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Walther Kabel: Die Geschichte der „Frau mit den zwei Männern“. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 217–220

den Schlüssel zu ihrer Zelle. Lasse sie abholen und gib ihr ein Begräbnis nach ihrem Verdienst.“

Aber Liang-Sun streckte die Hand nicht nach dem Schlüssel aus. „Ich habe es mir überlegt,“ sagte er, „Tschin-Fo hat als ihr erster Gatte doch mehr Anrecht auf sie. Mag er sie daher auch begraben.“

Der Richter rief seinen Schreiber herbei und ließ diese Äußerung in aller Form zu Papier bringen. Dann wandte er sich an Tschin-Fo: „Tschin-Li ist nunmehr dein. Willst du sie als ihr Gatte bestatten lassen?“

Tschin-Fo griff eilig nach dem Schlüssel. Antworten konnte er nicht. Der Schmerz machte ihn stumm.

Da befahl ihm der Richter, die Tür des Gefängnisses aufzuschließen. Tschin-Fo gehorchte. In der Mitte des Raumes stand Tschin-Li, lebend und gesund. Unter Freudentränen umarmte sie den geliebten, ihr wiedergegebenen Gatten.

Zu Liang-Sun aber sprach der Richter. „Du hast die Probe nicht bestanden. Die Tote wolltest du nicht, also gebührt dir auch nicht die Lebendige.“

Tschin-Fo und Tschin-Li aber lebten in sorgenlosem Glück noch viele Jahre.

W. Kabel.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Geschichte der „Frau mit den zwei Männern“. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 6, S. 217–220. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1913, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Geschichte_der_Frau_mit_den_zwei_M%C3%A4nnern.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)