Seite:Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 2 Bd. 35 (1891) 14.jpg

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war sie erhaben durch Gerechtigkeit, sehr beliebt durch Freigebigkeit und baute die Werke ihrer Barmherzigkeit auf Christus, den der selige Apostel zum Fundament nimmt, in der klaren Ueberzeugung, der Glaube sei die Grundlage aller Tugenden. Einer so vollkommenen Mildthätigkeit war sie beflissen, daß sie so viel als möglich ihre Werke mit Stillschweigen bedeckte und am liebsten dem Mißgeschicke der einzelnen Nothleidenden zu Hilfe kam, damit nicht ihr eigener Mund, sondern die Lippen der Armen Christi sie preisen möchten. So schien in ihr erfüllt, was der fromme Hiob[1] sprach: „Der Segen des, der verderben sollte, kam über mich.“ Und in fleißiger Betrachtung suchte sie der Aufforderung des Sehers nachzukommen, daß von ihrem Hause kein Armer mit leeren Taschen hinwegginge[2], damit sie in solchen Bestrebungen auf dieser Erde der Lebenden die Erbschaft ewigen Heiles sich zu erwerben vermöchte.

99913. Als unwandelbare Freundin des Friedens begab sie sich noch in ihrem letzten Lebensjahre, als sie, wie ich glaube, wohl wußte, daß sie von dieser Welt scheiden werde, um des Friedens und der Liebe willen in ihr Vaterland und vereinte die streitenden Lehnsleute ihres Enkels, des Königs Rodulf, so viel sie vermochte, durch Friedensbündnisse; so weit sie es nicht konnte, stellte sie alles, wie sie gewohnt war, Gott anheim. Mit welchem Eifer, mit welcher Andacht sie übrigens die heiligen Stätten besuchte, läßt sich unmöglich schildern. Zur selbigen Zeit begab sie sich auch nach dem Kloster Paterniacus, das sie selbst zu Ehren der Gottesgebärerin und für das Seelenheil ihrer dort ruhenden Mutter theils aus eigenen, theils aus mütterlichen Gütern edelmüthig gegründet hatte, und was damals an zeitlichem Bedarf den Brüdern, die Gott dort dienten, fehlen mochte, schaffte sie gewohntermaßen mit freigebiger Hand herbei.


  1. Hiob 29, 13.
  2. Jesus Sirach 29, 12.