer ganz anderen Sphäre gehört das Bildnis des Pietro Aretino von Tizian an. Dieser feile Lobhudler der Grossen seiner Zeit, dieser cynische Satiriker und unverschämte Zotenreisser, ist von dem Künstler in allen seinen, gewiss Niemandem sympathischen Charakterzügen schonungslos der Nachwelt überliefert worden. Und doch verwandelt sich wegen der Grossartigkeit der Auffassung, bei der Betrachtung dieses faunischen Gesichtes der Widerwille beinahe in Wohlgefallen.

Unter den Werken, welche bisher dem Giorgione zugeschrieben wurden, hat die Kritik unserer Zeit nur noch wenige, als ihm mit einiger Sicherheit beizulegen, übrig gelassen. Zu letzteren gehört das im Palast Pitti befindliche Konzert. Aber ich glaube, dass der kritische Verheerungszug etwas zu weit gegangen ist, und dass noch verschiedene Bilder, denen man jetzt einen anderen Ursprung beimisst, von der Hand eben dessen gefertigt sind, von dem dieses Konzert herrührt. Giorgione hat von jeher zu meinen besonderen Lieblingen gezählt, und ich bin aus Verehrung für ihn zweimal nach dem Städtchen Castelfranco gewallfahrtet, wo er geboren wurde und seine Jugend verlebt hat. Es liegt in diesem Künstler etwas von der Natur jener reizenden Gegenden, die sich vom Fusse der Alpen in das Venezianische hinabziehen, und in denen sich die Frische und Kraft des nordischen Gebirges mit der Ueppigkeit des südlichen Bodens vereinigt. Man atmet vor seinen Bildern den kühlen Hauch ein, der aus den Schluchten des Friaul hervorbricht, und doch auch das milde Wehen des über Maisfelder und durch Rebenpflanzungen hinsäuselnden Westwindes. Die Seele Giorgiones hatte einen Zug von dem Ernste und dem schwärmerischen Tiefsinn eines Albrecht Dürer, womit sich die edle Sinnlichkeit der übrigen Venezianer auf das schönste vereinte. Wir wissen durch seine Biographen, dass er Musik besonders liebte und selbst ausübte; und aus diesem musikalischen Geiste ist sein Konzert geschaffen. Alle drei Figuren, die wir auf dem Bilde gewahren, sind ganz in die Töne versunken, welche zwei von ihnen einer Orgel und einem Saiteninstrumente entlocken: und wer sich in die Betrachtung des Gemäldes vertieft, glaubt die seelenvollen Klänge noch aus so lange verschwundener Zeit herüberschallen zu hören. Am schönsten spiegelt sich die halb wehmütige, halb begeisternde Empfindung, welche das gespielte Tonstück hervorruft, auf dem wunderbar ausdrucksvollen Gesichte des Augustinermönches in der Mitte. Da Giorgione schon von der doch noch dürftigen Musik seiner Zeit so entzückt wurde, wie sich das in dem Bilde ausspricht, wie viel höhere Entzückungen würden ihm bereitet