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Walther Kabel: Die Geschichte der „Frau mit den zwei Männern“. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 217–220

Magd immer treu gedient hatte, sie zu seinem Weibe machen wollte, gab sie nach einigem Zögern seinen Bitten nach. Aber sie konnte trotzdem Tschin-Fo nicht vergessen, besonders da ihr zweiter Gemahl sie mehr wegen ihrer Tüchtigkeit als aus Liebe geheiratet hatte.

Tschin-Fo langte nach einer Reise von mehreren Monaten in der Heimat an. Zunächst suchte er den Ort auf, an dem der in der Fremde dahingeschiedene Landsmann bei seinen Ahnen beerdigt sein wollte. Als er diese fromme Aufgabe erledigt hatte, begab er sich zu dem Manne, bei dem Tschin-Li damals vor Jahren ein Unterkommen gefunden hatte. Er fragte nach seiner Frau. Jener aber wies ihm barsch die Tür. Erst von Nachbarn erfuhr Fo, daß Tschin-Li des Mannes Weib geworden war.

Traurig ging er nun zum Richter und trug diesem die Sache vor. Der Richter hörte ihn freundlich an und bestellte ihn für den nächsten Vormittag wieder zu sich.

Als Tschin-Fo zur bestimmten Zeit bei dem Richter erschien, fand er dort auch Liang-Sun und Tschin-Li vor. Diese brach bei seinem Anblick in Tränen aus. Aber Liang-Sun fuhr sie hart an, so daß ihre Klagen bald verstummten und sie den Totgeglaubten nicht mehr anzuschauen wagte. Der Richter fragte darauf zuerst Tschin-Fo, ob er sein Weib zurückverlange. Dieser bejahte eifrig. Nun wurde Liang-Sun gefragt, ob er Tschin-Li herausgeben wolle. Liang-Sun weigerte sich hartnäckig. Der Richter sann einen Augenblick nach und befahl dann den beiden Männern, nach zwei Tagen wiederzukommen. Er wolle sich den Fall bis dahin überlegen. Tschin-Li aber ließ er, da sie vorerst keinem von beiden angehörte, von seinen Leuten in das Gefängnis abführen. Dort sollte sie bei guter Verpflegung bis zum endgültigen Urteilspruch bleiben.

Die Gegner stellten sich, nachdem die zwei Tage um waren, wieder vor dem Richter ein. Dieser empfing sie mit betrübter Miene und machte ihnen unter vielen Entschuldigungen die Mitteilung, daß Tschin-Li sich am Morgen im Gefängnis aus Gram erhängt habe. Dann sagte er zu Liang-Sun: „Du hast Tschin-Li bis zuletzt als dein Weib betrachtet. Hier nimm

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Walther Kabel: Die Geschichte der „Frau mit den zwei Männern“. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 217–220. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Geschichte_der_Frau_mit_den_zwei_M%C3%A4nnern.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)