Seite:Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 2 Bd. 35 (1891) 19.jpg

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des Weltgewühles göttlichen Betrachtungen frei sich hingeben könnte. Selbst mit häuslichen Angelegenheiten gab sie sich ungern ab. Der Lea und Martha hatte sie in löblicher Thätigkeit emsig genug nachgeeifert, nun verlangte sie nach Rachels und Mariens wünschenswerther Muße. In Lesen vertieft, unablässig im Gebete, hatte sie Ekel vor dem Irdischen und schmachtete mit ganzer Seele nach dem Himmlischen. Und wenn jemand mit weltlichen Geschäften sie behelligte, gab sie keine Antwort, sondern erwog traurig in ihrem Herzen das Wort des Apostels[1]: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Und sicher in der Hoffnung auf göttliche Vergeltung sprach sie: „Gott sei Dank durch Jesum Christum.“ Durch himmlische Anweisung belehrt, gelangte sie dann zu dem Orte, wo sie Gott ihren letzten Seufzer zurückgeben sollte. 7. Dec.Es stand nämlich der Tag bevor, an dem zum Gedächtniß ihres Sohnes, des Kaisers Otto, jährlich Andachtsübungen gehalten wurden. Schaaren von Armen waren hierzu, wie immer, aus der Umgegend zusammengeströmt.

21. Sie hatte die Gewohnheit, an den jährlichen Gedenktagen ihrer Freunde und Vertrauten ihren geistlichen Kriegern ein geistliches Geschenk, nämlich den Armen Christi ein Almosen zuzuwenden, und herkömmlicher Weise hatte hierorts eine Menge von Armen sich aufgestellt. Zu diesen ging sie selbst, und da sie nach dem Beispiel des Patriarchen Abraham nicht zweifelte, Gott sei unter ihnen, begrüßte sie sie demüthig[2], ja ihrer Schwäche vergessend, strengte sie sich über ihre Kräfte an, beschenkte sie einzeln mit eigener Hand, und gab denen, die am elendesten aussahen, Kleider und andere kleine Gaben. Nach dieser geistlichen Uebung ließ sie von einem verehrungswürdigen


  1. Römer 7, 24.
  2. humiliter adoravit, also eigentlich Anbetung.