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Walther Kabel: Die Geschichte der „Frau mit den zwei Männern“. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 217–220

Tschin-Fo fand in dem fremden Lande bald guten Verdienst, und da er sparsam lebte und nach Möglichkeit zurücklegte, hatte er bald eine kleine Summe zusammen. Da gedachte er, das Geld seiner Frau zu senden, damit sie sich das Leben erleichtern könnte. Er fragte einen Landsmann, der mit ihm zusammen arbeitete, wie er das Geld wohl am besten in die Heimat schicken könne. Der Landsmann war ein Betrüger. Er sagte, daß er alles nach Tschin-Fos Wunsch besorgen würde, nahm das Geld an sich und behielt es. Dem vertrauensseligen Fo aber erzählte er, das Geld sei längst unterwegs.

Monate vergingen. Wieder hatte Fo eine Summe erspart, die er abermals dem falschen Freunde zur Beförderung anvertraute. Dieser behielt sie wie die erste für sich, zeigte aber einige Zeit darauf Tschin-Fo einen Brief, der angeblich von Tschin-Li herrührte. Er las dem des Lesens unkundigen Fo das Schreiben vor, in dem die Frau ihren Gatten aufforderte, fleißig weiter zu erwerben. Sie wollte alles Geld gut aufbewahren.

So verflossen mehrere Jahre. Der nichtsahnende Fo hatte dem listigen Landsmann immer wieder alles ausgehändigt, was er nur zurücklegen konnte. Hoffte er doch, später in der Heimat seine Schätze wiederzufinden.

Da zogen die Pestdämonen durch das fremde Land, und die Menschen starben in Scharen dahin. Auch den falschen Freund Tschin-Fos ereilte das Geschick. Dieser pflegte ihn bis zum letzten Augenblick. Da regte sich das Gewissen in dem Sterbenden. Er beichtete Tschin-Fo, wie schmählich er ihn hintergangen hatte, und bezeichnete ihm auch die Stelle, wo sein eigenes erspartes Geld und dasjenige Fos vergraben lag. Als er tot war, ließ Tschin-Fo den Leichnam einbalsamieren, nähte ihn in Häute ein, kaufte ein Packpferd, lud die Leiche auf und schloß sich einer Karawane an, die nach der Heimat zog. So erfüllte er die letzte Bitte des Verstorbenen, der in heimischer Erde bestattet sein wollte.

Tschin-Li hatte auf diese Weise all die langen Jahre auch nicht ein einziges Mal Nachricht von ihrem Gatten erhalten. Sie glaubte ihn längst tot, und da Liang-Sun, dem sie als

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Walther Kabel: Die Geschichte der „Frau mit den zwei Männern“. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 217–220. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Geschichte_der_Frau_mit_den_zwei_M%C3%A4nnern.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)