verschiedene: Die Grenzboten, 1. Jahrgang | |
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Mühen und trotz des abschreckendsten Undanks, dennoch unermüdet und unerschütterlich den hohen Zweck verfolgen, den sie sich zur Aufgabe ihres ganzen Strebens gemacht, so müssen wir diese Hochachtung, Theilnahme und Bewunderung jener kleinen, aber compakten Masse flamändischer Schriftsteller zollen, die in Mitte der Uebermacht, mit welcher die französische Literatur das Land umschlungen hält, ohngeachtet der Umstände, welche die französische Sprache zur Sprache der Kammern, der Gesetzgebung, des höhern Unterrichtes und der Mode machen, dennoch fest und treu an dem Geist und Ausdruck ihrer germanischen Voreltern halten, und an die alten übrig gebliebenen kostbaren Schätze der niederdeutschen Poesie neue Produktionen reihen, und mit dem Volke in seiner Sprache sprechen, und Belehrung, nationalen Geist und poetische Empfänglichkeit unter der Masse der zwei Millionen Flamänder verbreiten, die keine andern Laute kennen, als die alte niederdeutsche Mundart, welche sie von ihren Eltern und Ureltern ererbt und gelernt haben.
Diese Bemühungen der flamändischen Literatur, abgesehen von ihrer nationalen Wichtigkeit, sind auch wegen ihres innern Werthes einer Aufmerksamkeit werth. Die Produktionen eines Legedank, Delaet, Conscience etc. sind von einem so unmittelbar germanischen Geist durchweht, daß die deutsche Poesie, die durch die Einflüsse der Philosophie und der Nachahmungen des Auslandes auf manche Abwege gerieth, an der naiven Kraft dieser Flamänder manchmal sich erfrischen könnte.
Aber wie wenig Aufmerksamkeit schenkt man in Deutschland dieser Literatur. Höchstens daß hie und da ein Zeitungsartikel davon spricht, wie man über China oder indische Literatur berichtet, höchstens daß hier und dort ein Gelehrter die wichtigen Forschungen eines Willems zu Rathe zieht. Der Masse des deutschen Publikums, der Masse der deutschen Literaten selbst, ist sie gänzlich unbekannt. Und doch, von welcher Wichtigkeit könnte es werden, wenn die Seitenzweige deutscher Sprache und Poesie die durch Flandern und Brabant in ihrer alterthümlichen Rinde sich ziehen, in eine innigere Verbindung mit dem Hauptstamme träten. Wie ein lang verborgen gelegenes Pompeji würden sie mit reichen Formen und alten Schätzen unsere Sprache bereichern, während wir für unsere Literatur ein neues Feld und neue Volksmassen gewönnen und zwei Millionen Stammgenossen mehr zu Zuhörern und Theilnehmern hätten.
Und ist es auf dem Gebiete der Kunst anders? „Die flamändische Schule!“ Es ist ein in Deutschland viel gebrauchter Ausdruck, aber man denkt dabei noch immer an Rubens, Van Dyk, Teniers etc.; den großartigen Aufschwung, den die neueren belgischen Maler genommen, kennt man nur vom Hörensagen. Den besten Beweis lieferte hiervon das große historische Gemälde
verschiedene: Die Grenzboten, 1. Jahrgang. Herbig, Leipzig 1841, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenzboten_1-1841.pdf/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)