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den Zipfel der braunroten, mit goldener Borde versehenen Sammetdraperie mit aller Anstrengung erfasst hat, um ihn aus dem Sarkophage herauszuziehen. Kaum ist das Engelkind im Stande, das Gleichgewicht auf dem Rande desselben wie angeklebt schwebend zu halten. Sein reizender Kopf ist aufs kräftigste von der Glorie beleuchtet, löst sich jedoch nichtdestoweniger hell von solcher, wie bei Correggio. Sein Fleisch ist völlig in Licht und Verklärung getaucht.“ Wolf führt nun auch die Schattenseiten des Werkes an, verschiedene Verzeichnungen und ein brandiges Rot, das (übrigens vielleicht infolge späterer Uebermalung) einige Partien des Gemäldes entstelle. Sicher sind diese Mängel nicht bedeutend genug, um dem hohen Werte des Ganzen vielen Abbruch zu thun. Nachdem ich das Original zum erstenmale gesehen, ward das Verlangen nach einer Kopie desselben in mir rege. Die Behörde des Leihhauses zu Treviso hütet diese Grablegung als einen kostbaren Hort und gab nur zögernd die Erlaubnis, eine verkleinerte Kopie derselben zu fertigen; eine solche stellte Wolf her. Da ihm, wie mir, aber das ursprüngliche Format für die Wirkung unerlässlich schien, so vergrösserte er nachher die erste Aufnahme, eine mühselige Arbeit, die ihm indes aufs vortrefflichste gelang, indem er in irgend zweifelhaften Fällen sich nicht mit seiner kleineren Abbildung begnügte, sondern immer wieder in den Monte di Pietà eilte, um das Original zu konsultiren.

Die schwerste und umfangreichste unter allen den bedeutenden Unternehmungen, denen Wolf mit nie ermattender Ausdauer und Begeisterung seine Kraft gewidmet hat, ist die Kopie von Tizians grossem Tempelgang der Maria in der Akademie zu Venedig. Dass ein Künstler es überhaupt wagte, das zuvor immer nur in kleinem Massstabe nachgebildete Riesenwerk in gleicher Grösse zu kopiren, erregte Erstaunen in der Lagunenstadt, denn es war eine der schwierigsten Aufgaben, die sich denken liess. Da das Original, eine der Hauptzierden der Akademie, den Blicken der Fremden nicht entzogen werden durfte, musste eine eigene Maschinerie erfunden werden, wonach die Kopie in der Regel aufgerollt blieb und nur der kleine Teil der Leinwand, auf welchem gerade gemalt wurde, entfaltet ward. Sodann aber wurde es durchaus nötig, hier und da, wenigstens auf kurze Zeit, die ganze gewaltige Fläche auszubreiten, damit über die Einzelheiten nicht die Gesamtwirkung verloren ginge. Wie gross nun auch die Mühsale waren, unter denen die Kopie zu Stande gebracht wurde, nicht die mindeste Spur wird davon an ihr bemerkt, so vollkommen ist Tizians Werk in seiner Naivetät und Frische reproduzirt. Ueber das Bild und die darin behandelte, wenig bekannte Legende lasse ich meinen verstorbenen Freund Eduard Prosch reden, der jahrelangen Fleiss auf eine Monographie über Tizian verwandt hatte, als ihn der Tod an der Vollendung derselben hinderte. Das seitdem erschienene vorzügliche Werk von Cavalcaselle bietet der Kunstgeschichte keinen Ersatz dafür, dass diese Arbeit nicht zum Abschluss gekommen, indem es meinem Freunde gelungen war, ein überaus reiches Material zusammenzubringen.

Prosch sagt: „Die ältere Legende erzählt, dass Maria im Alter von drei Jahren, die spätere Legende dagegen, dass sie im Alter von sechs bis sieben Jahren von ihren Eltern zum Dienste im Tempel zu Jerusalem bestimmt worden sei. Sie berichtet: Die Eltern brachten die kleine Maria bis zu den vierzehn Stufen, welche bis zur Tempelpforte hinaufführten. Auf dem Wege hieher ereignete sich das Wunder, dass ihre Gestalt von einem Lichtscheine umflossen wurde, welcher immer heller strahlte, je mehr sie sich dem Tempel nahte. Dies Wunder zog eine grosse Menschenmenge herbei, welche ihren Schritten bis zum Tempel folgte, und noch ehe sie dorthin kam, war die Nachricht hievon schon bis zum Tempel und dessen Umgebung gedrungen, aus allen Fenstern schauten Neugierige, um das Himmelszeichen zu sehen. Die Menschen, welche dem langsam schreitenden Kinde folgten, waren aus jedem Stande und von jedem Alter, von den höchsten Würdenträgern bis zur armen Bettlerin, von dem Säugling an der Mutterbrust bis zum altersmüden Greise. Harmlos steigt das liebliche Kind die für die kleinen Beine viel zu grossen Stufen (dieselben, auf denen die Stufen-Psalmen gesungen wurden) hinan und hebt zierlich das blaue Röckchen in die Höhe, um nicht zu fallen. Der greise Oberpriester, gefolgt von andern Dienern des Tempels, geht ihr bis an den Saum der höchsten Plattform entgegen. Seine ganze Erscheinung macht einen erhebenden Eindruck, seine stattliche Gestalt, seine feierliche Haltung, der Reichtum seines priesterlichen Gewandes und ganz besonders sein würdevolles Antlitz, welches voll Verehrung und zugleich mit dem Ausdruck weiser Ermahnung sich zu der kleinen Maria wendet. Unten an der Treppe bleiben ihre Begleiter zurück; ihr Vater Joachim lehnt sich auf die sechste Stufe und schaut innig bewegt ihr nach; hinter ihm (jedoch durch einen Mann mit orientalischer Kopfbedeckung von ihm getrennt) steht die Mutter Anna und sieht mit fast ängstlichem Ausdruck des Gesichts auf ihr geliebtes Kind. Neben Joachim hat ein ungemein liebliches kleines Mädchen, etwa eine Gespielin von Maria, in ungezwungener graziöser Haltung die Hände auf die dritte und vierte Stufe gelegt und widmet ihr gleiche Teilnahme wie die Eltern. Das Letztere geschieht auch von der im Profil gesehenen, zunächst der untersten Stufe stehenden jugendlichen Frauengestalt, welche Ticozzi ohne hinreichenden Grund als Mariens Erzieherin erklärt. Die Aufmerksamkeit, welche sie dem Kinde widmet, lässt sie nicht bemerken, dass ihr Schleier vom Kopf herab auf die Schulter fiel und nun ein Antlitz von solcher Lebenswahrheit sehen lässt, dass man sie anreden möchte. Zu ihr wendet sich eine ebenfalls jugendliche, weibliche Gestalt von grosser Schönheit und zeigt mit der linken Hand auf Maria hin. Unter den hierauf folgenden fünf Figuren lenken besonders der nach rückwärts schauende Alte in dem vorzüglich geordneten Gewande und das Gesicht des Jünglings, welcher anscheinend sich auf die Fussspitzen erhebt, um besser sehen zu können, unsere Aufmerksamkeit auf sich. Diesen zunächst sieht man vier Würdenträger in den Gewändern und mit der Haltung venezianischer Machthabender gravitätisch daherschreiten, hinter denselben und zu ihnen einen interessanten Gegensatz bildend, eine Bettlerin mit ihrem Kinde, welche von einem stattlichen Herrn (der mit Unrecht als Tizians Selbstporträt erklärt wurde) Almosen empfängt, und schliesslich noch einen Knaben, der um eine Gabe bittet. Die scharf ausgeprägten Gesichtszüge der vier Herren lassen auf den ersten Blick erkennen, dass Tizian hier Bildnisse von Zeitgenossen geschaffen hat. Dies wird bestätigt schon durch die ältesten vorhandenen Beschreibungen dieses Gemäldes, namentlich durch das Zeugnis des Anonimo, der den Künstler persönlich kannte und dessen kleines Werk schon zu Tizians Lebzeiten gedruckt wurde, und durch Vasari, später aber auch von Allen, die hierüber geschrieben haben, von Ridolfi, Zanetti, Ticozzi, Zanotto, Cadorin und Anderen. Leider werden von diesen Schriftstellern nicht alle in diesem Bilde porträtirten Personen ausdrücklich namhaft gemacht, wohl aber einige, und dies ist um so wichtiger, weil hienach die Zeit, wann dies herrliche Gemälde entstanden ist, mit ziemlicher Genauigkeit zu bestimmen ist. Zunächst wird der Nobile mit ‚purpurea toga e dall’ omero manco gli pende la stola di nero velluto‘ bezeichnet als Andrea de Franceschi, cancelliere della Republica; der Herr zu seiner Linken als Lazaro Crasso, ‚sta il Crasso alla sinistra di quello in atto di ragionare seco lui sopra il misterio ehe va a comprirsi della Vergine Santa‘. Ferner wurde der Mann mit kleinem Stabe in der Linken hinter dem Vater der Maria als Porträt des Dichters Pietro Aretino, der Priester in rotem Gewande, welcher dem Oberpriester assistirt, als Porträt des berühmten Gelehrten und Cardinals Pietro Bembo erklärt. Alle